Virtuelle Realität fühlen: Dieses Gerät macht digitale Berührungen plötzlich real

Ein haptisches Interface bringt Realität ins Digitale: Das System sendet spürbare Impulse an die Fingerspitze – und erweitert VR um echten Tastsinn.

Virtuelle Realität fühlen: Dieses Gerät macht Berührungen spürbar

Das haptische Interface macht virtuelle Berührungen erstmals spürbar. Es überträgt taktiles Feedback präzise auf die Finger. © Carnegie Mellon University College of Engineering

Wer heute mit VR-Brille arbeitet, kann sehen und hören – doch fühlen bleibt bisher außen vor. Das macht viele digitale Anwendungen unnatürlich oder schwer bedienbar. Ein neues Interface der Carnegie Mellon University könnte das ändern: Es ermöglicht, virtuelle Realität direkt über die Fingerspitze zu fühlen – präzise und in Echtzeit.

Die Technik basiert auf sogenannter Softbotik – also flexiblen Materialien, die Reize gezielt auf die Haut übertragen. Das ist nicht nur spannend für die Forschung, sondern auch nützlich im Alltag: etwa beim Training mit digitalen Werkzeugen, in der Medizin oder für sehbehinderte Menschen.

Das unscheinbare Gerät ist kaum größer als eine Euromünze. Es besteht aus weichem, biegsamem Material, lässt sich direkt an der Fingerspitze befestigen und arbeitet völlig kabellos. Elf verschiedene Bewegungsmuster simulieren unterschiedliche Berührungen – von leichtem Druck über Streichen bis hin zu rotierenden Impulsen.

Wie sich virtuelle Realität fühlen lässt – dank Drähten mit Formgedächtnis

Im Inneren des haptischen Interface verlaufen vier hauchdünne Drähte aus einer speziellen Nickel-Titan-Legierung. Sie reagieren auf elektrischen Strom, ziehen sich gezielt zusammen und lösen so einen fühlbaren Reiz an der Fingerspitze aus – mal nach oben, mal zur Seite, je nachdem, welche Richtung das System vorgibt.

Die Technik nutzt den sogenannten Formgedächtnis-Effekt: Die Drähte „merken“ sich ihre ursprüngliche Form und kehren durch Erwärmung in diese zurück. Dabei bleibt die Haut stets geschützt – die Temperatur übersteigt nie 36 Grad.

Das haptische Interface sitzt direkt auf der Fingerspitze und passt sich durch seine flexible Form präzise an. Es lässt sich biegen, drehen und drücken, ohne die Beweglichkeit einzuschränken. Messungen zeigen, dass die Hauttemperatur beim Einsatz stabil bleibt. In Tests erkannten Nutzer elf verschiedene Impulse zuverlässig – das kleine Gerät liefert präzises Feedback auf der Haut, ohne dabei zu stören.
Das haptische Interface passt sich flexibel der Fingerspitze an und bleibt auch bei Bewegung komfortabel. In Tests erkannte die Haut elf unterschiedliche Impulse zuverlässig und ohne spürbare Temperaturbelastung. © Carnegie Mellon University College of Engineering

Wie man virtuelle Objekte plötzlich fühlen kann

Träger einer VR-Brille können nun digitale Objekte nicht nur sehen, sondern auch fühlen – etwa bei Simulationen in der Medizin oder beim Greifen eines Werkzeugs.

Sobald der Finger im virtuellen Raum ein Objekt berührt, wird ein Signal an das Interface gesendet – und das Gerät gibt einen entsprechenden Impuls zurück.

Das bedeutet:

  • Nutzer erleben virtuelle Räume deutlich realitätsnäher
  • Die Interaktion wirkt natürlicher, weil Berührungen simuliert werden
  • Schulungen in Medizin oder Technik könnten dadurch präziser und glaubwürdiger werden

Exakte Rückmeldung – ganz ohne Sprache

Die Technik funktioniert präzise. Kleinste Impulse konnten die Probanden in den Tests zuverlässig spüren. Bei einer Reizfrequenz von 0,32 Hertz erkannten sie jede Bewegung korrekt. Die Genauigkeit lag bei 100 Prozent.

