Krähen lernen den Umgang mit Werkzeug – und verblüffen Forscher in Tübingen
Tübinger Forscher brachten Rabenkrähen bei, Werkzeug zu benutzen. Dabei tun die Tiere das in freier Wildbahn sonst nicht.

Krähen gehören zu den wenigen Tieren, die Werkzeuge nutzen. Auch die heimische Rabenkrähe ist dazu in der Lage, wie Forscher aus Tübingen entdeckt haben. © Felix Moll
Lange galt, dass der Gebrauch von Werkzeug eine der Fähigkeiten ist, die Menschen von Tieren unterscheiden. Heute ist bekannt: Tiere verwenden Werkzeuge, wenngleich ihre weniger komplex und präzise sind. Forscher der Eberhard Karls Universität Tübingen haben nun in einem Experiment herausgefunden, dass auch heimische Rabenkrähen in der Lage sind, den zielgerichteten Einsatz von Werkzeug zu erlernen.
Ein Team aus Forschern trainierte drei zahme Rabenkrähen. Mit einem Stäbchen schoben die Tiere Futterpellets aus einer transparenten Box, die sie mit dem Schnabel allein nicht erreichen konnten. In ihrer Studie beschreiben die Forscher, wie die Vögel ihre Bewegungen schrittweise verfeinerten.
Rabenkrähen besitzen eine seltene Fähigkeit
Die Vögel übten am Institut für Neurobiologie der Universität Tübingen mit Belohnungen. Sie zogen den Stab zuerst aus einer Halterung, richteten ihn gerade aus und schoben das Pellet mit dem Stab kontrolliert an die Kante. So beförderten sie es in Reichweite ihres Schnabels. Dabei beobachten sie ganz genau, wie sich die Bewegungen der Stabspitze auf das Pellet auswirkten.
„Der Gebrauch von Werkzeugen kommt im Tierreich insgesamt recht selten vor“, sagt Dr. Felix Moll, Hauptautor der Studie vom Lehrstuhl für Tierphysiologie. „Am häufigsten ist er bei geschickten Generalisten wie Primaten, Papageien und Krähenvögeln zu beobachten.“
Abläufe werden präziser, Fehler korrigiert
Bewegungsaufzeichnungen zeigen, dass die Rabenkrähen mit der Zeit immer präziser wurden. Anfangs bewegten sie den Stab nur ungenau: Mit weit ausholenden Bewegungen schoben sie das Pellet oft nur hin und her. In dieser Phase brauchten sie mehrere Versuche, um ans Futter zu gelangen.
„Im Vergleich dazu zeigen die Aufzeichnungen späterer Trainingseinheiten hochpräzise Bewegungsabläufe“, berichtet Julius Würzler, Co-Autor der Studie. „Die Bewegungen des Stäbchens sind in den jeweiligen Standardsituationen wenig variiert, die Krähe schiebt das Futterpellet zielstrebig an eine Seite der Box und holt es heraus.“

Werkzeuggebrauch bleibt auch bei Krähen die Ausnahme
In freier Wildbahn nutzen Rabenkrähen keine Werkzeuge. Regelmäßiger Werkzeuggebrauch ist derzeit bei nur zwei Krähenarten bekannt: der Neukaledonienkrähe (auch Geradschnabelkrähe genannt) und der Hawaiikrähe. Gerade der instinktive Einsatz von Werkzeug durch erstere fasziniere Forscher seit Langem, sagt Moll.
Die motorisch-kognitiven Fähigkeiten hinter diesem Verhalten wie die Verständnisebene von Ursache und Wirkung sowie die präzise, aber flexible Bewegungskontrolle wurden bisher aber nicht näher untersucht.
Felix Moll
Ziel dieser Studie an der Uni Tübingen war es, herauszufinden, ob eine andere Krähenart den Werkzeuggebrauch prinzipiell ebenso gut erlernen kann. Zudem wollten die Forscher wissen, wie das Lernen die nötigen Fähigkeiten formt.
Vier Faktoren entscheiden, ob Tiere Werkzeuge einsetzen
Professor Andreas Nieder erklärt: „Um den Werkzeuggebrauch zu erlernen, müssen mehrere Faktoren zusammenkommen. Die Motivation, das konzeptionelle Wissen und große kognitive Fähigkeiten sowie die feinmotorische Kontrolle.“ Die Krähen nutzten den Stab als eine funktionale Verlängerung des Körpers.
Das Team hält schon einen geringen Evolutionsdruck für ausreichend, damit Rabenkrähen solche Fähigkeiten auch ohne Training entwickeln. Moll ergänzt: „Wenn bei uns nicht die Spechte – mit ihrer hochspezialisierten langen Zunge – Totholz bewohnende Käferlarven aus ihren Gängen fischen würden, könnte diese nahrhafte Proteinquelle vielleicht irgendwann durch Werkzeug gebrauchende Rabenkrähen erschlossen werden.“
Kurz zusammengefasst:
- Rabenkrähen können durch Training lernen, ein Stäbchen gezielt als Werkzeug zu nutzen, obwohl sie das in freier Wildbahn nicht tun.
- In Versuchen der Universität Tübingen mit drei Tieren wurden die Bewegungen zunehmend präzise und die Fehler rasch korrigiert.
- Werkzeuggebrauch wird nur bei Neukaledonien- und Hawaiikrähen regelmäßig beobachtet, doch bereits ein geringer Evolutionsdruck könnte die Fähigkeit auch bei anderen Arten fördern.
Übrigens: Mithilfe künstlicher Intelligenz haben Forscher die Gewohnheiten deutscher Waldvögel untersucht und dabei etwas Überraschendes festgestellt – ihre Gesangsmuster sind viel komplexer als gedacht. Mehr dazu gibt es in diesem Artikel.
Bild: © Felix Moll