Lehrer reden, Schüler schweigen: Neues KI-System zeigt, was im Unterricht wirklich passiert
Wer spricht wann und worüber im Klassenzimmer? Eine neue KI deckt die wahren Strukturen im Unterricht auf.

Im Unterricht geht es selten um Austausch – das zeigt jetzt eine neue KI-Analyse. © Trustypics by Flickr
Wer wirklich verstehen will, wie Unterricht funktioniert, muss genau hinschauen: Wie oft sprechen Lehrer? Wie viel Raum bekommen Schüler? Wird diskutiert oder nur zugehört? Solche Fragen lassen sich kaum beantworten, ohne unzählige Unterrichtsstunden zu analysieren. Ein Forschungsteam der East China Normal University hat dafür jetzt eine Lösung vorgestellt, die Unterricht im großem Stil auswertbar macht – mithilfe künstlicher Intelligenz (KI).
Im Fachmagazin ECNU Review of Education beschreiben die Wissenschaftler das sogenannte CEED-System. Der Name steht für Classroom Evaluation and Efficiency Diagnostics – ein intelligentes Analysetool, das aus Unterrichtsvideos automatisch Schlüsse zieht. Es erkennt, wer spricht, wie sich Lehrer und Schüler verhalten und welche Methoden zum Einsatz kommen. CEED soll dabei helfen, den Unterricht transparenter zu machen und neue Impulse für die Lehrpraxis zu liefern.
„Dieses KI-gestützte System nutzt maschinelles Lernen und multimodale Datenverarbeitung, um Diskurse zu klassifizieren, Verhalten zu analysieren und Lehrer-Schüler-Interaktionen zu bewerten“, erklärt Mitautor Yihe Gao. Damit gelinge es, selbst tausende Unterrichtsvideos effizient zu durchleuchten – etwas, das bei manueller Auswertung enorm zeitaufwendig wäre.
Lehrer reden, Schüler hören zu
Für ihre Untersuchung analysierten die Forscher 1.008 reale Unterrichtsstunden. Alle fanden in chinesischen Grund- und Sekundarschulen statt, im Fach Chinesisch. Die Ergebnisse zeigen ein deutliches Bild: Lehrer bestimmen den Ablauf. Im Schnitt entfielen 51,9 Prozent der Zeit auf reine Präsentationen durch Lehrkräfte. Für direkte Interaktionen mit Schülern blieben 30,5 Prozent. Einzelaufgaben nahmen 12,3 Prozent ein, Gruppenarbeit nur 5,3 Prozent.
Je höher die Klassenstufe, desto weniger Mitgestaltung durch die Schüler gab es. Offene Fragen oder Diskussionen kommen seltener vor. Stattdessen dominieren geschlossene Fragen, die auf konkrete Antworten abzielen. Die Annahme, dass ältere Schüler automatisch mehr in kritische Auseinandersetzungen eingebunden werden, bestätigte sich somit nicht.
KI im Klassenzimmer deckt Unterschiede zwischen Klassenstufen auf
Die Studie zeigt, dass der Zeitanteil für Gruppenarbeit in der ersten Klasse besonders niedrig liegt. Erst in mittleren Klassenstufen steigt er leicht, fällt dann aber ab der sechsten Klasse wieder deutlich. Gleichzeitig steigt der Redeanteil der Lehrer. Auch individuelle Aufgaben nehmen ab.
„Unsere Analyse zeigt, wie stark sich der Unterricht mit steigendem Alter der Schüler verändert“, sagt Co-Autor Xiaozhe Yang. In höheren Klassen setzen viele Lehrer auf Frontalunterricht. Dabei könnten offene Formate Schüler stärker zum Mitdenken motivieren.
KI soll Lehrer unterstützen, nicht ersetzen
Ein Ziel des CEED-Systems ist es, Lehrkräften datenbasierte Rückmeldungen zu geben. So können sie erkennen, ob ihre Stunden zu einseitig aufgebaut sind – und gezielt neue Methoden ausprobieren. Auch für Fortbildungen und Lehrpläne bietet das System konkrete Anhaltspunkte.
„Unsere Studie liefert nicht nur ein aktuelles Bild der Unterrichtspraxis“, betont Yang.
Sie gibt Pädagogen auch ein Werkzeug an die Hand, um ihren Unterricht anzupassen und die Interaktion zu verbessern.
Xiaozhe Yang
Technik ist noch nicht für alle Fächer geeignet
Die Forscher sehen großes Potenzial in der KI – vor allem für sprachlich geprägte Fächer wie Deutsch oder Geschichte. Bei Sport oder Kunst stößt das System jedoch noch an seine Grenzen. Auch der verantwortungsvolle Umgang mit Daten und mögliche Verzerrungen durch Algorithmen bleiben wichtige Themen.
Trotzdem steht fest: Die KI bringt Bewegung in die Unterrichtsanalyse. Sie macht sichtbar, was sonst verborgen bleibt – und eröffnet neue Wege, um Lernen und Lehren besser zu verstehen.
Kurz zusammengefasst:
- Das CEED-System nutzt Künstliche Intelligenz (KI), um Unterrichtsstunden automatisch auszuwerten und Lehrmethoden sichtbar zu machen.
- In über 1.000 analysierten Schulstunden zeigte sich, dass Lehrkräfte den Großteil der Zeit sprechen und Gruppenarbeit selten vorkommt.
- Die KI soll Lehrkräften helfen, ihre Methoden zu reflektieren und den Unterricht gezielt zu verbessern.
Übrigens: Wenn Schüler bei Mathe stolpern, sieht ein neues KI-System das sofort: Mit Blickanalyse und Daten hilft sie, den Unterricht zu verbessern. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Trustypics by Flickr