So entsteht mitten im Meer plötzlich eine gigantische Monsterwelle

27.500 Nordsee-Messungen liefern neue Einblicke in die seltene und gefährliche Entstehung von Monsterwellen.

Wie aus normalen Wellen Monsterwellen werden

Unter normalen Bedingungen entstehen Wellen, wenn Wind über die Meeresoberfläche weht. Es ist, als würde man über eine Tasse Kaffee pusten und kleine Kräuselungen auf der Oberfläche erzeugen. Auf dem Meer können sich diese Kräuselungen mit genügend Zeit und Raum zu großen Wellen entwickeln. © Vecteezy

Monsterwellen sind der Albtraum von Seeleuten. Ohne Vorwarnung türmt sich plötzlich eine einzelne Riesenwelle auf, doppelt so hoch wie alle anderen um sie herum. Innerhalb weniger Sekunden kann sie Schiffe beschädigen oder ganze Decks überspülen.

Ein Forschungsteam des Georgia Institute of Technology hat nun das bisher größte Datenset zu diesen Wellen ausgewertet. Grundlage der Studie waren präzise Lasermessungen von der Ölplattform Ekofisk in der zentralen Nordsee – über einen Zeitraum von 18 Jahren.

27.500 Datensätze aus der rauen Nordsee

Zwischen 2003 und 2020 erfassten Sensoren auf der Plattform alle 30 Minuten den Seegang. So kamen 27.500 halbstündige Aufzeichnungen zusammen, darunter Messungen während schwerer Stürme wie dem Andrea-Ereignis 2007. Jede Messreihe dokumentierte, wie stark die Wasseroberfläche über dem mittleren Meeresspiegel lag.

Seegangsaufzeichnungen erfassen die Höhe von Wellen und zeigen, wann einzelne Wellen deutlich über den Meeresspiegel hinausragen. © U.S. Government Accountability Office GAO presentation of U.S. Coast Guard data.
Seegangsaufzeichnungen erfassen die Höhe von Wellen und zeigen, wann einzelne Wellen deutlich über den Meeresspiegel hinausragen. © U.S. Government Accountability Office GAO presentation of U.S. Coast Guard data.

Normalerweise entstehen Wellen, wenn Wind über das Wasser streicht. Manchmal schießt eine Welle von ihnen plötzlich in die Höhe, weit über das übliche Maß hinaus. Genau diesen Moment wollten die Forscher verstehen.

Bekannte Theorie hält auf offener See nicht stand

Eine gängige Erklärung, die sogenannte modulatorische Instabilität, beschreibt diesen Effekt gut in engen Wasserkanälen. Dort drängen sich Wellen wie Menschen in einem schmalen Ausgang, bis sich ein „Stau“ zu einer einzelnen, hohen Welle aufbaut.

Auf offener See läuft es anders. In der Nordsee treffen Wellen aus verschiedenen Richtungen aufeinander. „Im realen Ozean greifen die Mechanismen aus dem Labor nicht automatisch“, erklärt Studienautor Francesco Fedele. Die Analyse zeigte: In freiem Wasser folgt die Entstehung nicht diesem bekannten physikalischen Modell.

Ein Komplex von Plattformen im Ölfeld Ekofisk in der Nordsee. © BoH via Wikimedia unter CC BY-SA 1.0
Im Ölfeld Ekofisk in der Nordsee wurden über 18 Jahre mehr als 27.000 Daten erhoben, um zu verstehen, wie Monsterwellen entstehen. © BoH via Wikimedia unter CC BY-SA 1.0

Die Daten sprechen für einen anderen Mechanismus: konstruktive Interferenz. Dabei treffen mehrere Wellenkämme gleichzeitig aufeinander und addieren sich zu einer deutlich höheren. Fallen diese Bedingungen zusammen, baut sich in Sekunden eine gigantische Welle auf.

Wichtige Faktoren dabei:

  • Asymmetrie von Wellen – Kämme sind steiler als Täler tief sind.
  • Timing – Je genauer die Kämme zusammentreffen, desto höher die Welle.

„Es reicht ein kurzer Moment, in dem viele gewöhnliche Wellen perfekt zusammentreffen“, so Fedele.

Warum es keine unendlichen Wellen gibt

Theoretisch könnten sich solche Wellen unbegrenzt aufbauen. In der Realität begrenzt der Wellenbruch ihre Höhe. Überschreitet eine Welle ein kritisches Maß, kippt der Kamm um, bricht und setzt überschüssige Energie als Gischt frei.

Das Entstehungsmuster folgt einem quasi-deterministischen Ablauf: Es ist erkennbar, aber nie ganz gleich. Diese Mischung aus wiederkehrenden Strukturen und Zufall macht Monsterwellen so schwer vorhersagbar.

Der „Fingerabdruck“ einer Monsterwelle

Der italienische Ozeanograf Paolo Boccotti entwickelte ein Modell, das diesen Ablauf beschreibt. Es geht davon aus, dass jede Monsterwelle von einer charakteristischen Gruppe kleinerer Wellen begleitet wird. Diese „Wellenpakete“ entstehen, wachsen und vergehen gemeinsam – der Riese ist der Höhepunkt.

In den Nordsee-Daten tauchte dieses Muster wiederholt auf. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel: Am 24. November 2023 traf ein Sturm auf die Plattform Ekofisk. Eine Kamera erfasste eine 17 Meter hohe Welle. Analysen mit Boccottis Theorie und einem KI-Modell ergaben: Mehrere Wellen aus unterschiedlichen Richtungen hatten sich wiederholt übereinandergelegt, bis dieser Riese entstand.

Die Studie zeigt also: Monsterwellen sind keine Anomalien. Ihre Entstehung folgt bestimmten Mustern, die sich mit modernen Messmethoden erkennen lassen. Und jede aufgezeichnete Riesenwelle liefert neue Hinweise darauf, wie solche Naturgewalten entstehen.

Links: Stereo-Videoaufnahmen eines schweren Sturms in der Nordsee am 24. November 2023, aufgenommen auf der Plattform Ekofisk. Rechts: Das Wellen­gruppen­muster der aufgezeichneten Monsterwelle. © YouTube

Kurz zusammengefasst:

  • Monsterwellen sind einzelne, extrem hohe Wellen, die plötzlich entstehen und Schiffe oder Offshore-Anlagen gefährden können.
  • Ein Team um Francesco Fedele analysierte 27.500 Messungen aus 18 Jahren von der Ölplattform Ekofisk in der Nordsee, um ihre Entstehung zu verstehen.
  • Die Auswertung widerlegte eine gängige Theorie und identifizierte ein wiederkehrendes Entstehungsmuster, das auf realen Seebedingungen basiert.

Übrigens: Offshore-Windparks liefern sauberen Strom, setzen aber auch unsichtbare Farbpartikel frei, die sich im Meer verteilen und dort das Ökosystem gefährden können – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Vecteezy

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