Nach Nervenschäden: Gelähmte Muskeln bewegen sich wieder – dank implantiertem Faservlies mit Magnetkraft und Strom
Ein Faservlies könnte Muskeln nach Nervenschäden elektrisch stimulieren und Lähmungen bei Unfallopfern und Schlaganfall-Patienten lindern.

Muskeln sind entscheidend für Bewegung, Haltung, Wärme und viele lebenswichtige Körperfunktionen. Wenn Nerven keine Signale mehr weiterleiten, verlieren Muskeln schnell ihre Kraft – oft bleibt am Ende eine dauerhafte Lähmung. © Vecteezy
Werden Nerven in Armen oder Beinen verletzt, kommt es oft zu Lähmungen. Die Nervenbahnen, die wie Stromleitungen vom Rückenmark bis in die Gliedmaßen führen, sind unterbrochen. Elektrische Signale erreichen den Muskel nicht mehr, die Beweglichkeit geht verloren.
Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) entwickeln nun gemeinsam mit der Leibniz Universität Hannover eine Technik, die Betroffenen neue Therapiewege geben soll. Mit einem hauchdünnen Faservlies wollen sie Muskeln wieder zum Zucken bringen, selbst dann, wenn der Nerv noch Monate zur Heilung braucht.
Gelähmte Muskeln verlieren schnell ihre Kraft
Privatdozentin Doha Obed, plastische Chirurgin an der MHH, beschreibt das Problem so: „Die Nervenfasern müssen sich die gesamte Strecke über von der Durchtrennung bis zum jeweiligen Zielmuskel regenerieren.“ Dieser Prozess zieht sich oft über Monate. In dieser Zeit schrumpfen Muskeln, verlieren ihre Kraft und lassen sich später nur schwer zurückgewinnen.
Die bisherige Standardtherapie heißt Funktionelle Elektrostimulation (FES). Elektroden auf der Haut leiten Strom an die Muskeln, die sich daraufhin anspannen. Das hält die Muskeln zwar in Bewegung, doch es ersetzt keine verlorene Nervenfunktion. Unter die Haut gesetzte Elektroden helfen ebenfalls nur begrenzt, da Kabel aus der Haut ragen und Infektionen begünstigen.
Neues Material soll direkt unter die Haut
Hier kommt das Faservlies ins Spiel. Es handelt sich um ein ultrafeines Netz aus Polyvinylidenfluorid, einem Kunststoff, der Hitze und Chemikalien standhält. Ingenieure formen daraus ein stabiles, aber biegsames Vlies, das direkt auf den gelähmten Muskel gelegt werden kann.
„Das magnetische Faservlies ist piezoelektrisch, verformt sich also beim Anlegen einer elektrischen Spannung“, erklärt Obed. Das Magnetfeld von außen bringt das Material in Bewegung. Dabei entsteht Strom, der den Muskel reizt und kontrahieren lässt. Der Effekt: Muskeln bleiben aktiv, obwohl der Nerv noch nicht wieder arbeitet.
Wer besonders profitieren könnte
Bevor Patienten von dem Verfahren profitieren, stehen Versuche im Tiermodell an. Dort prüfen die Forscher, ob das Faservlies zuverlässig arbeitet und gelähmte Muskeln wieder in Bewegung bringt. Gelingt der Nachweis der Methode, könnten nicht nur Menschen mit Unfallverletzungen profitieren. Auch nach einem Schlaganfall droht Muskeln der Verlust ihrer Funktion, weil das Nervensystem keine Signale mehr sendet. Ein implantiertes Faservlies könnte diesen Ausfall überbrücken.
Für den möglichen späteren Einsatz des Faservlies ergeben sich folgende Chancen:
- Unfallopfer: Bei Nervenverletzungen in Armen und Beinen bleibt die Muskelkraft länger erhalten.
- Patienten nach Schlaganfall: Lähmungen lassen sich gezielt therapieren, auch wenn Nervenbahnen geschädigt sind.
- Gesundheitssystem: Weniger Langzeitfolgen bedeutet geringere Kosten für Reha und Pflege.
Mini-Magnetgerät und Chips sollen Faservlies im Alltag steuerbar machen
Die Forscher suchen nach einer alltagstauglichen Lösung zur Aktivierung. „Wir tüfteln noch aus, wie das Faservlies am besten aktiviert werden kann, etwa durch einen möglichst handlichen Gegenstand, der wie eine Art Mini-Magnetresonanztomographie-Röhre arbeitet“, sagt Obed.
Gleichzeitig entwickeln Ingenieure kleine Chips, die gemeinsam mit dem Vlies implantiert werden sollen. Diese messen die erzeugte Spannung im Muskel, ohne dass dafür Kabel nach außen führen. Ziel ist ein kabelloses System, das auch langfristig sicher funktioniert.
Für Patienten bedeutet diese Technik:
- Muskeln bleiben erhalten: Auch bei langen Heilungszeiten nach Nervenverletzungen verkümmern sie nicht vollständig.
- Mehr Lebensqualität: Beweglichkeit bleibt länger bestehen, Pflegebedürftigkeit sinkt.
- Weniger Infektionen: Kabel und störanfällige Elektroden gehören der Vergangenheit an.
Ob wieder greifen, gehen oder stehen – das Faservlies könnte für Betroffene ein Stück Normalität zurückbringen.
Kurz zusammengefasst:
- Ein neu entwickeltes Faservlies aus Kunststoff soll gelähmte Muskeln elektrisch stimulieren und so Kraftverlust nach Nervenschäden verhindern.
- Die Technik entsteht an der Medizinischen Hochschule Hannover und nutzt Magnetfelder, um Strom im implantierten Vlies zu erzeugen.
- Geplant ist der Einsatz bei Unfallopfern und Schlaganfall-Patienten, bevor Muskeln durch lange Heilungsphasen dauerhaft geschädigt werden.
Übrigens: Nicht nur gelähmte Muskeln lassen sich nach einem Schlaganfall mit neuer Technik wieder aktivieren – auch verlorene Sprache könnte zurückkehren. Eine KI übersetzt Gehirnsignale nahezu in Echtzeit in Worte. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Vecteezy