Fast wie Menschen? – Schimpansen reden bewusster als gedacht
Schimpansen kombinieren Laute gezielt und regelbasiert – ihre Kommunikation ist deutlich komplexer als bisher angenommen.

Schimpansen zeigen mit ihrer komplexen Kommunikation, wie nah uns die Tiere in Wirklichkeit sind. © Pexels
Seit jeher gilt Sprache als das Werkzeug des Menschen – ein System aus Regeln, Bedeutungen und unzähligen Kombinationsmöglichkeiten. Aus einzelnen Lauten entstehen Wörter, aus Wörtern ganze Gedanken. Doch was, wenn diese Fähigkeit, komplexe Inhalte zu vermitteln, nicht uns allein gehört? Eine neue Studie wirft genau diese Frage auf und richtet den Blick auf unsere nächsten Verwandten im Tierreich. Denn Schimpansen zeigen ein erstaunliches Maß an strukturierter Kommunikation. Laut Forschern des Max-Planck-Instituts in Leipzig kombinieren die Tiere ihre Rufe auf eine Weise, die stark an Sprache erinnert.
Forscher analysieren über 12.000 Rufe freilebender Schimpansen
In einem aufwendigen Langzeitprojekt haben die Forscher die Laute freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste aufgezeichnet. Insgesamt kamen mehr als 12.000 Rufe zusammen. Im Fokus standen zwölf typische Laute – sogenannte Grundrufe – die Schimpansen in vielen Alltagssituationen äußern: bei Gefahr, beim Fressen, beim Wiedersehen.
Die Forscher wollten wissen: Nutzen Schimpansen diese Rufe auch kombiniert – so wie wir Wörter kombinieren? Die Antwort lautet: Ja, und zwar in überraschend vielfältiger und strukturierter Form.
Aus zwölf Lauten entstehen über 390 mögliche Kombinationen
Die Tiere nutzten ihre Grundrufe nicht nur einzeln, sondern setzten sie flexibel zusammen. Allein bei Zweierruf-Kombinationen entdeckten die Forscher 16 verschiedene Varianten. Rechnet man mögliche Kombinationen aus mehreren Lauten hinzu, entsteht ein Potenzial von rund 390 Varianten – bei nur zwölf Ausgangssignalen.
„Unsere Ergebnisse deuten auf ein hochgradig generatives vokales Kommunikationssystem hin“, sagt Cédric Girard-Buttoz, Erstautor der Studie. Der Begriff „generativ“ bedeutet in diesem Zusammenhang: Die Schimpansen erschaffen durch Kombination etwas Neues – eine Fähigkeit, die bislang als menschliches Privileg galt.
Bedeutungen ändern sich je nach Reihenfolge und Kombination
Die Forscher untersuchten nicht nur, welche Rufe kombiniert wurden, sondern auch, wie sich deren Bedeutung dadurch verändert. Und hier wurde es besonders spannend: Viele Rufkombinationen folgen festen Regeln. Es gibt Kombinationen, bei denen ein Ruf die Bedeutung des anderen ergänzt. In anderen Fällen verändert sich die Bedeutung durch die Reihenfolge. Wieder andere Kombinationen wirken wie feste idiomatische Wendungen – etwa wie das deutsche „unter die Haube kommen“.
Die Erzeugung neuer oder zusammengesetzter Bedeutungen durch die Kombination von Wörtern ist ein charakteristisches Merkmal der menschlichen Sprache.
Catherine Crockford, leitende Autorin der Studie
Umso bemerkenswerter ist es, solche Strukturen auch bei Schimpansen zu entdecken.
Schimpansen nutzen Regeln – ihre Kommunikation folgt einem klaren System
Die Forscher haben vier Wege entdeckt, wie Schimpansen durch das Kombinieren von Lauten neue Bedeutungen erzeugen: zwei bedeutungsergänzende und zwei idiomatische. Das bedeutet: Zwei der Kombinationen ergänzen oder präzisieren die ursprüngliche Aussage, zwei wirken wie feste Redewendungen mit eigener Bedeutung. Dieses Zusammenspiel macht die Kommunikation der Tiere erstaunlich flexibel.
