Material der Zukunft – Wie Pilzmyzel Plastik ersetzt und sogar Altkleider frisst
Pilzmyzel verbindet Abfälle zu stabilem, kompostierbarem Material, ersetzt Plastik und kann sogar Textilien in nutzbare Rohstoffe zerlegen.

Aus Pilzgeflecht geformt: Diese Verpackungen verrotten, statt Müll zu hinterlassen. © Fraunhofer IAP / Jadwiga Galties
Unter unseren Füßen liegt ein Rohstoff, der leise wächst und riesiges Potenzial hat: Pilzmyzel. Dieses feine Geflecht aus Pilzfäden verbindet organische Partikel miteinander – und kann zu erstaunlich vielseitigen Werkstoffen werden. Vom Lederersatz über Verpackungen bis zu Dämmplatten: Das Pilzmyzel-Material könnte viele erdölbasierte Produkte ersetzen.
Das Besondere: Für die Herstellung nutzt man Abfälle aus der Land- und Forstwirtschaft. Stroh, Holzspäne oder Hanfschäben dienen als Nährboden. Der Pilz durchdringt das Material, zersetzt es teilweise und „verklebt“ die Reste zu einem festen, biologisch abbaubaren Verbund.
Wie aus Reststoffen ein vielseitiger Rohstoff wird
Forscher im Potsdamer Science Park haben den Prozess perfektioniert. „Angesichts von Klimawandel und allmählich versiegenden fossilen Rohstoffquellen sind dringend biologisch abbaubare Materialien gefragt, die weniger energieintensiv produziert werden“, sagt Dr. Hannes Hinneburg vom Fraunhofer IAP.
Der Ablauf klingt einfach – und ist doch raffiniert:
- Wasser mit organischen Reststoffen wie Stroh oder Sägespänen vermischen.
- Feuchtigkeit und Partikelgröße anpassen, Keime durch Hitze abtöten.
- Pilzmyzel dazugeben und zwei bis drei Wochen wachsen lassen.
Das Myzel bildet ein stabiles, dreidimensionales Netz, das sich formen lässt. Eine Wärmebehandlung macht das Material dauerhaft haltbar. Licht braucht es für den gesamten Prozess nicht.
Pilzmyzel-Material lässt sich gezielt anpassen
Der große Vorteil: Pilzart, Nährboden, Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmen, welche Eigenschaften das Material erhält. „Je nach Anwendung können sie strapazierfähig, dehnbar, reißfest, dicht, elastisch, weich und fluffig oder offenporig sein“, erklärt Hinneburg.
So entstehen zum Beispiel:
- Lederalternativen für Taschen, Portemonnaies und Möbelbezüge.
- Leichte Dämmplatten, die wärmeisolierend, feuchtigkeitsregulierend und brandbeständig sind.
- Formteile für Verpackungen, die Styropor ersetzen können.
Vom Labor in die Industrie
Der Weg in die Massenproduktion ist anspruchsvoll. In Europa gibt es bisher nur wenige Firmen, die Myzelmaterialien im großen Stil herstellen. Probleme bereiten der Zugang zu passenden Reststoffen und die gleichbleibende Qualität.
Um das zu ändern, haben die Forscher ein Rolle-zu-Rolle-Verfahren entwickelt. Dabei läuft das Material kontinuierlich durch eine Anlage, in der Temperatur und Feuchtigkeit exakt gesteuert werden. Das sorgt für gleichbleibende Eigenschaften und eine höhere Ausbeute – ein wichtiger Schritt, um industrielle Mengen zu produzieren.
„Dies ist entscheidend, um den wachsenden Bedarf der Industrie nach nachhaltigen Materialien zu decken und um langfristig unabhängiger von Erdöl zu werden“, sagt Hinneburg.
Potenzial für viele Branchen
Neben den Fraunhofer-Entwicklungen bestätigt auch eine andere Analyse, dass myzelbasierte Werkstoffe in vielen Bereichen konkurrenzfähig sind. Studien zeigen zum Beispiel:
- Wärmedämmung: Hält Wärme ähnlich gut zurück wie Mineralwolle oder Styropor – und hilft so beim Energiesparen
- Festigkeit: Kann je nach Mischung so weich wie Styropor oder so fest wie ein Ziegelstein sein
- Brandschutz: Brennt nicht schnell, sondern verkohlt – ohne giftige Rauchgase freizusetzen
- Kompostierbarkeit: Zerfällt im Kompost vollständig – meist innerhalb weniger Wochen oder Monate
Ein Rohstoff aus dem Boden – für die Zukunft
Pilzmyzel bietet eine Vielfalt an Eigenschaften, die sonst nur durch aufwendige chemische Verfahren entstehen – allein durch das Wachstum eines Pilzes.
Für Verbraucher kann das bedeuten: kompostierbare Verpackungen, Möbel mit Bezügen aus Pilzleder oder Häuser mit natürlicher Myzel-Dämmung.
„Die zahlreichen positiven Eigenschaften des Materials ermöglichen einen wichtigen Schritt in Richtung kreislauffähiges und klimapositives Bauen“, sagt Hinneburg über den unscheinbaren Waldbewohner.
Auch im Textilbereich wächst das Potenzial der Pilze
Nicht nur in Bau und Verpackung spielen Pilze ihre Stärken aus. Das polnische Start-up Myco Renew will mit einem speziell gezüchteten Pilzkonsortium Altkleider schnell und energiearm abbauen. „Wir bringen Pilzen bei, Kleidung zu essen“, sagt Mitgründer Tomasz Mierzwa laut euronews.
Weltweit landen jedes Jahr rund 92 Millionen Tonnen Textilien auf dem Müll. Myco Renew setzt nicht auf chemie- oder energieintensive Verfahren, sondern auf Fadenpilze, die Natur- und Synthetikstoffe in wenigen Wochen zersetzen. Die Reste lassen sich anschließend als Ökomaterial im Bauwesen oder in der Mode wiederverwenden.
Aktuell läuft die Technologie noch im Labormaßstab. Innerhalb eines Jahres will das Unternehmen eine halbautomatische Testanlage in Betrieb nehmen – mit dem Ziel, das Verfahren später in europäischen Städten einzusetzen.
Kurz zusammengefasst:
- Pilzmyzel kann organische Abfälle in stabile, biologisch abbaubare Materialien umwandeln, die Plastik, Leder oder Styropor ersetzen.
- Je nach Pilzart und Substrat lassen sich Eigenschaften wie Festigkeit, Elastizität oder Wärmedämmung gezielt einstellen.
- Neben Bau und Verpackung eignet sich die Technologie auch zum Recycling von Textilien, welche Pilze in wenigen Wochen zu nutzbaren Rohstoffen zersetzen.
Übrigens: Auch Bakterien können wahre Materialwunder schaffen – sie weben ultrafeine Fasern zu stabilen, biologisch abbaubaren Folien. Wie diese Hightech-Membranen Plastik ersetzen könnten – mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Fraunhofer IAP / Jadwiga Galties