Gefährliches Halbwissen – Wie TikTok falsche Informationen über ADHS verbreitet

Fehlinformationen über ADHS auf TikTok vermitteln trügerisches Wissen und führen bei jungen Menschen zu riskanten Fehlentscheidungen.

ADHS-Fehlinformationen auf TikTok gefährden junge Nutzer

Auf TikTok kursieren zahlreiche Beiträge über ADHS, die falsche Vorstellungen wecken und junge Menschen in ihrer Selbstwahrnehmung stark beeinflussen. © Pexels

TikTok ist längst kein Ort mehr nur für Tanzvideos. Die Plattform hat sich zu einem digitalen Raum entwickelt, in dem sich viele junge Menschen über Gesundheit, Alltag und psychische Belastungen austauschen. Besonders rund um das Thema ADHS tauchen dort immer häufiger vermeintlich hilfreiche Inhalte auf – doch gerade hier vermischen sich Fakten und Fehlinformationen auffällig oft. Was auf den ersten Blick wie ein Aufklärungsvideo wirkt, entpuppt sich beim genaueren Hinsehen als riskanter Irrweg, wie eine aktuelle Untersuchung der Syracuse University zeigt.

Fehlinformationen über ADHS sorgen für falsche Sicherheit

Die Forscher wollten wissen, wie sich solche Inhalte auf junge Erwachsene auswirken. Rund 500 Studierende nahmen an der Untersuchung teil. Sie sahen TikTok-Videos mit unterschiedlichen Aussagen über ADHS. Einige waren korrekt, andere enthielten weitverbreitete Mythen.

Das Ergebnis ist besorgniserregend: Wer falsche Inhalte sah, wusste hinterher weniger über ADHS als die Kontrollgruppe – fühlte sich aber sicherer in seinem Wissen. Viele trauten sich sogar eher zu, Behandlungsentscheidungen zu treffen oder ADHS zu beurteilen.

Irrglaube verstärkt sich durch Unterhaltung

„Die Gefahr von Fehlinformationen über ADHS, die über soziale Medien verbreitet werden, besteht darin, dass Menschen ein ungenaues Verständnis der Anzeichen, Symptome und Behandlungen von ADHS entwickeln können“, erklärt Studienleiterin Ashley Schiros.

Diese falsche Sicherheit kann dazu führen, dass Betroffene sich selbst falsch einschätzen – und dadurch Hilfe verzögern oder ungeeignete Behandlungen wählen. Zu den oft geglaubten Aussagen zählen zum Beispiel „ADHS-Paralyse“, „ständig überfordert von kleinen Aufgaben“ oder „Zwang, es allen recht machen zu wollen“. Keine dieser Beschreibungen gehört zu den medizinisch anerkannten Kriterien.

TikTok erklärt ADHS falsch – und beeinflusst Verhalten

Nicht jeder, der sich schnell ablenken lässt oder etwas vergisst, hat automatisch ADHS. Doch es gibt klare, medizinisch anerkannte Symptome, die auf die Störung hinweisen können. Fachleute beobachten bei Betroffenen häufig folgende Schwierigkeiten:

  • Probleme, Aufgaben strukturiert und fristgerecht zu erledigen
  • Konzentrationsmangel, besonders bei längeren Vorträgen oder Gesprächen
  • Häufiges Verlieren oder Verlegen wichtiger Alltagsgegenstände wie Handy, Schlüssel oder Geldbörse

Diese Merkmale sind wissenschaftlich gut belegt und lassen sich mit professioneller Unterstützung gezielt behandeln. Eine eindeutige Diagnose kann jedoch nur durch einen Arzt gestellt werden.

Wer Falsches glaubt, sucht falsche Hilfe

Die Studie zeigte außerdem: Wer ein Video besonders unterhaltsam fand, hielt dessen Inhalte häufiger für glaubwürdig. Gerade gut gemachte Beiträge ohne fachliche Grundlage bleiben im Kopf – und prägen das Verständnis der Zuschauer.

„Missverständnisse über ADHS können dazu führen, dass Menschen weniger akkurates Wissen über ADHS haben und möglicherweise unbegründet Behandlungen suchen. Andererseits kann der Glaube an nicht evidenzbasierte Behandlungen zu Selbstdiagnosen führen oder Barrieren für die Suche nach evidenzbasierter Behandlung schaffen“, so Schiros.

Am problematischsten ist: Diejenigen, die sich besonders gut informiert fühlten, waren eher bereit, nicht evidenzbasierte Methoden auszuprobieren. Das reicht von Selbsttests über vermeintliche Hausmittel bis zu Coachings ohne medizinische Grundlage.

Fehlinformationen eindämmen: Plattformen und Institutionen in der Pflicht

Die Forscher fordern, dass Universitäten, Kliniken und öffentliche Einrichtungen verstärkt gegen falsche Gesundheitsinformationen auf sozialen Medien vorgehen. Es brauche leicht verständliche, ansprechende Inhalte, die wissenschaftlich korrekt sind und auf Plattformen wie TikTok verbreitet werden.

Obwohl sich diese Studie speziell auf Fehlinformationen zu ADHS konzentrierte, gibt es eine breite Palette von faktisch falschen Ratschlägen zu verschiedenen Gesundheits- und psychischen Gesundheitsthemen in sozialen Medien.

Studienleiterin Ashley Schiros

Auch TikTok selbst müsse handeln. Content-Ersteller sollten besser geschult werden, und ihnen sollten Werkzeuge zur Verfügung stehen, um die Qualität ihrer Beiträge zu überprüfen. Anreize für korrekte Inhalte seien ebenso wichtig wie sichtbare Hinweise auf medizinische Fachquellen.

Was Betroffene tun können

Wer sich unsicher ist, ob er oder sie an ADHS leidet, sollte sich nicht auf Selbsttests im Netz verlassen. Die richtige Anlaufstelle ist immer die Hausarztpraxis, eine psychologische Beratungsstelle oder ein Facharzt.

Auch bei Verdacht im Freundeskreis oder in der Familie gilt: Unterstützung hilft, aber keine vorschnellen Urteile. Die Diagnose ADHS erfordert Zeit, Gespräche und meist mehrere Tests. Gute Informationsquellen im Netz sind etwa Seiten von Krankenkassen, ärztlichen Fachgesellschaften oder Universitätskliniken.

Wer auf TikTok unterwegs ist, kann Creator unterstützen, die nachweislich korrekte Informationen teilen – und fragwürdige Inhalte melden oder kritisch hinterfragen. So hilft jeder dabei, die Qualität der Informationen zu verbessern.

Kurz zusammengefasst:

  •  TikTok verbreitet viele Fehlinformationen über ADHS, die bei jungen Menschen zu einem falschem Sicherheitsgefühl führen – sie glauben, gut informiert zu sein, wissen aber deutlich weniger.
  •  Diese falsche Sicherheit kann gefährlich sein, weil sie zu Selbstdiagnosen, ungeeigneten Behandlungen oder einer verzögerten medizinischen Abklärung führt.
  • Die Forscher empfehlen gezielte Aufklärung durch vertrauenswürdige, offizielle Stellen, um fundiertes Wissen auf sozialen Plattformen zu stärken und echte Hilfe besser zugänglich zu machen.

Übrigens: Wer TikTok regelmäßig nutzt, gewöhnt sich nicht nur an kurze Reize – sondern verliert auch die Fähigkeit, komplexe Inhalte wirklich zu erfassen. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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