Kontaktabbruch als Befreiung: Wenn die Familie zum Ort emotionaler Belastung wird
Bei seiner Familie sollte man sich sicher fühlen – doch für viele Erwachsene wird sie zum emotionalen Belastungstest.
Familie ist für viele ein sicherer Hafen – doch das ist nicht immer der Fall. Manche Menschen entscheiden sich im Erwachsenenalter bewusst für einen Kontaktabbruch. Die Gründe dafür sind oft tief verwurzelt und reichen von fehlender Unterstützung über belastende Dynamiken bis hin zu traumatischen Erfahrungen. Eine Studie aus dem Jahr 1987 zeigte bereits, dass 7 Prozent der erwachsenen Kinder keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter hatten und über 27 Prozent keinen Kontakt zu ihrem Vater. Seitdem hat sich dieser Trend verstärkt. Doch was bewegt Erwachsene dazu, sich von ihren engsten Verwandten abzuwenden?
Laut Your Tango spielen dabei emotionale, psychologische und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle. Es geht oft weniger um oberflächliche Streitigkeiten, sondern um tiefe Konflikte, die sich über Jahre aufbauen.
Fehlende emotionale Unterstützung schafft Distanz
Eine Familie sollte ein Ort sein, an dem man sich gehört und unterstützt fühlt. Doch nicht jeder erlebt das. Viele Erwachsene berichten, dass sie sich in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt gefühlt haben. Das bedeutet, dass ihre Gefühle oder Bedürfnisse ignoriert wurden. Laut der Psychotherapeutin Amy Morin hat dies oft zur Folge, dass sich später ein tiefes Gefühl der Entfremdung entwickelt.
Wenn Erwachsene dann ihre eigene Stabilität aufgebaut haben, meiden sie oft familiäre Zusammenkünfte wie Feiertage oder Besuche. Diese Distanz hilft ihnen, eine gesunde Identität zu entwickeln, frei von dem Wunsch nach ständiger Bestätigung oder Anerkennung. Gleichzeitig schützt der Abstand vor weiterem emotionalem Stress, besonders wenn bereits psychische Belastungen wie Depression vorliegen.
Negative Gespräche zerstören Vertrauen
Ein weiterer häufiger Grund für Distanz ist die Erfahrung, dass hinter dem eigenen Rücken schlecht über einen gesprochen wird. Klatsch, Gerüchte oder Kritik können das Vertrauen in die Familie nachhaltig zerstören. Vor allem Kinder geschiedener Eltern erleben oft, dass sie von einem Elternteil gegen den anderen ausgespielt werden. Von Experten wird das als emotionale Manipulation bezeichnet, die großen Schaden anrichtet.
Um sich vor diesen belastenden Dynamiken zu schützen, entscheiden sich viele Erwachsene für räumliche oder emotionale Distanz. Das hilft ihnen, stressige Konflikte zu vermeiden und ihre eigene mentale Gesundheit zu bewahren.
Ablehnung der Identität führt zu Rückzug
Für viele Menschen ist die Familie der erste Ort, an dem sie Akzeptanz und Verständnis suchen. Doch nicht jeder erlebt diese Unterstützung. Wenn Familienmitglieder Entscheidungen oder Lebensweisen ablehnen, etwa in Bezug auf Beruf, Partnerwahl oder persönliche Interessen, kann das tiefe Verletzungen hervorrufen. Eine Studie der Pediatric Clinics of North America zeigt, wie wichtig familiäre Akzeptanz ist, um sich sicher und selbstbewusst zu fühlen.
Wenn Erwachsene keine Unterstützung erfahren, ziehen sie sich oft zurück. Dieser Schritt hilft ihnen, sich vor weiterer Kritik zu schützen und ihre persönliche Entwicklung voranzutreiben.
Burnout und Stress als Belastung
Im Alltag von Erwachsenen spielen Beruf, Familie und finanzielle Herausforderungen eine zentrale Rolle. Diese Belastungen können zu einem Zustand führen, den Experten als Burnout bezeichnen – das Gefühl, komplett ausgebrannt zu sein. Ein Burnout führt nicht nur zu Problemen im Berufsleben, sondern auch in persönlichen Beziehungen. Viele Erwachsene isolieren sich in solchen Phasen, um mit der Überforderung besser klarzukommen. Selbst bei einer guten Beziehung zur Familie kann der Rückzug notwendig sein, um emotionale und körperliche Ressourcen zu schonen.
Ungeklärte Konflikte und unterschiedliche Werte
Für viele Menschen liegen die Gründe für eine Distanzierung in der Vergangenheit. Traumatische Erlebnisse oder ungelöste Konflikte aus der Kindheit können Erwachsene stark belasten. Betroffene meiden oft den Kontakt zu ihrer Familie, um alte Wunden nicht erneut aufreißen zu lassen. Dieser Abstand bietet ihnen die Möglichkeit, sich auf ihre Heilung zu konzentrieren.
Auch unterschiedliche Werte und Überzeugungen können Spannungen auslösen. Besonders wenn Familienmitglieder nicht bereit sind, über diese Differenzen zu sprechen, entsteht häufig ein Gefühl der Entfremdung. Erwachsene, die mit Kritik oder Unverständnis konfrontiert werden, ziehen sich zurück, um Konflikte zu vermeiden.
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Neue Prioritäten verändern Beziehungen
Ein weiterer Grund für den Rückzug liegt oft in der Neugestaltung des eigenen Lebens. Viele Erwachsene gründen eigene Familien oder widmen sich neuen Projekten, die viel Zeit und Energie fordern. Dieser Wandel ist nicht immer ein Ausdruck von Konflikten, sondern oft eine natürliche Folge davon, dass sich Prioritäten verschieben. Feiertage oder Familientraditionen treten zugunsten neuer Lebensinhalte in den Hintergrund. Die Entscheidung, Distanz zur eigenen Familie zu schaffen, ist nie leicht. Sie basiert oft auf der Suche nach einem gesünderen Leben und einem sicheren Raum für persönliche Entwicklung.
Was du dir merken solltest:
- Erwachsene, die sich von ihrer Familie distanzieren, tun dies oft aufgrund tiefer emotionaler, psychologischer oder sozialer Belastungen wie fehlender Unterstützung, negativer Dynamiken oder traumatischer Erfahrungen.
- Häufige Gründe für den Rückzug sind mangelnde Akzeptanz, Vertrauensbrüche durch Gerüchte oder Kritik sowie das Bedürfnis, persönliche Grenzen zu setzen und emotionalen Stress zu vermeiden.
- Burnout, unterschiedliche Werte und Prioritäten sowie der Wunsch nach persönlicher Entwicklung und Heilung führen ebenfalls dazu, dass Erwachsene Abstand zu ihrer Familie suchen.
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