Ozeane schlucken viel weniger CO2 – eine Milliarde Tonnen bleiben in der Luft

2023 speicherten die Ozeane fast eine Milliarde Tonnen CO2 weniger als erwartet – ein Warnsignal für das globale Klimasystem.

Ozeane schlucken viel weniger CO2 – ETH warnt vor Kippeffekt

Forscher der ETH Zürich melden eine deutliche Schwächung der ozeanischen CO2-Aufnahme in mehreren Meeresregionen. © Pexels

Wenn die Weltmeere ihren CO2-Puffer verlieren, gerät ein zentrales Element des Klimaschutzes ins Rutschen.
Lange galten die Ozeane als stille Verbündete im Kampf gegen den Treibhauseffekt: Jahr für Jahr nahmen sie riesige Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und bremsten so die Erderwärmung. Doch neue Messdaten sind alarmierend. Im Jahr 2023 haben die Meere zehn Prozent weniger CO2 aufgenommen als erwartet.

Forscher der ETH Zürich haben das Problem erstmals global vermessen. Sie fanden heraus, dass die Aufnahmefähigkeit der Meere spürbar abgenommen hat – trotz eines El-Niño-Jahres, das sonst eher zur CO2-Speicherung beiträgt. Der Grund: Rekordtemperaturen auf den Ozeanen, vor allem außerhalb der Tropen.

Meere nehmen fast eine Milliarde Tonnen CO2 weniger auf

Normalerweise schlucken die Ozeane etwa ein Viertel des vom Menschen ausgestoßenen CO2. Diese sogenannte Senkenleistung ist enorm wichtig: Ohne sie wäre die Erderhitzung weiter fortgeschritten. 2023 jedoch speicherten die Meere fast eine Milliarde Tonnen CO2 weniger als erwartet. Das entspricht etwa der Hälfte der jährlichen Emissionen der EU.

Nicolas Gruber, Umweltphysiker an der ETH Zürich, spricht von einem kritischen Signal: „Diese sprunghafte Erwärmung des globalen Ozeans auf neue Rekordtemperaturen ist für die Klimaforschung herausfordernd – denn bislang war unklar, wie die marine Kohlenstoffsenke darauf reagiert.“

Warum warmes Wasser zum Problem wird

Warme Ozeane können schlechter CO2 speichern. Je höher die Temperatur, desto weniger löst sich das Gas im Wasser. Im Jahr 2023 stiegen die Temperaturen vieler Meeresregionen deutlich an – der Nordatlantik zum Beispiel verzeichnete eine Erhöhung um rund 0,5 Grad Celsius über dem Normalwert. Das klingt wenig, hat aber große Auswirkungen.

„Die hohen Temperaturen reduzierten die Löslichkeit des CO2, was zu einem anormalen Ausgasen von CO2 führte und die Senkenleistung verringerte“, erklärt Studienleiter Jens Daniel Müller.

El-Niño-Effekt überlagert

Ein El-Niño-Jahr führt normalerweise dazu, dass sich CO2-reiches Tiefenwasser weniger stark an die Oberfläche mischt. Dadurch wird weniger CO2 an die Atmosphäre abgegeben. Auch 2023 trat dieses Phänomen auf – doch es reichte nicht aus, um den negativen Effekt der Rekordtemperaturen auszugleichen.

„Allerdings hat die starke Erwärmung des außertropischen Ozeanes den El-Niño-Effekt im tropischen Pazifik ausgehebelt“, sagt Müller. Das heißt: Was die Tropen an CO2 zurückhalten konnten, haben andere Regionen, vor allem der Nordatlantik, wieder an die Luft abgegeben.

