Asthma, Krebs, Diabetes – KI zeigt, welche Gene gemeinsam krank machen
Ein KI-Modell der Northwestern University macht erstmals sichtbar, welche Genkombinationen komplexe Krankheiten wie Krebs verursachen.

Die KI erkennt Genkombinationen, die bei verschiedenen Menschen unterschiedlich zur gleichen Krankheit führen können. © DALL-E
Manche Menschen leben gesund, treiben Sport, ernähren sich ausgewogen und erkranken trotzdem an Diabetes, Krebs oder Asthma. Die Ursache bleibt oft ein Rätsel. Denn anders als bei seltenen Erbkrankheiten, die durch ein einziges Gen ausgelöst werden, entstehen viele Volkskrankheiten durch ein komplexes Zusammenspiel vieler Gene. Genau diese Interaktion war für Forscher bislang kaum zu entschlüsseln. Die Zahl möglicher Genkombinationen ist riesig – zu groß für klassische Methoden. Jetzt hat ein Forschungsteam der Northwestern University ein neues KI-gestütztes Werkzeug entwickelt, das komplexe Genkombinationen sichtbar machen kann. Veröffentlicht wurde die Studie im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences.
KI findet Genkombinationen, die bisher verborgen blieben
Das neue System trägt den Namen TWAVE. Es arbeitet nicht wie andere Modelle mit starren Regeln oder Genkarten, sondern analysiert, wie aktiv bestimmte Gene in einer Zelle sind – also die sogenannte Genexpression. Diese Aktivität ist von Mensch zu Mensch verschieden und wird stark durch Umweltfaktoren beeinflusst: etwa durch Ernährung, Stress oder Schlafmangel.
TWAVE nutzt künstliche Intelligenz, um aus diesen oft sehr begrenzten Datenmengen Muster zu erkennen. Es verstärkt die Informationen, erkennt Zusammenhänge und kann dadurch bestimmen, welche Gruppen von Genen gemeinsam für eine Krankheit verantwortlich sind.
KI erkennt Genkombinationen statt Einzelgen
„Viele Krankheiten werden durch eine Kombination von Genen bestimmt – nicht nur durch eines“, erklärt Adilson Motter, leitender Wissenschaftler und Biophysiker der Northwestern University. Motter vergleicht Krankheiten wie Krebs mit einem Flugzeugabsturz: „In den meisten Fällen müssen mehrere Fehler gleichzeitig passieren. Verschiedene Kombinationen können zum gleichen Ergebnis führen.“
Bisherige Methoden wie die sogenannten GWAS-Studien konnten solche Zusammenhänge oft nicht erkennen, weil sie auf einzelne Gene fokussiert waren. Das TWAVE-Modell geht einen Schritt weiter: Es erkennt Gruppen von Genen, die nur im Zusammenspiel krank machen.
Genaktivität statt Genstruktur – ein neuer Ansatz
TWAVE konzentriert sich nicht auf die DNA selbst, sondern darauf, welche Gene in bestimmten Momenten aktiv sind. Das ist besonders wichtig, weil Genexpression – anders als das Erbgut – vom Alltag beeinflusst wird. Zwei Menschen können die gleiche genetische Anlage haben, aber nur einer erkrankt, weil sein Alltag andere Bedingungen schafft. „Wir schauen uns nicht die Gen-Sequenz, sondern die Genexpression an“, erklärt Mitautor Thomas Wytock. Das Modell wurde mit echten klinischen Daten trainiert. Es kennt den Unterschied zwischen gesunden und krankhaften Genprofilen.
Unterschiedliche Wege zur gleichen Krankheit
TWAVE kann auch zeigen, dass nicht alle Menschen aus den gleichen Gründen krank werden. „Eine Krankheit kann sich bei zwei verschiedenen Personen ähnlich manifestieren. Aber prinzipiell könnte bei jeder Person ein anderes Gen-Set beteiligt sein“, so Motter. Wer etwa dauerhaft unter Stress steht, könnte genetisch stärker belastet sein als jemand mit vergleichbarem Erbgut, aber stabileren Lebensumständen.
Es sind also die Wechselwirkungen zwischen den Genen, die entscheidend sind und genau diese kann das neue Tool jetzt analysieren. Es kann Verbindungen erkennen, die für das menschliche Auge unsichtbar bleiben – aber über Leben und Krankheit entscheiden.
Zukünftige Therapien könnten somit gezielter auf die individuellen Ursachen einer Krankheit eingehen – und nicht mehr alle Patienten mit dem gleichen Wirkstoff behandeln. Gerade bei Krebs oder Autoimmunerkrankungen wäre das ein großer Fortschritt.
Für Betroffene bedeutet das: Es gibt neue Hoffnung, dass Krankheiten wie Asthma, Diabetes oder Krebs in Zukunft besser verstanden – und individueller behandelt – werden können. Ohne Rätselraten. Sondern mit Daten, KI und einem genauen Blick auf das Zusammenspiel der Gene.
Kurz zusammengefasst:
- Komplexe Krankheiten wie Krebs oder Diabetes entstehen meist durch das Zusammenspiel vieler Gene – nicht durch ein einzelnes Gen.
- Das neue KI-Werkzeug TWAVE analysiert die Genaktivität (Genexpression), um krankmachende Genkombinationen sichtbar zu machen.
- Damit können Forscher erkennen, welche unterschiedlichen Gen-Gruppen bei verschiedenen Menschen dieselbe Krankheit verursachen – ein wichtiger Schritt hin zu individuellerer Medizin.
Übrigens: Was bei Menschen für Krebs oder Diabetes gilt, hilft nun auch in der Landwirtschaft – KI erkennt erstmals Genkombinationen in Pflanzen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E