Unbewusst übernommen – So verändert ChatGPT unsere Alltagssprache
Immer mehr Menschen übernehmen unbewusst den Sprachstil von ChatGPT – eine Studie zeigt erstmals den Einfluss der KI auf gesprochene Sprache.

Wer mit ChatGPT schreibt, übernimmt oft unbemerkt auch seinen Sprachstil. © Pexels
ChatGPT hat sich in Rekordzeit durchgesetzt. Bereits zwei Monate nach dem Start Ende 2022 nutzten über 100 Millionen Menschen das KI-Tool. Kein anderes digitales Produkt wuchs je so schnell. Heute gehört ChatGPT zum Alltag von Schülern, Angestellten, Journalisten und Selbstständigen. Es hilft beim Formulieren, Strukturieren, Schreiben. Doch inzwischen verändert die Software auch unsere Sprache – und zwar hörbar.
Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung fiel einem Forscher dieser Wandel zuerst bei sich selbst auf. Hiromu Yakura bemerkte, dass er plötzlich Wörter wie „delve“ verwendete – ein englisches Wort für „eintauchen“ oder „sich vertiefen“ – ein Ausdruck, der zuvor nicht zu seinem üblichen Vokabular gehörte. Die Vermutung: Der rasante Erfolg von ChatGPT könnte bereits messbaren Einfluss auf die Sprache haben – nicht nur in Texten, sondern zunehmend auch auf das gesprochene Wort. Eine aktuelle Studie ist diesem Phänomen nun wissenschaftlich nachgegangen.
Vergleiche vor und nach der Markteinführung von ChatGPT zeigen: Sprache hat sich verändert
Um das zu überprüfen, analysierte Yakura mit seinem Team über 700.000 Stunden an Audiomaterial. Darunter 771.000 Podcast-Folgen und 360.000 YouTube-Videos – vor und nach dem Start von ChatGPT. Die Frage: Hat sich der Sprachgebrauch seitdem tatsächlich verändert?
Das Ergebnis der Untersuchung ist eindeutig: Bestimmte Begriffe tauchen seit der Veröffentlichung von ChatGPT deutlich häufiger in gesprochener Sprache auf – vor allem in Podcasts, Diskussionen oder Online-Videos. Dabei handelt es sich um Ausdrücke, die typisch für die Sprachweise der KI sind, in der Alltagssprache aber bislang kaum verwendet wurden. Dazu gehören im Englischen:
- delve – im Sinne von sich vertiefen oder gründlich einsteigen
- realm – bedeutet Bereich oder Themenfeld
- meticulous – steht für akribisch, sorgfältig, akkurat oder penibel
Im Deutschen verwendet ChatGPT besonders häufig:
- betonen
- tiefgreifend
- bahnbrechend
- revolutionieren
- spiegeln
Die Analyse zeigt: Viele Menschen übernehmen diese Begriffe offenbar unbewusst – und passen ihre Sprache an den Stil der KI an.
Künstliche Intelligenz wird zum Sprachvorbild
Die Muster, die in der KI-Technologie gespeichert sind, scheinen zurück auf den menschlichen Geist übertragen zu werden.
Levin Brinkmann, Mitautor der Studie
Das gilt besonders dann, wenn die Quelle als kompetent gilt – und das ist ChatGPT für viele. Früher prägten Kollegen, Professoren oder Autoren die Sprache. Heute übernimmt diese Rolle zunehmend ein Algorithmus. Was die KI vorschlägt, klingt für viele richtig, klug und professionell – und wird deshalb übernommen.
Sprache prägt, wie wir denken. Wenn sich unsere Wortwahl verändert, wandelt sich auch unser Blick auf die Welt. Yakura warnt deshalb: „Die Häufigkeit von bestimmten Wörtern kann unseren Diskurs oder unsere Argumente über Situationen beeinflussen.“
Einfluss von ChatGPT auf Sprache wächst durch Nachahmung
Die Forscher sprechen von einer „kulturellen Rückkopplungsschleife“. Je mehr Menschen mit KI arbeiten, desto stärker übernehmen sie deren Sprachmuster. Und je weiter sich diese verbreiten, desto eher werden sie auch zum Standard für andere. Der Effekt verstärkt sich selbst – und zwar schnell.
Brinkmann sagt: „Es ist für den Menschen natürlich, einander zu imitieren, aber wir ahmen nicht alle um uns herum gleichermaßen nach.“ Wir kopieren vor allem diejenigen, die wir für besonders fähig oder einflussreich halten. Genau diese Rolle übernimmt die KI zunehmend.
Sprachvielfalt gerät unter Druck
Die Studie zeigt auch: Manche Begriffe gewinnen an Bedeutung, andere verschwinden. Wenn „akribisch“ häufiger verwendet wird, hören wir „sorgfältig“ womöglich seltener. Diese Entwicklung kann der Sprachvielfalt schaden. Nuancen drohen verloren zu gehen – besonders bei komplexen Themen, bei denen genaue Begriffe entscheidend sind.
Betroffen ist jeder, der viel kommuniziert: Lehrkräfte, Coaches, Speaker, aber auch Jugendliche, die in Schule und Uni auf KI-Tools zurückgreifen. Wer ChatGPT nutzt, übernimmt oft unbewusst dessen Stil – ob schriftlich oder mündlich.
KI-Sprache wird schwerer zu erkennen
Der Soziologe James Evans sieht in der Studie einen wichtigen Beitrag. „In dieser Phase der Entwicklung von Sprachmodellen ist die Betrachtung der Wortverteilung die richtige Methode, um zu verstehen, wie die Technologie unsere Kommunikation beeinflusst“, sagt er laut Scientific American.
Er geht davon aus, dass es künftig schwieriger wird, die sprachlichen Einflüsse der KI zu erkennen. Denn die Technologie entwickelt sich schnell weiter – und der Mensch passt sich ihr ebenso rasant an.
Kurz zusammengefasst:
- ChatGPT verändert Sprache inzwischen nicht nur im Schriftlichen, sondern auch im Gesprochenen – dieser Einfluss zeigt sich in Podcasts, Videos und alltäglichen Gesprächen.
- Das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung konnte belegen, dass Menschen unbewusst typische KI-Begriffe übernehmen, wenn sie ChatGPT als kompetent einstufen.
- Wenn bestimmte Wörter an Bedeutung gewinnen, kann die sprachliche Vielfalt schrumpfen – mit spürbaren Folgen für unseren Alltag und unsere Argumentationskultur.
Übrigens: Während ChatGPT längst unseren Sprachstil beeinflusst, zeigt ein neues KI-Modell nun erstmals echte sprachanalytische Fähigkeiten. Laut einer aktuellen Studie entschlüsselt es Sätze ähnlich wie menschliche Linguisten – und erkennt dabei Strukturen, die bisher nur Menschen durchschauten. Mehr dazu in unserem Artikel.
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