Korallenriffe atmen durch Flüsse: Wie uralte Täler das Leben unter Wasser schützen
Flüsse schützen seit jeher Korallenriffe, indem sie Passagen für den Transport von Nährstoffen und frischem Meerwasser öffnen.

Die Riffpassagen rund um Bora Bora durchziehen das türkisfarbene Wasser wie geheime Lebensadern – geformt von Flüssen, die längst versickert sind. © Unsplash
An tropischen Stränden sieht man sie oft: türkisfarbene Lagunen, umgeben von weißen Wellen, die an einem Ring aus Korallen brechen. Was kaum jemand weiß – dieser Ring hat Lücken. Tiefe Schneisen, so breit wie ein Boot, durchziehen das Riff wie geheime Tore. Sie sind überlebenswichtig für das empfindliche Ökosystem der Korallenriffe darunter – und ihre Entstehung beginnt nicht im Meer, sondern an Land. Der Fortbestehen der Korallen hängt entscheidend davon ab, wie gut sie mit Nährstoffen versorgt und von Schadstoffen befreit werden. Eine neue Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigt nun, wie essenziell Flüsse für die Korallenriffe sind.
MIT-Forscher vergleichen Küstenlinie mit Riffdurchbrüchen
Korallenriffe bestehen nicht aus einer geschlossenen Wand: Vulkanische Inseln wie Tahiti oder Bora Bora sind von Riffen umgeben, die natürliche Lücken aufweisen – sogenannte Riffpassagen. Diese können mehrere Dutzend Meter tief und sogar breit genug für Boote sein. Sie versorgen das empfindliche Ökosystem mit frischem Meerwasser und Nährstoffen.
Megan Gillen, Hauptautorin und Doktorandin im gemeinsamen Ozeanografieprogramm des MIT und der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), analysierte Satellitenbilder der Society Islands im Südpazifik. Weil das Team während der Covid-19-Pandemie nur in begrenztem Ausmaß Feldforschung betreiben konnten, griffen sie auf Daten der NASA Shuttle Radar Topography Mission zurück. Diese kartierte bereits 1999 rund 80 Prozent der Erdoberfläche.
Die Forscher verwandelten die Küstenlinien der untersuchten Inseln in lineare Karten. So konnten sie die Positionen der Flussmündungen mit jenen der Riffdurchbrüche vergleichen. Ergebnis: Die Lage der Riffpassagen stimmt statistisch signifikant mit der von Flusstälern überein. An genau diesen Stellen treffen heute oder trafen früher Süßwasserströme von der Insel auf das Korallenriff. Diese Verbindung zwischen Land und Meer war lange nur eine Vermutung. Nun gibt es erstmals quantitative Belege dafür.
Riffpassagen entstehen durch natürliche Prozesse
Die Studie beschreibt zwei Hauptprozesse, wie Flüsse die Riffpassagen formen konnten. Der erste heißt „Reef Incision“ („Riffschnitt“). Er tritt auf, wenn der Meeresspiegel sinkt. In dieser Phase liegt das Korallenriff teilweise frei, und Flüsse können direkt darüber hinwegfließen. Dabei tragen sie Sedimente mit sich und graben regelrecht Tunnel in das Riff.
Der zweite Prozess, „Reef Encroachment“ („Riffvordringen“), findet bei steigendem Meeresspiegel statt. Dann wachsen Korallen immer weiter in Richtung Küste, um dem Wasserstand zu folgen. Treffen sie dabei auf alte, abgesunkene Flusstäler, siedeln sie sich dort an – aber nicht dauerhaft. Die Täler liegen oft zu tief, sodass kein Licht bis zum Meeresboden dringt. Die Korallen sterben ab, und zurückbleibt ein Durchbruch im Riff.
Reef Incision passiert, wenn der Meeresspiegel fällt, und Reef Encroachment, wenn er steigt. Beide Prozesse wirken über viele Zyklen hinweg und formen gemeinsam die Reef Passes (Riffpassagen).
Megan Gillen
Auf jüngeren Inseln gibt es deutlich mehr Riffpassagen und sie liegen enger beieinander. Ältere Inseln hingegen weisen weniger solcher Kanäle auf. Der Grund: Mit zunehmendem Alter sinken Vulkaninseln langsam ins Meer. Dadurch entstehen weniger starke Flüsse, die das Riff durchbrechen könnten. Die bereits vorhandenen Kanäle verlanden nach und nach durch Wellen und Meeresströmungen.
Könnten künstliche Flüsse in Zukunft Korallenriffe stärken?
Die Forscher stellen auch gleich einen praktischen Nutzen der Ergebnisse in den Raum: Künstlich erzeugte Strömungen könnten genutzt werden, um gezielt Riffpassagen zu schaffen und so die Gesundheit von Riffen zu stärken.
Wenn man einen kontinuierlichen Fluss hätte – an Orten, wo es eigentlich keine natürlichen Flüsse gibt – könnte das vielleicht die Gesundheit der Riffe fördern?
Megan Gillen
Für alle, die sich mit dem Schutz der Meere oder dem Klimawandel beschäftigen, ist das eine wichtige Erkenntnis. Denn Riffpassagen bestimmen nicht nur, wie gesund ein Riff bleibt – sie könnten auch bei Schutzmaßnahmen eine Rolle spielen. Die Studie zeigt außerdem, wie jahrtausendealte Flussläufe das Überleben ganzer Riffsysteme mitgeprägt haben.
Kurz zusammengefasst:
- Korallenriffe bleiben nur dann gesund, wenn Flüsse frisches Wasser und Nährstoffe durch natürliche Kanäle, sogenannte Riffpassagen, bringen.
- Forscher des MIT haben erstmals belegt, dass Flüsse diese Passagen formen – je nach Meeresspiegel durch Erosion oder durch Verdrängung alter Flusstäler.
- Die Erkenntnisse könnten helfen, künstliche Strömungen zu planen, um gefährdete Korallenriffe gezielt zu stärken.
Übrigens: Forscher haben in der Eifel Hinweise auf Magma tief unter der Erde entdeckt. Mehr dazu gibt es in diesem Artikel.
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