Pilze mit Erinnerung – und vielleicht sogar Bewusstsein? Neue Studien liefern überraschende Hinweise

Einige Pilze treffen Entscheidungen, erkennen Muster und erinnern sich an Reize – obwohl sie kein Gehirn besitzen.

Haben Pilze ein Bewusstsein? – Forscher entdecken Erstaunliches

Pilzmyzelien können zwischen alten und neuen Holzquellen „wählen“ – ist das neue Stück groß genug, wandert das Geflecht vollständig weiter. © Wikimedia

Pilze verfügen weder über Gehirn noch Nervensystem – und trotzdem zeigen sie Verhalten, das Forscher als intelligent bezeichnen. Eine japanische Studie legt nun nahe, dass bestimmte Pilzarten lernen, sich erinnern und Entscheidungen treffen können. Damit rücken Pilze in eine Debatte, die bisher vor allem Säugetiere betraf: die Frage nach Bewusstsein.

Die These: Auch Lebewesen ohne Gehirn könnten auf ihre Umwelt reagieren – und dabei strukturelle Erinnerungen speichern oder sogar Muster erkennen. Eine scheinbar wichtige Rolle spielt dabei das weitverzweigte Geflecht aus Hyphen, das den Boden durchzieht und Nährstoffe transportiert.

Haben Pilze ein Bewusstsein? Forscher untersuchen Denkfähigkeit ohne Gehirn

Die Grundlage für viele dieser neuen Überlegungen liefern Experimente von Dr. Yu Fukasawa und seinem Team an der Universität Tohoku in Japan, wie BBC Science Focus berichtet. Sie beobachteten den holzzersetzenden Pilz Phanerochaete velutina, der in Versuchen gezielt Holzstücke ansteuerte – und dabei „Entscheidungen“ traf. In einer Studie aus dem Jahr 2019 bevorzugte der Pilz größere Holzstücke gezielt gegenüber kleineren. Dabei „erinnerte“ er sich offenbar an frühere Wachstumsrichtungen – selbst nachdem er in eine neue Umgebung versetzt worden war.

Fukasawa erklärt das Verhalten so: „Ich denke, wir können das als eine Art Gedächtnis im Myzel-System bezeichnen – eine strukturelle Erinnerung.“ Auch wenn dieses Verhalten nicht mit einem Gehirn erklärbar ist, sieht Fukasawa darin eine Form intelligenter Reaktion.

Pilze erkennen Muster und räumliche Strukturen

In einem späteren Versuch im Jahr 2024 legten die Forscher neun Holzblöcke in Form eines Kreuzes oder Kreises aus. Der Pilz wuchs vom Zentrum aus und bewegte sich je nach Anordnung unterschiedlich. Im Kreuzmuster verließ er die mittleren Blöcke früher, im Kreis blieb er länger in der Mitte. Für Fukasawa ist das ein Hinweis auf sogenannte Mustererkennung – ein Konzept, das auch aus der Informatik bekannt ist.

Die Forscher sprechen von einem Verständnis für räumliche Orientierung. Das Verhalten könnte demnach nicht nur ressourcenorientiert, sondern auch strukturbasiert sein. Ob dies bereits ein Anzeichen für Bewusstsein ist, bleibt offen.

Sind elektrische Signale ein Zeichen für Intelligenz?

Einige Theorien verweisen auch auf elektrische Signale, die in Pilzen gemessen wurden. Sie ähneln den Impulsen im Nervensystem von Tieren. Für Cecelia Stokes von der University of Wisconsin-Madison ist das allerdings kein Beweis für Intelligenz. „Alle Zellen erzeugen elektrische Ladungen durch Ionentransport“, erklärt sie laut BBC. Auch Pflanzen und Schleimpilze senden Signale auf diese Weise.

Die Wissenschaftlerin erklärt: „Das bedeutet nicht automatisch, dass Pilze ein Nervensystem besitzen.“ Dennoch räumt sie ein, dass Pilze erstaunlich fein auf Umweltreize reagieren können – ohne ein zentrales Steuersystem.

Die Idee vom „fungalen Geist“ bleibt umstritten

Einige Biologen wie Dr. Nicholas Money gehen noch weiter. Er schrieb 2021 in Psyche über die Möglichkeit eines „fungalen Geistes“. Seiner Ansicht nach sollten Konzepte wie Bewusstsein oder Intelligenz auf einem Kontinuum betrachtet werden – vom Menschen bis zum Einzeller. Nur so lasse sich die Entwicklung von Intelligenz umfassend verstehen.

Cecelia Stokes steht solchen Gedanken skeptisch gegenüber. Zwar könne es helfen, Pilze als „ähnlicher“ zum Menschen darzustellen, um Interesse oder Schutz zu fördern. Aber: „Damit entgeht uns oft, was sie eigentlich so faszinierend macht.“ Für sie sei Bewusstsein ein zu weitreichender Begriff für Pilze.

Pilze sind faszinierend – auch ohne menschliche Zuschreibungen

Der Wunsch, Pilzen menschliche Eigenschaften zuzuschreiben, ist nachvollziehbar. Schließlich wirken sie vielen fremd und schwer greifbar. Doch nicht jede Theorie hält dem wissenschaftlichen Anspruch stand. Die vielzitierte Vorstellung vom „Wood Wide Web“, über das Bäume über Pilznetzwerke kommunizieren, wird inzwischen ebenfalls kritisch hinterfragt.

Cecelia Stokes bringt es auf den Punkt: „Wir brauchen keine menschlichen Eigenschaften, um zu erkennen, wie spannend Pilze sind.“ Ihr Forschungsgebiet: der hochgiftige grüne Knollenblätterpilz – der zeigt, dass Pilze auch ohne Intelligenz lebensgefährlich und zugleich biologisch komplex sein können.

Kurz zusammengefasst:

  • Pilze besitzen kein Gehirn, zeigen aber dennoch komplexes Verhalten wie Erinnerung, Mustererkennung und gezielte Reaktionen auf ihre Umwelt.
  • Experimente mit holzzersetzenden Pilzen belegen, dass sie strukturelle Informationen speichern und Entscheidungen treffen können – ähnlich wie ein einfaches Gedächtnis.
  • Forscher diskutieren deshalb, ob Intelligenz und Bewusstsein auch ohne Nervensystem möglich sind – eine Frage, die biologische Konzepte neu bewertet.

Übrigens: Pilze an Hauswänden galten lange als Makel, dabei könnten sie bald zum Klimaschutz beitragen. Wie lebende Fassaden mit Mikroben und Pilzen CO2 speichern und Gebäude schützen – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Jerzy Opioła via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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