Tauben besitzen ein eingebautes biologisches GPS: LMU-Forscher entdecken Magnetsinn im Innenohr

Tauben haben einen Magnetsinn, der wie kabelloses Laden funktioniert und ihnen hilft, sich über weite Strecken zu orientieren.

Magnetsinn: Tauben haben eingebautes biologisches GPS

Der Orientierungssinn von Tauben folgt physikalischen Gesetzen: Zellen im Innenohr wandeln Magnetfelder in elektrische Signale um. © Pexels

Wie schaffen es Tauben, hunderte Kilometer weit zu fliegen und punktgenau ihr Zuhause zu finden – selbst bei Nebel, Dunkelheit oder dichter Wolkendecke? Eine neue Studie aus München liefert die bislang überzeugendste Antwort auf dieses Rätsel. Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) zeigen, dass sich der Orientierungssinn der Tiere im Innenohr befindet. Dort registrieren spezialisierte Zellen Magnetfelder und wandeln sie in elektrische Signale um – nach demselben Prinzip, das beim kabellosen Laden von Smartphones wirkt.

Damit bestätigen die Wissenschaftler eine mehr als hundert Jahre alte Theorie, die lange als Irrtum galt. Der Magnetsinn der Tiere beruht demnach nicht auf Eisenpartikeln im Schnabel oder lichtabhängigen Sensoren in den Augen, wie zuvor oft vermutet wurde, sondern auf einer fein abgestimmten Verbindung zwischen Ohr und Gehirn.

Wie der Magnetkompass im Innenohr arbeitet

Die im Fachmagazin Science veröffentlichte Studie untersuchte das Gehirn von Tauben, während sie künstlich erzeugten Magnetfeldern ausgesetzt waren. Das Team um Professor David Keays nutzte modernste Bildgebungstechniken, um alle Hirnregionen gleichzeitig zu erfassen. Auffällig aktiv war eine Region namens Vestibularkern – sie ist eng mit dem Innenohr verknüpft, das auch den Gleichgewichtssinn steuert.

Bei der Analyse der Innenohrzellen entdeckten die Forscher eine besondere Zellart: sogenannte Typ-II-Haarzellen. Diese Zellen besitzen elektrische Eigenschaften, die es ihnen erlauben, magnetische Impulse direkt in elektrische Signale umzuwandeln. „Die von uns beschriebenen Zellen sind ideal dafür geeignet, Magnetfelder mithilfe elektromagnetischer Induktion zu erkennen“, erklärt Keays. „So finden Tauben ihren Weg nach Hause – nach dem gleichen physikalischen Prinzip, das auch das kabellose Laden von Mobiltelefonen ermöglicht.“

Strom aus Magnetfeldern – und Orientierung daraus

Das Prinzip der elektromagnetischen Induktion ist seit der Entdeckung durch Michael Faraday bekannt: Wenn sich ein Magnetfeld verändert, entsteht ein elektrischer Strom. Die LMU-Studie zeigt, dass auch biologische Systeme dieses physikalische Gesetz nutzen. Bei Tauben wandeln die Sinneszellen im Innenohr Magnetfeldänderungen in schwache elektrische Signale um, die das Gehirn zu Richtungssignalen verarbeitet.

Das Ergebnis ist ein präzises, wetterunabhängiges Orientierungssystem – ein „biologisches GPS“.
Die Forscher konnten erstmals einen vollständigen neuronalen Signalweg rekonstruieren, der diese Information weiterleitet:

  • Ausgangspunkt: die Bogengänge des Innenohrs, wo die Magnetfelder erfasst werden.
  • Weiterleitung: elektrische Impulse gelangen über den Vestibularkern ins Mesopallium, eine Hirnregion für komplexe Verarbeitung.
  • Ergebnis: das Tier „weiß“, in welcher Richtung es fliegt – selbst ohne visuelle Orientierung.

Alte Theorie und neue Beweise für den Magnetsinn der Tauben

Schon 1882 hatte der französische Naturforscher Camille Viguier vermutet, dass Magnetwahrnehmung auf elektrischen Strömen im Innenohr beruht. Seine Idee geriet in Vergessenheit – bis die Münchner Forscher sie mit moderner Technik wieder aufgriffen. „Unsere Daten unterstützen ein Modell, bei dem elektromagnetische Signale aus den Bogengängen des Innenohrs ein bestimmtes Hirnnetzwerk aktivieren“, heißt es in der Studie.

Das erklärt, warum sich frühere Ansätze – etwa die Suche nach Eisenpartikeln im Schnabel – nie als ausreichend erwiesen. Der neue Befund legt nahe, dass Tauben Magnetfelder unabhängig vom Licht erkennen. Sie nutzen also keinen „Kompass im Auge“, sondern einen tief im Kopf verborgenen Sensor.

Mehr als nur ein Orientierungstrick

Für die Wissenschaft ist die Entdeckung ein wichtiger Schritt, um zu verstehen, wie Tiere sich über große Distanzen orientieren. Zugvögel, Meeresschildkröten und selbst manche Fische scheinen ähnliche Mechanismen zu nutzen. Der jetzt gefundene Signalweg könnte daher Teil eines evolutionär alten Systems sein, das sich mehrfach entwickelt hat.

Professor Keays vermutet sogar, dass es verschiedene Formen des Magnetgefühls gibt: „Unsere Daten deuten darauf hin, dass es im Innenohr einen sogenannten dunklen Kompass gibt, während andere Studien auf einen lichtabhängigen Kompass im visuellen System hinweisen.“

Kurz zusammengefasst:

  • Tauben orientieren sich mithilfe eines Magnetsinns im Innenohr, der Magnetfelder in elektrische Signale umwandelt – ähnlich wie beim kabellosen Laden.
  • Eine LMU-Studie zeigt, dass spezielle Haarzellen diese Signale über ein neuronales Netzwerk im Gehirn verarbeiten und so präzise Navigation ermöglichen.
  • Damit wird eine Theorie von 1882 bestätigt: Der Orientierungssinn vieler Tiere beruht auf messbaren physikalischen Prozessen, nicht auf Instinkt.

Übrigens: Kabellos – also induktiv – laden können jetzt nicht nur Smartphones, sondern auch Autos: Auf der A6 bei Amberg fließt Strom durch den Asphalt. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert