Stirnzähne zur Paarung: Geisterhai überrascht mit skurrilem Liebesorgan

Bei Geisterhaien wachsen echte Zähne aus der Stirn – sogenannte Stirnzähne. Forscher vermuten: Bei der Paarung helfen sie, das Weibchen festzuhalten.

Skurriles Liebesorgan: Geisterhaie nutzen Stirnzähne zur Paarung

Ein männlicher Geisterhai (Hydrolagus colliei) zeigt eine seltene Besonderheit: eine Art Haken mit Zähnen auf der Stirn, die er bei der Paarung einsetzt.

Sie leben tief unten im Meer, in einer Welt ohne Licht. Geisterhaie sind seltene, geheimnisvolle Wesen – mit glatter Haut, spitzen Flossen und einer fernen Verwandtschaft zu Haien und Rochen. Viel ist über diese Tiere nicht bekannt. Doch jetzt sorgt ein Fund für Aufsehen. Ein Forschungsteam aus den USA hat bei männlichen Geisterhaien ein Organ entdeckt, das wie ein kleiner Stab aus der Stirn ragt und mit echten Zähnen besetzt ist.

Diese Stirnzähne der Geisterhaie bestehen aus dem gleichen Gewebe wie die Zähne im Maul. Aktuelle Untersuchungen der University of Florida zeigen: Die Natur nutzt bekannte Baupläne manchmal ganz anders, als wir es erwarten.

Eine gezähnte Waffe direkt auf dem Kopf

Geisterhaie sind als Chimären bekannt und mit Haien sowie Rochen verwandt. Das Stirnorgan der Männchen heißt Tenakulum. Es ist beweglich, besteht aus Knorpelgewebe und kann wie ein Haken nach vorne ausgeklappt werden. An seiner Spitze sitzen spitze, gebogene Zähne, die wie normale Kieferzähne aufgebaut sind.

Die Forscher vermuten, dass das Tenakulum bei der Paarung zum Einsatz kommt. Die Männchen halten sich damit vermutlich an den Weibchen fest – ähnlich wie andere Tiere Krallen oder Zähne nutzen. Solche echten Zähne außerhalb des Mauls waren bisher bei Wirbeltieren nicht bekannt.

Mehr als nur Hautstrukturen

Haie und Rochen besitzen sogenannte Dermaldentikel, kleine zahnähnliche Schuppen. Die Stirnzähne der Geisterhaie unterscheiden sich jedoch grundlegend:

  • In ihrem Inneren liegt eine Pulpenhöhle.
  • Das Material besteht aus Dentin, genetisch aktiv wie bei Kieferzähnen.
  • Ihr Ursprung ist eine Zahnleiste – die gleiche Struktur, aus der auch Mundzähne entstehen.
  • Außerdem erneuern sie sich regelmäßig.

„Die Zähne im Tenakulum zeigen alle Merkmale echter Zähne“, schreiben die Autoren der Studie.

Ein CT-Scan zeigt das Stirnorgan (Tenakulum) eines erwachsenen männlichen Geisterhais – deutlich erkennbar sind die Zahnreihen, die das Organ bedecken.
Ein CT-Bild zeigt das Stirnorgan eines männlichen Geisterhais. Auf dem knorpeligen Fortsatz sind mehrere Reihen echter Zähne sichtbar. © Karly Cohen/Ella Nicklin

Gene für Zahnwachstum – am falschen Ort

Die Zähne des Tenakulums wachsen nicht aus der Haut, sondern aus Gewebe, das sonst nur im Kiefer aktiv ist. Das Team um Dr. Gareth Fraser von der University of Florida wies nach, dass dort dieselben Gene aktiv sind wie im Maul – darunter Sox2 und β-Catenin. Fraser fragt: „Wenn Chimären Zähne außerhalb des Mauls bilden können – wo könnten dann noch überall Zähne entstehen?“

Ein Modell für Evolution und Medizin

Der Fund verdeutlicht, wie viel in den Tiefen der Meere noch unentdeckt ist. „Diese Struktur dokumentiert eine vergessene Fähigkeit von Wirbeltieren: Zähne konnten evolutionär auch außerhalb des Mauls entstehen“, fasst Karly Cohen von der University of Washington die Entdeckung zusammen. Sie zeigt, wie flexibel die Evolution alte Baupläne einsetzen kann. Ein Zahnsystem, das ursprünglich im Maul entstanden ist, wurde an eine andere Körperstelle verlagert und erfüllt dort eine neue Funktion.

Diese kreative Umnutzung macht die Geisterhaie auch für die Zahnmedizin interessant. Wenn echter Zahnschmelz außerhalb des Kiefers wachsen kann, rückt die Vision näher, verlorene Zähne zu ersetzen, geschädigte Wurzeln zu reparieren oder angeborene Zahnfehlbildungen gezielt zu behandeln.

Kurz zusammengefasst:

  • Geisterhaie entwickeln auf ihrer Stirn ein gezahntes Organ, das sogenannte Tenakulum – die Stirnzähne sind echte Zähne mit Pulpenhöhle und Dentin, die sich genetisch wie Kieferzähne verhalten.
  • Das Stirnorgan dient vermutlich der Paarung und zeigt, dass Zahnbildung bei Wirbeltieren nicht auf den Mundraum beschränkt ist – auch andere Körperregionen könnten dieses Potenzial besitzen.
  • Die Entdeckung hilft, Zahnentwicklung besser zu verstehen, und liefert wertvolle Hinweise für mögliche Therapien zur Regeneration oder zum Ersatz von Zähnen in der Zahnmedizin.

Übrigens: Unsere Vorfahren kauten schon Gräser und Knollen, als ihre Zähne dafür noch gar nicht gemacht waren – und genau das trieb ihre Entwicklung voran. Wie frühe Homininen durch ihr Verhalten die Evolution beeinflussten. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: Gareth J. Fraser, University of Florida

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