Forscher decken mithilfe von KI geheime Gesangsmuster von Waldvögeln auf
Waldvögel trällern nicht nur am Tag oder in der Nacht: Mithilfe von KI haben Forscher Erstaunliches über ihren Gesang herausgefunden.

Ist dieser Grünspecht eine „Lerche“ oder doch eine „Eule“? Bei der Aktivität von Waldvögeln galten bislang diese zwei Typen. Doch KI hat gezeigt, dass es da mehr Diversität gibt. © David Singer
Mithilfe künstlicher Intelligenz haben Forscher ein überraschend komplexes Klangbild aus deutschen Wäldern freigelegt. Über 6,4 Millionen Vogelrufe aus niedersächsischen Forsten zeigen: Viele Waldvögel geben ihren Gesang nicht nur am Morgen zum besten – und jeder zu seiner eigenen Zeit.
Ein Forschungsteam der Georg-August-Universität Göttingen und der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt (NW-FVA) hat während einer Brutsaison 53 Waldvogelarten rund um die Uhr untersucht. Dazu installierten sie an 256 Standorten automatische Audiorekorder, die zwischen März und Mai alle zehn Minuten für 30 Sekunden aufnahmen – Tag und Nacht.
KI erkennt Arten und Aktivitätsmuster
Die Aufnahmen analysierte ein KI-System, das die Stimmen den Arten zuordnete. Ziel war es, die Unterschiede im täglichen und jahreszeitlichen Gesangsverhalten zu erfassen. David Singer, Erstautor der Studie und Doktorand an der Georg-August-Universität Göttingen, erklärt:
Unsere Daten zeigen, dass es weit mehr Aktivitätstypen als ‚Lerchen‘ und ‚Eulen‘ unter den Waldvögeln gibt.
Als „Lerchen“ werden hier Vögel bezeichnet, deren Gesang man tagsüber vernimmt. „Eulen“ sind in der Nacht aktiv. Die neue Untersuchung hat gezeigt, dass es mehr Varianz gibt: So singen Amseln und Waldschnepfen vor allem in der Dämmerung – sowohl am Morgen als auch am Abend. Arten wie der Zaunkönig werden dagegen erst ab April richtig aktiv. Frühaufsteher wie Meisen oder der Schwarzspecht lassen bereits im März ihre Stimmen hören, sind aber ab Ende April deutlich seltener zu vernehmen.
Erkenntnisse verändern bisherige Annahmen
Die Auswertung korrigiert auch langjährige Einschätzungen. Der Buntspecht galt bislang als vormittags besonders gut hörbar. Die neuen Daten zeigen jedoch: Schon zwei Stunden nach Sonnenaufgang wird er deutlich leiser. Im Gegensatz dazu bleiben Arten wie Blaumeise und Zilpzalp auch am späteren Vormittag noch gut nachweisbar.
Die Ergebnisse flossen in die aktuelle Ausgabe des Buchs „Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands“ ein. Dort dienen sie als Grundlage für die bessere Planung künftiger Zählungen. Laut Prof. Dr. Andreas Schuldt, Waldökologe an der Universität Göttingen, profitieren davon besonders Arten mit kurzen Aktivitätsphasen – etwa Grau- oder Kleinspechte.

Biodiversitätsmonitoring liefert zusätzliche Einblicke
Zeitgleich startete im April 2025 ein großflächiges Biodiversitätsmonitoring in Landeswäldern von Niedersachsen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein.
- Die NW-FVA untersucht, wie sich biologische Vielfalt in bewirtschafteten und unbewirtschafteten Wäldern entwickelt.
- Ziel ist es, die Wirkung natürlicher Waldentwicklung auf die Artenvielfalt besser zu verstehen.
Erfasst werden unter anderem Mikroklima, Waldstruktur und das Vorkommen von Pilzen, Käfern, Spinnen, Fledermäusen und Vögeln. Auch hier hilft künstliche Intelligenz: Audiorekorder registrieren die Rufe, ein KI-System analysiert sie automatisch. „Mit dem großflächigen Einsatz von akustischem Monitoring erwarten wir viele neue Erkenntnisse“, sagt Singer.
Naturnahe Wälder liefern wichtige Vergleichsdaten
Hintergrund des Monitorings ist die Entscheidung der beteiligten Landesforstbetriebe, jeweils zehn Prozent ihrer Waldfläche der natürlichen Entwicklung zu überlassen. Diese unbewirtschafteten Flächen schaffen Rückzugsräume für spezialisierte Arten und ermöglichen natürliche Prozesse wie das Altern von Bäumen oder die Bildung von Totholz.
Die Georg-August-Universität Göttingen bringt ihre Expertise im Bereich Waldökologie und akustischer Analyse in das Projekt ein. Gemeinsam mit der NW-FVA entstehen so neue Ansätze, um Veränderungen im Wald frühzeitig zu erkennen – und Naturschutzstrategien gezielter umzusetzen.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher der Georg-August-Universität Göttingen haben mithilfe künstlicher Intelligenz 6,4 Millionen Vogelrufe analysiert und dabei neue Aktivitätsmuster von 53 Waldvogelarten entdeckt.
- Die Studie zeigt, dass viele Vogelarten zu anderen Tageszeiten singen als bisher angenommen, was die Genauigkeit klassischer Vogelzählungen beeinflusst.
- Die Ergebnisse flossen in offizielle Methodenstandards ein und ergänzen ein groß angelegtes Biodiversitätsmonitoring, das auch auf unbewirtschaftete Wälder ausgeweitet wurde.
Übrigens: Wer dem Gesang von Vögeln lauscht, tut nicht nur der Natur etwas Gutes, sondern auch sich selbst. Studien zeigen, dass Vogelrufe Stress senken, Trost spenden und das Gehirn zur Ruhe bringen – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © David Singer