1 Million Kilometer: Neandertaler legten lange Wanderung nach Osten in Rekordzeit zurück
Neue Simulation überrascht Forscher: Neandertaler legten lange Wanderung von 1 Million Kilometern in nur 2000 Jahren zurück.

In kleinen Gruppen durchquerten Neandertaler Flusstäler und Wälder, nutzten natürliche Korridore und legten so in nur 2000 Jahren weite Strecken bis nach Sibirien zurück. © DALL-E
Vor rund 120.000 bis 80.000 Jahren begaben sich die Neandertaler auf ihre zweite große Wanderung von Westeuropa Richtung Osten. Neueste Simulationen liefern nun spannende Einblicke, wie diese Reise verlaufen sein könnte.
Die besagte Studie wurde von Emily Coco, Postdoktorandin im Yale Paleoarchaeology Lab, und Dr. Radu Iovita vom Department of Anthropology der New York University durchgeführt. Die beiden haben ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift PLoS One veröffentlicht. Demnach könnten Neandertaler in weniger als 2000 Jahren die 1 Million Kilometer lange Route bis in den Altai zurückgelegt haben. Möglich gemachten haben dies intelligente Bewegungsmuster und die Nutzung natürlicher Korridore.
Nur drei von 110 Simulationen führten ans Ziel
Die Forscher nutzten ein Simulationsmodell, das davon ausgeht, dass die Neandertaler nicht immer den direktesten Weg genommen haben – sondern den jeweils günstigsten:
- Das Modell berücksichtigt Landschaftsformen, Wasserläufe, Klima und Gletscherstände.
- Die Simulationen berücksichtigen dabei auch klimatische Schwankungen, die den Neandertalern in manchen Epochen bessere Bedingungen boten.
- Die Berechnungen deckten den Zeitraum vor zwischen 190.000 und 60.000 Jahren ab.
Von insgesamt 110 durchgeführten Modellläufen endeten lediglich drei erfolgreich im Altai-Gebiet. Diese erfolgreichen Simulationen zeigen, dass die Neandertaler vermutlich vor allem entlang nördlicher Routen zogen. Alle erfolgreichen Wanderungen verliefen über den Kaukasus, weiter durch die Uralberge und anschließend über Südsibirien bis in die Altai-Region.
Besonders entscheidend für den Erfolg der Wanderung waren Flussläufe wie der Volga-Kama-Korridor, der Chusovaya-Pass sowie die Flüsse Ob und Irtysch. Die Wasserwege boten den Neandertalern Orientierung und vergleichsweise leichtes Vorankommen. Die Neandertaler hätten „ohne klares Ziel, aber geleitet durch das Gelände, stetig nach Osten expandiert“, erklären die Wissenschaftler.

Wie Klimaphasen die Routen beeinflussten
Die günstigsten Bedingungen fanden die Neandertaler laut Simulation während der Warmzeiten vor. In diesen Perioden waren große Teile Eurasiens gut begehbar, während die Kälteperioden mit ihren Eiswüsten und trockenen Steppen natürliche Barrieren bildeten. Besonders vor rund 120.000 Jahren öffneten sich weite Korridore. Die Gletscher hatten sich zurückgezogen, und die Vegetation erlaubte ausreichend Nahrungssuche auf dem Weg.
Während frühere Modelle auch südliche Routen entlang des Kaspischen Meeres in Betracht zogen, fanden Coco und Iovita keine Anhaltspunkte dafür. Die Simulationen zeigen, dass Transgressionen des Kaspischen Meeres – also das Vorrücken der Küstenlinie landeinwärts – während kühlerer Phasen den Zugang sogar komplett blockierten. Selbst Simulationen, die südlich des Kaukasus starteten, lenkten die Bewegungen später stets nach Norden.
Aufeinandertreffen mit Denisovanern wahrscheinlich
Die nördliche Route führte die Neandertaler dabei in Regionen, die bereits von Denisovanern bewohnt gewesen sein könnten. Genetische Spuren belegen, dass es zwischen beiden Menschengruppen mehrfach zu Vermischungen kam. „Denisova 11“ – ein Individuum, das vor rund 90.000 Jahren lebte – trägt sowohl Erbgut von Neandertalern als auch Denisovanern. Dies unterstützt die Vermutung, dass sich beide Populationen im Gebiet zwischen Ural und Altai begegnet sind.
Die angewandte Modellierung bietet wertvolle Ansätze, um zukünftige Ausgrabungen gezielt zu steuern und unbekannte Neandertaler-Fundstätten in Zentralasien aufzuspüren: Entlang der von den Forschern simulierten Wanderroute wurden bislang kaum archäologische Belege gesammelt.
Einige Zwischenstationen der Neandertaler, wie etwa das Turgai-Tal in Kasachstan, könnten laut den Autoren künftig neue Funde liefern. Wenn die Neandertaler nämlich tatsächlich dort entlang gewandert sind, dann haben sie auch Spuren hinterlassen.
Kurz zusammengefasst:
- Die Wanderung der Neandertaler führte sie vor 120.000 bis 80.000 Jahren von Europa nach Zentralasien. Sie erreichten den Altai spätestens vor 60.000 Jahren.
- Simulationen zeigen, dass sie über nördliche Routen durch den Kaukasus, die Uralberge und Südsibirien zogen, oft entlang großer Flüsse.
- Die Wanderung könnte weniger als 2000 Jahre gedauert haben und führte zu Begegnungen von Neandertaler Denisovaner, was genetische Spuren belegen.
Bild: © DALL-E