Stein aus Industrieabfällen entsteht in nur 35 Jahren – und könnte Sandstrände in harte Felsflächen verwandeln

In England hat sich aus Industrieabfällen in nur 35 Jahren neuer Stein gebildet – ein Vorgang, der Küsten weltweit verändern könnte.

Neuer Stein aus Industrieabfällen bedroht Sandstrände

An einem Strand in Südengland wächst ein seltsames Gestein: Es besteht aus Zementresten, Schlacke und rostigem Metall – und ähnelt trotzdem echtem Fels. © University of Glasgow

Ein harmlos aussehender Dosenverschluss, fest eingeschlossen in einem grauen Brocken an der englischen Küste, entpuppt sich als Warnsignal: Hier wächst ein völlig neuer Gesteinstyp – erschaffen nicht durch Naturgewalten, sondern durch menschengemachten Abfall. Und das in einem Tempo, das Forscher fassungslos macht. In nur 35 Jahren hat sich an der Küste von Cumbria ein fester Stein aus Industrieabfällen gebildet – ein Prozess, der in der Natur sonst Jahrtausende dauert. „Die Verfestigung dieses Materials ist beispiellos schnell für ein klastisches Gestein“, sagt Geologin Amanda Owen von der University of Glasgow. Möglich wurde das durch die Chemie des Abfalls: Schlacke aus alten Hochöfen, einst einfach ins Meer gekippt, reagiert mit Wasser und Luft zu einem stabilen Verbund. Die Ergebnisse ihrer Studie wurden in Geology veröffentlicht.

Ein Stein aus Industrieabfällen verändert Küstenlandschaften

Ein Vorgang, der jahrhundertelang als sicher galt, steht damit plötzlich infrage: Die geologischen Prozesse auf der Erde laufen nicht mehr nur langsam und natürlich ab – sie haben den Menschen als Mitgestalter bekommen. Die Forscher sprechen von einem anthropoklastischen Gesteinszyklus – einer Art menschengemachtem Miniatur-Gebirgsbau.

Das Forschungsteam untersuchte eine Küstenlinie bei Derwent Howe, wo im 19. und 20. Jahrhundert rund 27 Millionen Kubikmeter Schlacke aus der Stahlproduktion gelagert wurden. Wind, Regen und Wellen haben das Material über Jahrzehnte verteilt – und dabei ein festes Gestein entstehen lassen.

Zentrale Ergebnisse der Studie:

  • Bildung des Gesteins: Verfestigung innerhalb von nur 35 Jahren
  • Bestandteile: Calcium, Eisen, Magnesium, Mangan
  • Bindemittel: Calcite, Goethit, Brucit – natürliche Zemente
  • Erkennbar an: Dosenverschluss (ab 1989) und Münze von 1934 im Gestein eingeschlossen
  • Untersuchungsmethoden: Rasterelektronenmikroskopie, Röntgendiffraktometrie, Raman-Spektroskopie

Vom Sandstrand zur Betonplatte in nur einer Generation

Die Folgen betreffen längst nicht nur Geologen. Denn das neue Gestein verändert auch die Landschaften – und damit das Leben von Menschen in Küstennähe. Ein einst sandiger Strand wird zur harten Felsfläche. Die natürlichen Kreisläufe geraten aus dem Gleichgewicht, Arten verlieren ihren Lebensraum.

„Wir haben nicht so viel Zeit, wie wir dachten, um zu entscheiden, wohin mit unserem Abfall“, warnt Amanda Owen. „Nach wenigen Jahrzehnten wird aus losem Material eine feste Struktur – und die lässt sich kaum noch entfernen.“

Hinweis auf einen ungewöhnlich schnellen, vom Menschen verursachten Gesteinskreislauf. © University of Glasgow
Hinweis auf einen ungewöhnlich schnellen, vom Menschen verursachten Gesteinskreislauf. © University of Glasgow

Menschlicher Müll wird zu geologischem Gestein

Die Forscher fanden heraus, dass dieser Prozess nicht lokal begrenzt ist. Überall dort, wo industrielle Schlacke mit Luft und Meerwasser zusammentrifft, kann sich ein ähnlicher Gesteinstyp bilden – auch in Deutschland. Besonders an ungeschützten Küsten mit starker Brandung dürfte das Phänomen bereits im Gange sein.

Was das für Küsten bedeutet:

  • Neue Gesteine beeinflussen die Erosion, also wie schnell Küsten abgetragen oder aufgebaut werden
  • Die neuen Materialien verändern die Wasserführung, etwa bei Sturmfluten
  • Viele Modelle für Küstenschutz und Stadtplanung berücksichtigen solche Prozesse noch nicht

Modelle zum Küstenschutz müssen angepasst werden

Das schnelle Wachstum dieser neuen Gesteine ist nicht nur ein geologisches Kuriosum – es kann weitreichende Folgen haben. Wenn sich unsere Strände und Ufer schneller verändern als gedacht, geraten bestehende Schutzsysteme ins Wanken.

Die Forscher fordern deshalb neue Standards im Umgang mit Industrieabfällen – und in der Planung von Küstenregionen. Denn diese neuen Steine sind gekommen, um zu bleiben. Das Expertenteam will nun europaweit weitere Standorte untersuchen. Ziel: besser verstehen, wie sich das, was wir heute wegwerfen, schon morgen in unserer Landschaft verewigen könnte.

Kurz zusammengefasst:

  • Ein neuartiger Stein aus Industrieabfällen hat sich an der Küste Englands in nur 35 Jahren gebildet – deutlich schneller als natürlicher Fels.
  • Die Verfestigung entsteht durch chemische Reaktionen zwischen Schlacke, Luft und Meerwasser, wobei natürliche Zemente wie Calcit wirken.
  • Solche Prozesse verändern Küstenlandschaften dauerhaft und sollten in Planungen zum Küstenschutz künftig berücksichtigt werden.

Übrigens: Ausgerechnet an Englands einzigem natürlichen UNESCO-Welterbe soll eine Müllverbrennungsanlage entstehen – mit 80 Meter hohem Schornstein. Die geplante Anlage auf der Isle of Portland könnte das empfindliche Ökosystem der Jurassic Coast dauerhaft schädigen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © University of Glasgow

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