Die Reize müssen dabei nicht stark sein: Schon 0,5 Newton reichen aus, um an der Fingerspitze spürbar zu sein. Das entspricht etwa dem Gewicht eines halben Schokoriegels.

Ein Helfer für Zuhause und Beruf

Auch im Alltag kann das Gerät nützlich sein. Beim Aufhängen eines Bildes etwa ersetzt es verbale Zurufe. Statt „weiter nach rechts“ gibt es eine sanfte Bewegung am Finger. Auch bei handwerklichen Tätigkeiten kann das System führen – ganz ohne visuelle Hilfsmittel.

Eine Person richtet ein Bild an der Wand aus, während ein kleines Gerät an ihrer Fingerspitze taktile Signale gibt. Die Impulse zeigen dem Nutzer, in welche Richtung er das Bild bewegen soll. Eingeblendete Bilder zeigen Nahaufnahmen des Geräts sowie Wärmebilder, die die Bewegungsrichtung der Impulse darstellen.
Ein Nutzer hängt ein Bild an die Wand, während das haptische Interface an seiner Fingerspitze gezielte Impulse gibt – etwa nach oben oder zur Seite. Die Impulse zeigen an, wie das Bild korrekt ausgerichtet werden soll. © Carnegie Mellon University College of Engineering

Projektleiter Carmel Majidi erklärt:

Diese Technologie soll uns unterstützen, ohne uns abzulenken.

Orientierung für Menschen mit Sehbehinderung

Besonders spannend ist der Einsatz für sehbehinderte Menschen. In einer weiteren Testreihe trugen Teilnehmer eine Augenbinde und suchten gezielt nach einem Objekt auf dem Tisch. Die Richtung erhielten sie ausschließlich über taktile Impulse: oben, unten, links, rechts oder drehend.

Die Objekterkennung klappte zuverlässig. Sobald der Nutzer das Ziel erreichte, signalisierte das Interface durch einen kurzen Druck, dass die Suche erfolgreich war. Die Steuerung der Richtung erfolgte über ein Kamerasystem, das mit der haptischen Schnittstelle verbunden war.

Eine Person sucht blind nach einem Objekt auf einem Tisch. Ein Gerät am Finger gibt ihr über spürbare Impulse die Richtung vor. Auf dem Bildschirm sind die erkannten Positionen von Hand und Zielobjekt sowie Wärmebilder der Aktivierung zu sehen.
Eine Testperson ertastet ein Objekt auf dem Tisch, geleitet durch Richtungsimpulse des haptischen Interfaces am Finger. Wärmebilder und Nutzeroberfläche zeigen, wie die Bewegungen berechnet und in fühlbare Signale übersetzt werden. © Carnegie Mellon University College of Engineering

Die Technik funktioniert nicht nur in eine Richtung. Denkbar ist auch, dass ein Mensch einem Roboter etwas beibringt – etwa wie man eine Gitarre spielt. Oder umgekehrt: Eine Maschine gibt dem Menschen über das Interface ein haptisches Signal, wann welcher Handgriff nötig ist.

Ein Mini-Gerät mit riesigem Potenzial

Was aussieht wie ein Pflaster, könnte viele Lebensbereiche verändern. Durch die präzise Rückmeldung auf der Haut werden virtuelle und reale Welten besser verbunden als je zuvor.

„Wir sind überzeugt, dass diese Funktionen virtuelle Erlebnisse spürbar verbessern und auch im Alltag einen großen Nutzen bringen können“, so das Forschungsteam.

Einblicke in die Forschung der Carnegie Mellon University. © Youtube

Kurz zusammengefasst:

  • Forscher der Carnegie Mellon University haben ein haptisches Interface entwickelt, das an der Fingerspitze getragen wird – und es ermöglicht, virtuelle Realität direkt auf der Haut zu fühlen.
  • Das winzige Gerät funktioniert kabellos, bleibt angenehm kühl und reagiert präzise, wenn der Finger virtuelle Gegenstände berührt.
  • Es kann Menschen bei der Arbeit unterstützen, beim Training in der virtuellen Realität helfen und sogar zur Orientierung für blinde Nutzer eingesetzt werden.

Übrigens: In Chemnitz entwickeln Forscher winzige Roboterwürfel, die miteinander kommunizieren, sich koordinieren und Aufgaben im Team lösen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Carnegie Mellon University College of Engineering

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