Ein Kampf zwischen Prozessen

Zum Glück gibt es auch gegenläufige Mechanismen. Sie verhindern, dass die Meere sofort völlig ihre Rolle als CO2-Speicher verlieren. Dazu zählen:

  • Ausgasung selbst: Wenn CO2 entweicht, sinkt der CO2-Gehalt im Oberflächenwasser, was neues CO2 anziehen kann.
  • Stabile Schichtung: Warmes Wasser bleibt oben, kaltes bleibt unten. Dadurch steigt weniger CO2-reiches Tiefenwasser auf.
  • Biologische Pumpe: Plankton nimmt CO2 auf, stirbt ab und sinkt mit dem gebundenen Kohlenstoff in die Tiefe.

„Somit kann man die Antwort des Ozeans auf die extremen Temperaturen von 2023 als Resultat eines permanenten Tauziehens zwischen temperaturbedingtem Ausgasen und gleichzeitiger Verarmung an gelöstem CO2 verstehen“, so Gruber.

Weltweite Datennetze offenbaren Schwäche der Ozeane als CO2-Speicher

Um zu diesen Ergebnissen zu kommen, nutzten die Forscher ein weltweites Messnetz. Frachtschiffe, Forschungsschiffe und Messbojen lieferten Daten zum CO2-Gehalt an der Meeresoberfläche. Diese wurden mit Satellitendaten und KI-gestützten Modellen ausgewertet.

Untersucht wurden vor allem Meeresgebiete zwischen der Südhalbkugel und dem nördlichen Polarkreis. Arktis und Antarktis blieben außen vor, weil es dort zu wenige verlässliche Messdaten gibt.

Wenn die marine Kohlenstoffsenke schwächelt, spürt es die ganze Gesellschaft

Die Studienergebnisse werfen wichtige Fragen auf. Denn wenn die Meere weniger CO2 aufnehmen, verbleibt mehr davon in der Atmosphäre. Das verstärkt den Treibhauseffekt. In der Folge könnten Hitzewellen, Starkregen und der Anstieg des Meeresspiegels zunehmen.

Besonders betroffen wären:

  • Küstenstädte, die mit häufigeren Überschwemmungen rechnen müssten
  • Landwirtschaft, die unter Wetterextremen leidet
  • Gesundheitssysteme, die sich auf neue Belastungen einstellen müssten
  • Wirtschaft und Politik, die schneller reagieren müssten

Ungewisse Zukunft: Halten die Ozeane dem Klimadruck stand?

„Wie sich die Senkenleistung künftig entwickeln wird, können wir aber noch nicht sicher sagen“, so Müller. Zwar konnten verschiedene Prozesse die Schwächung 2023 abfedern. Doch es ist offen, ob sie auch bei noch häufigeren und stärkeren Hitzewellen ausreichen.

Gruber warnt: „Ob die kompensierenden Mechanismen langfristig wirksam bleiben und das temperaturbedingte Ausgasen begrenzen, ist unklar.“

Vorläufig nimmt der globale Ozean aber immer noch sehr viel CO2 auf – zum Glück.

Nicolas Gruber

Wie lange das so bleibt, ist jedoch unsicher. Die Studie macht klar: Die marine CO2-Senke ist keine feste Größe. Und der Puffer, auf den sich das Klimasystem bislang verlassen konnte, könnte bröckeln.

Kurz zusammengefasst:

  • Die Weltmeere nahmen 2023 rund zehn Prozent weniger CO2 auf als erwartet – das entspricht etwa der Hälfte der Emissionen der EU.
  • Die marine Kohlenstoffsenke schwächt sich ab: Wärmeres Wasser bindet weniger CO2, Teile des Nordatlantiks geben sogar CO2 zurück in die Atmosphäre.
  • Ob die Ozeane ihre Rolle als CO2-Speicher behalten, ist unklar – das erhöht den Druck auf schnelle Emissionssenkungen.

Übrigens: Auch ein unscheinbares Spurenelement wie Eisen kann darüber entscheiden, ob die Ozeane CO2 speichern oder es in die Atmosphäre entweicht. Warum selbst der feinste Staub Einfluss auf das Klima hat – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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