Warum wir Alkohol vertragen, hat einen tierischen Ursprung
Menschenaffen fraßen vergorene Früchte – und beeinflussten damit unsere Fähigkeit, Alkohol zu verdauen. Eine Genmutation spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Schimpansen fressen gezielt vergorene Früchte vom Waldboden. Ihr Verhalten könnte die Grundlage für die menschliche Alkoholverträglichkeit gelegt haben. © Catherine Hobaiter/University of St Andrews
Zwischen vergorenem Obst im Dschungel und unserem Feierabendbier liegt eine überraschende Verbindung. Eine internationale Studie unter Leitung des Dartmouth College legt nahe, dass der menschliche Umgang mit Alkohol tief in der Evolutionsgeschichte verwurzelt ist und seinen Ursprung bei Menschenaffen hat.
Ein Verhalten namens Scrumping steht dabei im Mittelpunkt. Schimpansen und Gorillas sammeln vergorene Früchte vom Waldboden und essen sie. Die Früchte enthalten Alkohol und das offenbar nicht in unbedeutenden Mengen. Forscher vermuten, dass dieses Verhalten die Entwicklung eines speziellen Enzyms begünstigt hat, das Alkohol effizient abbaut.
Scrumping: Sammeln mit Nebenwirkung
Der Begriff „Scrumping“ stammt aus dem Mittelenglischen und beschreibt das Auflesen von Fallobst. Im Englischen kann er auch das heimliche Pflücken fremder Früchte bedeuten. Für die Biologie bekommt das Wort nun eine neue Bedeutung: das gezielte Fressen reifer, oft bereits fermentierter Früchte durch Menschenaffen.
Studienautor Nathaniel Dominy vom Dartmouth College sagt:
Es ist nicht so, dass Primatologen Scrumping nie beobachtet hätten – sie sehen es ziemlich regelmäßig. Aber das Fehlen eines Begriffs hat seine Bedeutung verschleiert.
Die Früchte enthalten Ethanol – also Alkohol. Dass Tiere das regelmäßig aufnehmen, überrascht auf den ersten Blick. Doch Scrumping bietet gleich mehrere Vorteile.
Alkohol bei Menschenaffen: Welchen Nutzen haben vergorene Früchte?
Die Forscher untersuchten in ihrer Studie 154 Fruchtarten, die auf dem Speiseplan von Menschenaffen stehen. Die Beschaffenheit der Fruchtschale spielte dabei keine Rolle. Schimpansen nehmen laut Beobachtungen täglich rund 4,5 Kilogramm Früchte zu sich. Dabei gelangen sie regelmäßig an vergorene Exemplare und damit auch an Alkohol.
Die Vorteile:
- Mehr Energie: Alkohol liefert zusätzliche Kalorien – ein Bonus, wenn Nahrung knapp ist.
- Weniger Risiko: Früchte am Boden sind leichter erreichbar, Kletterunfälle lassen sich vermeiden.
- Kaum Konkurrenz: Unreife Früchte in den Bäumen sind hart umkämpft. Fermentiertes Obst am Boden wird seltener beansprucht.
Hinzu kommt ein möglicher sozialer Effekt. Prof. Catherine Hobaiter von der Universität St. Andrews erklärt:
Ein grundlegendes Merkmal unserer Beziehung zu Alkohol ist die Tendenz, gemeinsam zu trinken, sei es das Bier mit Freunden oder ein großes Festmahl.
Genmutation stärkt die Alkohol-Toleranz
Im Zentrum der Forschung steht ein Enzym namens ADH4, das Alkohol im Körper abbaut. Eine bestimmte Genvariante, bekannt als A294V-Mutation, beschleunigt diesen Prozess erheblich – um das bis zu 40-Fache.
Diese genetische Anpassung trat vor rund 10 Millionen Jahren auf – also lange bevor Menschen sesshaft wurden oder Getränke herstellten. Betroffen waren afrikanische Menschenaffen, etwa Gorillas und Schimpansen. Orang-Utans, die fast ausschließlich in Bäumen leben und kaum Scrumping betreiben, besitzen diese Mutation nicht. Dominy erklärt: „Wir haben die Fähigkeit entwickelt, Alkohol zu metabolisieren, lange bevor wir gelernt haben, ihn selbst herzustellen.“
Scrumping dürfte also in bestimmten Lebensräumen ein fester Bestandteil des Verhaltens von Menschenaffen gewesen sein – mit langfristigen Folgen für den Stoffwechsel. Und womöglich auch für das soziale Gefüge. Gemeinsames Verzehren vergorener Früchte könnte das Miteinander der Tiere gestärkt haben – ähnlich wie heute bei uns Menschen das gemeinsame Anstoßen bei einem Fest.
Kurz zusammengefasst:
- Unsere Fähigkeit, Alkohol zu verdauen, geht auf eine Genmutation zurück, die vor etwa 10 Millionen Jahren bei afrikanischen Menschenaffen entstand – ausgelöst durch den regelmäßigen Verzehr vergorener Früchte.
- Dieses Verhalten, „Scrumping“ genannt, brachte gleich mehrere Vorteile: mehr Kalorien, weniger Sturzgefahr beim Klettern und weniger Nahrungskonkurrenz – es könnte auch das soziale Miteinander gefördert haben.
- Die Forschung zeigt: Alkohol war für unsere Vorfahren keine Droge, sondern eine Energiequelle – und soziale Rituale wie das gemeinsame Trinken haben möglicherweise sehr frühe Wurzeln in der Evolution.
Übrigens: Nicht nur Affen, auch Herrscher nutzten Alkohol strategisch – als Mittel zur Kontrolle, zur Bindung und zur Machtsicherung. Wie vergorene Getränke den Aufstieg politischer Systeme beförderten – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Catherine Hobaiter/University of St Andrews