Das bedeutet nicht, dass Schimpansen „sprechen“. Sie verwenden keine Grammatik im menschlichen Sinn. Aber sie kombinieren Laute nach Regeln und genau das ist ein Grundbaustein unserer Sprache.
Die Tiere setzen ihre Rufe bewusst und kontextabhängig ein
Einzelrufe wie etwa der Nahrungsruf oder der Kontaktlaut tauchen in verschiedenen Kombinationen auf – je nach Situation. Wird der Nahrungsruf mit einem Warnlaut verbunden, verändert sich die Aussage. Die Tiere scheinen also nicht nur Emotionen auszudrücken, sondern gezielt Informationen zu übermitteln. Das spricht für ein viel differenzierteres Kommunikationsverhalten, als lange angenommen wurde.
Viele ältere Studien gingen davon aus, dass Tierlaute rein emotional sind – Ausdruck von Angst, Wut oder Freude. Die neue Studie zeigt: Das stimmt nicht. Schimpansen strukturieren ihre Aussagen. Und das verändert unser Bild von tierischer Intelligenz.
Evolutionäre Bedeutung: Wie alt ist die Sprache wirklich?
Wenn unsere nächsten Verwandten bereits über ein strukturiertes Kommunikationssystem verfügen – wie weit reicht diese Fähigkeit dann zurück? Die Wissenschaftler vermuten, dass die Wurzeln menschlicher Sprache viel älter sind als gedacht. Vielleicht waren bereits die gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse vor rund sechs Millionen Jahren in der Lage, Laute gezielt zu kombinieren.
Schimpansen-Kommunikation verändert unser Bild vom Tier
Diese Erkenntnisse verändern nicht nur, wie wir über Tiere denken. Sie berühren auch grundlegende Fragen darüber, was uns als Menschen ausmacht. Wenn Schimpansen schon heute auf ihre Weise „sprechen“ können, dann ist Sprache kein exklusives Merkmal, sondern ein Kontinuum. Und das eröffnet neue Perspektiven für Tierethik, Artenschutz und unseren eigenen Ursprung.
Roman Wittig, Direktor des Taï Chimpanzee Project, warnt: „Die Aufzeichnung der Lautäußerungen von Schimpansen über mehrere Jahre in ihrer natürlichen Umgebung ist entscheidend, um die Gesamtheit ihres Kommunikationsvermögens zu dokumentieren.“ Doch diese Möglichkeit werde immer seltener. Denn die Lebensräume der Tiere schrumpfen – und damit auch der Zugang zu ihrem Wissen.
Kommunikation ist kein Privileg des Menschen
Girard-Buttoz bringt es auf den Punkt: „Die Komplexität dieses Systems deutet entweder darauf hin, dass komplexe Kommunikation bereits bei unserem letzten gemeinsamen Vorfahren entstand – oder dass wir die Kommunikation anderer Tiere unterschätzt haben.“
In jedem Fall ist klar: Wer mit Schimpansen kommuniziert, muss mehr zuhören als bisher. Denn ihre Rufe sind mehr als nur Geräusche. Sie sind Teil einer Sprache – einer, die uns vielleicht näher ist, als wir vermutet hätten.
Kurz zusammengefasst:
- Schimpansen kombinieren Laute systematisch und erzeugen damit über 390 unterschiedliche Bedeutungen – ähnlich wie Menschen Wörter zu Sätzen verbinden.
- Die Kommunikation der Schimpansen folgt festen Regeln und umfasst sowohl kompositorische als auch idiomatische Strukturen, was auf ein flexibles, strukturiertes System hinweist.
- Laut den Forschern könnten solche Fähigkeiten bereits beim gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse vor rund sechs Millionen Jahren vorhanden gewesen sein.
Übrigens: Auch Bonobos kombinieren Laute gezielt und erzeugen damit überraschend komplexe Aussagen. Mehr dazu in unserem Artikel.
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