Wo entsteht das Bewusstsein? – Studie zeigt, was im Gehirn bei Wahrnehmung wirklich passiert

Wo entsteht das Bewusstsein? Drei Hirnscan-Methoden zeigen, welche Hirnareale bei bewusster Wahrnehmung aktiv sind – und wie lange.

Studie zeigt, wo das Bewusstsein entsteht

Bewusstsein beginnt womöglich dort, wo wir sehen, hören und fühlen – mit Folgen für Koma-Diagnosen. © Allen Institute

Was passiert im Gehirn, wenn wir etwas bewusst wahrnehmen – zum Beispiel die Mona Lisa? Wir erkennen sie als Gesicht, ordnen sie räumlich ein, nehmen ihren Blick wahr, ihre linke Ausrichtung, ihre Identität. All das geschieht in Sekundenbruchteilen. Doch wo genau entsteht das Bewusstsein für das, was wir da sehen?

Eine der bislang umfassendsten Studien zum Thema liefert neue Hinweise. 256 Testpersonen, drei moderne Hirnscan-Methoden und ein Experiment, das gezielt zwei führende Bewusstseinstheorien gegeneinander stellt. Die Ergebnisse könnten künftig auch helfen, das Bewusstsein bei Patienten im Wachkoma besser zu erkennen.

Wo entsteht das Bewusstsein – Zwei konkurrierende Theorien im Vergleich

Im Mittelpunkt der Studie standen zwei bekannte Erklärungsmodelle dafür, wie Bewusstsein im Gehirn entsteht: die Integrated Information Theory (IIT) und die Global Neuronal Workspace Theory (GNWT). Beide Modelle gehen davon aus, dass bestimmte Vorgänge im Gehirn nötig sind, damit wir etwas bewusst erleben – unterscheiden sich aber stark in ihrer Vorstellung, wo und wie das geschieht.

  • IIT nimmt an: Bewusstsein entsteht, wenn viele Bereiche im Gehirn eng zusammenarbeiten und Informationen stark miteinander verknüpft sind. Der wichtigste Ort dafür soll sich im hinteren Teil des Gehirns befinden – dort, wo Sinneseindrücke wie Bilder oder Geräusche zuerst verarbeitet werden.
  • GNWT geht einen anderen Weg: Hier entsteht Bewusstsein, wenn das Gehirn bestimmte Informationen besonders hervorhebt und sie großflächig verteilt – ähnlich wie ein Lautsprecher, der eine wichtige Nachricht durchs ganze System schickt. Hauptakteur ist dabei der vordere Teil des Gehirns, der sogenannte präfrontale Kortex, der unter anderem für Entscheidungen und Aufmerksamkeit zuständig ist.

Beide Theorien machen konkrete Vorhersagen: Sie unterscheiden sich darin, wo im Gehirn bewusste Inhalte auftauchen, wie lange sie aktiv bleiben – und welche Hirnregionen miteinander kommunizieren, wenn wir etwas bewusst wahrnehmen. Genau diese Unterschiede hat die neue Studie zum ersten Mal gezielt getestet.

Drei zentrale Vorhersagen – erstmals systematisch überprüft

Die Forscher des Allen Institute testeten drei konkrete Annahmen der beiden Theorien. Ziel war es, herauszufinden, welche besser erklärt, was im Gehirn passiert, wenn wir etwas bewusst wahrnehmen.

  1. Wo tauchen bewusste Inhalte im Gehirn auf?
    Die IIT sagt: Im hinteren Teil des Gehirns lässt sich am meisten über den Inhalt des Bewusstseins herauslesen. Die GNWT hingegen setzt auf den Frontallappen – also den vorderen Bereich, der für Planung und Aufmerksamkeit zuständig ist.
  2. Wie lange bleiben Inhalte im Gehirn aktiv?
    Laut IIT bleibt ein bewusster Eindruck im hinteren Kortex über die gesamte Reizdauer hinweg bestehen. GNWT hingegen erwartet nur eine kurze, starke Aktivierung („Zündung“) im Frontallappen – etwa 0,3 bis 0,5 Sekunden – zu Beginn und Ende eines Reizes.
  3. Wie arbeiten Hirnregionen dabei zusammen?
    Die IIT geht davon aus, dass sich Hirnregionen im Hinterkopf besonders stark miteinander abstimmen. GNWT vermutet hingegen, dass die Kommunikation vor allem zwischen Frontallappen und Sinnesarealen stattfindet.

