Kipppunkt schon vor 100 Jahren – Der Mensch brachte das Klima viel früher aus dem Takt

Menschlicher Einfluss auf das Klima wirkt länger als gedacht: Schon vor 100 Jahren begann das Erdsystem messbar zu kippen.

Menschlicher Einfluss auf Klimawandel begann vor 100 Jahren

Eine neue Studie zeigt, wie stark menschlicher Einfluss das Erdsystem seit Jahrzehnten belastet – lange unbemerkt. © Vecteezy

Menschlicher Einfluss hat das Erdsystem schon vor fast 100 Jahren aus dem Gleichgewicht gebracht – lange bevor der Klimawandel Teil der öffentlichen Debatte wurde. Eine neue Studie zeigt, wie früh zentrale Kreisläufe der Erde auf diese Belastung reagierten und wie stark der Druck auf das Erdsystem bis heute gewachsen ist.

Wissenschaftler des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) und der Lviv Polytechnic National University haben ein neues Verfahren entwickelt, um die Belastung unseres Planeten genauer zu messen. Statt nur auf die CO2-Menge zu schauen, analysieren sie die physikalische Reaktion der Erde – eine Art Stresstest für den gesamten Planeten.

Forscher berechnen Druck auf die Erde in Pascal

Normalerweise misst man den CO2-Ausstoß in Gigatonnen pro Jahr. Diese Zahl sagt jedoch wenig darüber aus, wie sehr die Erde darunter leidet. Die neue Studie arbeitet deshalb mit dem physikalischen Maß der „Stress Power“. Sie gibt an, wie stark das Erdsystem jährlich belastet wird – in Pascal, einer Einheit für Druck.

Im Jahr 2021 lag diese Belastung bei 12,8 bis 15,5 Pascal. Das entspricht in etwa dem Druck einer leichten Brise – allerdings gleichmäßig verteilt auf Meere, Landmassen und Atmosphäre. Was auf den ersten Blick harmlos wirkt, zeigt in der Summe beunruhigende Folgen für die Stabilität des Klimasystems.

Menschlicher Einfluss auf den Klimawandel: Kipppunkt schon vor 100 Jahren

Die Forscher fanden einen Wendepunkt zwischen 1925 und 1945. In dieser Zeit verloren Wälder, Böden und Ozeane bereits einen Teil ihrer Fähigkeit, Kohlendioxid aufzunehmen. Die natürlichen CO2-Speicher gerieten aus dem Takt – viel früher, als bisher vermutet.

„Dieser frühe Wendepunkt war unerwartet“, sagt Studienleiter Matthias Jonas. „Er legt nahe, dass Land und Ozeane schon sehr früh vom Menschen beeinflusst wurden und ihre CO2-Aufnahmefähigkeit verloren haben.“ Damit sind zentrale Abwehrmechanismen des Erdsystems seit fast einem Jahrhundert geschwächt.

Natürliche Speicher versagen – mehr CO2 bleibt in der Luft

Wälder und Meere binden normalerweise große Mengen Kohlendioxid. Doch wenn sie überlastet sind, bleibt immer mehr CO2 in der Atmosphäre. Das heizt die Erde schneller auf.

Selbst wenn wir unsere Ziele erreichen, könnte die Schwächung der natürlichen Systeme zu früheren und größeren Störungen führen.

Matthias Jonas

Die Lage verschärft sich also doppelt: Die Emissionen steigen – und die Fähigkeit der Erde, sie abzufedern, sinkt. In bisherigen Klimamodellen wurde dieser Aspekt kaum berücksichtigt. Die neue Analyse zeigt: Das Risiko wurde unterschätzt.

Das Klima reagiert wie ein ausgeleiertes Gummiband

Die Forscher vergleichen das Erdsystem mit einem Gummiband. Zunächst dehnt es sich gleichmäßig. Doch mit der Zeit wird es dünner, spröder – und reißt plötzlich. So könnte es auch der Erde ergehen, wenn der Druck weiter zunimmt und die Belastbarkeit gleichzeitig sinkt. „Diese frühere Fragilität wird in den Klimamodellen noch nicht erfasst, muss aber berücksichtigt werden“, so Jonas.

Wenn sich Kipppunkte früher einstellen als berechnet, könnte das gravierende Folgen für Ernährung, Wasserverfügbarkeit und Wetterextreme haben.

Klimawandel rückt näher – auch im Alltag

Die Studie macht deutlich: Selbst wenn Emissionen sinken, reicht das womöglich nicht aus. Die Erde wird empfindlicher. Schutzmechanismen verlieren ihre Wirkung. Der Planet verzeiht weniger – und er verzeiht langsamer. Und das betrifft uns alle.

„Es ist wichtig, zukünftige Emissionsziele zu erreichen“, so Jonas. „Aber wir müssen auch darauf achten, wie schnell die Erde zerbrechlicher wird.“ Wenn natürliche Systeme versagen, lassen sich die Schäden kaum noch rückgängig machen.

Kurz zusammengefasst:

  • Der menschliche Einfluss hat das Erdsystem bereits ab den 1920er-Jahren messbar verändert – natürliche CO2-Speicher wie Wälder und Ozeane verloren früh ihre Stabilität.
  • Forscher messen die Belastung der Erde erstmals als physikalischen Druck („Stress Power“) in Pascal – und zeigen, wie schon geringe, gleichmäßig verteilte Emissionen das Klima destabilisieren.
  • Die natürlichen Schutzfunktionen der Erde schwinden schneller als gedacht – und viele Klimamodelle unterschätzen diese Fragilität bisher. Rasches Umsteuern ist dringend nötig.

Übrigens: Menschlicher Einfluss auf den Klimawandel wirkt sich nicht nur auf Gletscher und Wetter aus – er bedroht auch die globale Gesundheit in nie dagewesenem Ausmaß. Welche fünf Folgen Menschen schon jetzt spüren, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Vecteezy

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