Ohne sie bricht alles zusammen – Warum Mikroorganismen im Naturschutz fehlen
Ohne Mikroben gäbe es keine fruchtbaren Böden, kein stabiles Klima und keine gesunden Ökosysteme – doch der Naturschutz übersieht ihre stille Macht.

Ein Teelöffel Erde enthält Milliarden Mikroorganismen – sie halten Böden fruchtbar und das Klima im Gleichgewicht, doch ihr stilles Verschwinden bleibt unbeachtet. © Pexels
Sie leben in Böden, Ozeanen, auf Pflanzen und in Tieren – und sind für das Leben auf der Erde unverzichtbar. Mikroorganismen regulieren den Nährstoffkreislauf, beeinflussen das Klima und sichern die Fruchtbarkeit der Böden. Doch im Naturschutz bleiben sie bislang weitgehend unbeachtet. Forscher fordern nun, Mikroorganismen im Naturschutz systematisch zu berücksichtigen, um die Basis stabiler Ökosysteme zu erhalten.
Winzige Bakterien, Pilze und Algen bilden die Grundlage vieler ökologischer Prozesse. Sie zersetzen abgestorbene Biomasse, binden Kohlenstoff und Stickstoff und machen Nährstoffe für Pflanzen verfügbar. „Ohne diese Vielfalt von Mikroorganismen könnten wir Nährstoffe kaum aufnehmen und unsere Gesundheit wäre massiv gefährdet“, sagt Biologe Robert Junker von der Universität Marburg. Was für den menschlichen Darm gilt, trifft auch auf die Natur zu: Wenn mikrobielle Gemeinschaften aus dem Gleichgewicht geraten, leiden ganze Lebensräume.
Bislang konzentriert sich der Naturschutz jedoch auf sichtbare Arten – auf Tiere, Pflanzen oder Wälder. Mikroben, die die Lebensbedingungen all dieser Organismen überhaupt erst ermöglichen, bleiben außen vor. Das wollen Forscher ändern. Sie schlagen vor, die unsichtbaren Lebensformen als festen Bestandteil von Schutzprogrammen zu behandeln.
Mikroben sichern Klima, Böden und Ernährungssysteme
Mikroorganismen bestimmen, wie gut Böden Nährstoffe speichern, wie stabil landwirtschaftliche Flächen bleiben und wie viel Kohlenstoff in Ökosystemen gebunden wird. Wenn ihre Vielfalt schwindet, sinkt die Bodenqualität, Pflanzen wachsen schlechter, und Treibhausgase können sich schneller anreichern. Besonders empfindlich reagieren Mikroben auf Umweltgifte, intensive Landwirtschaft und steigende Temperaturen.
In einem Beitrag in der Fachzeitschrift PNAS erläutern Junker und seine Kollegin Nina Farwig, dass in vielen Schutzgebieten zwar Tiere und Pflanzen geschützt werden, aber nicht jene Mikroben, die diese Lebensräume gesund halten. So entstehen Lücken, die langfristig auch die Produktivität der Böden und die Qualität des Wassers gefährden.
Warum Schutzgebiete Mikroben kaum erreichen
Naturschutzgebiete sind meist nach Tier- und Pflanzenarten definiert. Doch deren Lebensräume decken sich nur selten mit den Regionen, in denen die mikrobielle Vielfalt am höchsten ist. In über 70 Prozent dieser Mikroben-Hotspots gibt es keinen Schutzstatus. Diese Lücken werden künftig größer, wenn Klimawandel und Umweltverschmutzung zunehmen.
Um das zu ändern, schlagen die Forscher vor, Mikroben in bestehende Schutzprogramme zu integrieren. Das betrifft etwa Moore, Feuchtgebiete oder Waldböden, die als Reservoirs für mikrobielles Leben gelten. Hier könnten gezielte Maßnahmen helfen, die Zusammensetzung der Mikroorganismen zu stabilisieren – etwa durch schonende Bewirtschaftung oder den Verzicht auf Pestizide.

Wie Mikroben Tiere und Pflanzen gesund halten
Viele Tierarten sind auf ihre Mikrobenpartner angewiesen. Im Darm von Wildtieren helfen Bakterien bei der Verdauung und stärken das Immunsystem. Geht diese Balance verloren, drohen Krankheiten. „Bei Geparden im Zoo sehen wir, dass ihr Darmmikrobiom kippt – das ist ein Grund für ihre hohe Sterblichkeit“, erklärt Farwig. Auch Pflanzen profitieren von Mikroben: Sie fördern das Wachstum, schützen vor Schädlingen und machen Böden widerstandsfähiger gegen Dürre.
Ein gezielter Schutz dieser mikrobiellen Netzwerke könnte also auch bedrohten Tierarten und empfindlichen Pflanzenbeständen zugutekommen. Damit würde Naturschutz nicht nur sichtbare Arten erfassen, sondern auch die unsichtbare Grundlage des Lebens.
Gesetze und Bewusstsein müssen sich ändern
Damit Mikroorganismen im Naturschutz berücksichtigt werden, müssen rechtliche und politische Rahmenbedingungen angepasst werden. Bestehende internationale Abkommen, etwa das Kunming-Montreal-Abkommen, könnten Mikroben ausdrücklich einbeziehen. Gleichzeitig fehlt es an Forschung, um Hotspots mikrobieller Vielfalt überhaupt zu identifizieren.
Auch die öffentliche Wahrnehmung spielt eine Rolle. Noch dominiert die Vorstellung, dass Mikroben vor allem krank machen. Dabei sind sie entscheidend für Gesundheit und Umwelt. „Erfolgreicher Naturschutz braucht ein Bewusstsein für die Vorteile vielfältiger Mikrobiome“, sagt Junker. Das Wissen darüber müsse stärker in Schulen, Ausstellungen und Bürgerprojekten vermittelt werden.
Unsichtbare Vielfalt verdient Schutz
Die Forscher plädieren für eine neue Generation von Naturschutzstrategien, die alle Ebenen des Lebens umfassen. Mit dem geplanten Forschungsfeld des „mikrobiellen Naturschutzes“ wollen sie den Grundstein dafür legen. Die Experten der Universität Marburg sehen darin eine Chance, den Schutz der Natur auf ein stabileres Fundament zu stellen – eines, das auch ihre kleinsten Bewohner einschließt.
Kurz zusammengefasst:
- Mikroorganismen spielen eine zentrale Rolle für das Leben auf der Erde – und werden dennoch im Naturschutz weitgehend übersehen.
- Sie halten Böden fruchtbar, stabilisieren das Klima und sichern die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen.
- Forscher fordern deshalb, Mikroorganismen systematisch zu schützen, um die Grundlage funktionierender Ökosysteme zu bewahren.
Übrigens: Gesunde Böden sind eng mit unserer psychischen Stabilität verknüpft. Wenn Mikroorganismen im Erdreich verschwinden, verliert unsere Nahrung an Nährstoffen – und das kann auch Körper und Geist aus dem Gleichgewicht bringen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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