Das Ergebnis: Keine der beiden Theorien konnte vollständig überzeugen. Zwar stimmten einzelne Vorhersagen mit den Daten überein, doch beide Modelle zeigten auch klare Schwächen.

Bewusste Erfahrung ist vielschichtig. Betrachtet man beispielsweise die Mona Lisa, erlebt man sie an einem bestimmten Ort im Raum, erkennt sie als Gesicht, erkennt ihre Identität und bemerkt ihre Linksausrichtung. Diese komplexe Erfahrung bleibt über die Zeit erhalten. © Unsplash
Bewusste Erfahrung ist vielschichtig. Betrachtet man beispielsweise die Mona Lisa, erlebt man sie an einem bestimmten Ort im Raum, erkennt sie als Gesicht, erkennt ihre Identität und bemerkt ihre Linksausrichtung. Diese komplexe Erfahrung bleibt über die Zeit erhalten. © Unsplash

Hinterer Hirnbereich zeigt Aktivität – Frontallappen bleibt häufig unbeteiligt

Während des Experiments sahen die Teilnehmer Bilder aus vier Kategorien: Gesichter, Objekte, Buchstaben und Fantasiesymbole. Jedes Bild wurde in unterschiedlicher Ausrichtung (frontal, links, rechts) und für verschieden lange Zeiträume (0,5 bis 1,5 Sekunden) gezeigt. Gleichzeitig wurde ihre Hirnaktivität mit drei modernen Methoden gemessen: funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT), Magnetoenzephalographie (MEG) und intrakranielle Elektroenzephalographie (iEEG).

Das auffälligste Ergebnis: Im hinteren Teil des Gehirns – insbesondere im visuellen Kortex – blieb die Aktivität über die gesamte Dauer des Reizes erhalten. Genau das hatte die IIT vorhergesagt. Im präfrontalen Kortex, dem Zentrum für höhere Denkprozesse, zeigte sich hingegen nur selten die von GNWT erwartete starke Reaktion zum Reizbeginn oder -ende. Auch die vermutete „Zündung“ – also eine kurze, besonders starke Aktivierung – trat weit seltener auf als gedacht.

Die bewussten Inhalte waren im Frontallappen deutlich schwächer vertreten als erwartet, so das Forschungsteam. Und weiter: „Zwar gab es teilweise eine Zusammenarbeit zwischen Frontallappen und visuellem Kortex, aber diese war vom Inhalt abhängig und entsprach nicht dem Modell einer übergeordneten Steuerzentrale.“

Besseres Verständnis für Bewusstseinsstörungen

Die Ergebnisse machen deutlich: Bewusstsein könnte stärker mit der Verarbeitung von Sinnesreizen verknüpft sein als mit höheren Denkprozessen. Das hilft, das Bewusstsein differenzierter zu erfassen – besonders bei Patienten, die äußerlich nicht reagieren.

Studien zufolge zeigen rund 25 Prozent der scheinbar komatösen Patienten verdecktes Bewusstsein. Dieses rechtzeitig zu erkennen, kann Diagnose, Kommunikation und Therapie grundlegend verändern.

Kurz zusammengefasst:

  • Eine Studie verglich zwei führende Theorien zum Bewusstsein mithilfe von fMRT, MEG und iEEG.
  • Sie zeigt, wo das Bewusstsein im Gehirn messbar entsteht: vor allem in hinteren Bereichen, nicht im Frontallappen, wie lange angenommen.
  • Die Ergebnisse liefern neue Ansätze für die Diagnose und Bewertung von Bewusstseinszuständen – etwa bei Koma oder minimalem Bewusstsein.

Übrigens: Auch der Zustand völliger Leere im Kopf – bekannt als „Mind Blanking“ – gibt Neurowissenschaftlern Rätsel auf. Wie oft er auftritt, wie er sich von Meditation unterscheidet und was im Gehirn dabei passiert – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Allen Institute

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