Als das Magnetfeld der Erde versagte: Starb der Neandertaler aus, weil er keinen Sonnenschutz auftrug?

Vor 41.000 Jahren wurde die Erde schutzlos – wer sich anpassen konnte, hatte die besseren Karten.

Magnetfeld-Kollaps: Homo sapiens mit Schutz – Neandertaler nicht

Als das Magnetfeld schwächelte, tanzten Polarlichter über Europa – ein schönes Schauspiel mit gefährlicher Strahlung im Gepäck. © Pexels

Vor 41.000 Jahren wurde die Erde für kosmische Strahlung durchlässig. Das Magnetfeld, das unseren Planeten normalerweise vor hochenergetischen Teilchen schützt, brach fast vollständig zusammen. Für etwa 2.000 Jahre war es nur noch ein Zehntel so stark wie heute. Die magnetischen Pole verschoben sich in Richtung Äquator. Über Europa, Nordafrika und anderen Teilen der Welt drangen UV-Strahlung und Teilchenströme tief bis zur Erdoberfläche vor. Diese Phase des Magnetfeld-Kollaps – bekannt als Laschamps-Exkursion – fiel zeitlich mit dem Verschwinden der Neandertaler und der Ausbreitung des Homo sapiens zusammen.

Eine neue Studie der University of Michigan hat erstmals mithilfe eines 3D-Modells rekonstruiert, wie stark diese geomagnetischen Veränderungen das Leben früher Menschen beeinflussten.

Magnetfeld war schwach und durchlässig

Die Folgen des schwachen Magnetfelds lassen sich mit einem großflächigen Ozonloch vergleichen. UV-Strahlung, normalerweise durch die Atmosphäre und das Magnetfeld gebremst, traf ungehindert auf die Erdoberfläche. Auch energiereiche Sonnenpartikel drangen tief in die Atmosphäre ein. Das Forschungsteam kombinierte Daten zum damaligen Magnetfeld, zur Sonnenaktivität und zu historischen Polarlichtern. Ihr Ergebnis: Polarlichter erschienen nicht nur an den Polen, sondern über fast ganz Europa.

„Das Magnetfeld war nicht nur schwach, es war in vielen Regionen komplett durchlässig“, erklärt Agnit Mukhopadhyay, Hauptautor der Studie. „Die Orte mit den stärksten Strahlungswerten stimmen verblüffend oft mit Fundstellen früher menschlicher Aktivität überein.“

Magnetfeld-Kollaps: Schutz durch Ocker, Kleidung und Höhlen – ein strategischer Vorteil für Homo sapiens

Der moderne Mensch passte sich an. In genau dieser Zeitspanne tauchten neue Werkzeuge zur Herstellung maßgeschneiderter Kleidung auf – Nadeln, Schaber und Ahlen, wie sie bei Neandertalern nicht nachgewiesen wurden. Kleidung bot gleich zwei Vorteile: Sie isolierte gegen Kälte und sie schirmte die Haut gegen UV-Strahlen ab.

„Maßgeschneiderte Kleidung war ein Wendepunkt“, sagt Anthropologin Raven Garvey. „Sie erlaubte Bewegung außerhalb des unmittelbaren Schutzes von Feuer und Höhle – und sie verringerte das Risiko von Strahlenschäden.“

Hinzu kam der vermehrte Einsatz von Ocker – einem mineralischen Pigment aus Eisenoxid, Ton und Silikaten. Es wurde auf die Haut aufgetragen und zeigt in Labortests UV-abweisende Wirkung. Ethnografische Beispiele aus Afrika und Australien belegen, dass Ocker über Jahrtausende als Sonnenschutz verwendet wurde.

Homo sapiens zog sich gezielt in Höhlen zurück

Neben Kleidung und Ocker spielte auch die Umgebung eine Rolle. Höhlen, oft in tieferen Lagen gelegen, boten natürlichen Schutz vor Strahlung. Archäologische Funde zeigen ab etwa 41.000 v. Chr. eine deutlich intensivere Höhlennutzung durch Homo sapiens. Das Forschungsteam überlagerte die Geodaten der Laschamps-Exkursion mit Fundorten – viele Überschneidungen waren kein Zufall.

„Diese Menschen haben sich nicht zufällig dort aufgehalten“, erläutert Mukhopadhyay. „Es gab offensichtlich ein Bewusstsein für Orte mit besserem Schutz.“ Die Zunahme von technologischen und räumlichen Anpassungen war zeitlich eng an die magnetische Schwächung gekoppelt.

Neandertaler ohne technische Mittel und Sonnenschutz

Im Vergleich dazu fehlen bei Neandertaler-Fundstellen Hinweise auf vergleichbare Schutzstrategien. Zwar ist Ockergebrauch auch bei ihnen dokumentiert – jedoch nicht in systematischer Form. Kleidung war offenbar einfacher, weniger funktional. Auch Höhlen wurden genutzt, aber nicht in der gleichen Dichte und Struktur wie beim Homo sapiens.

Ein unmittelbarer Zusammenhang lässt sich aus den Daten nicht beweisen. Doch die Gleichzeitigkeit von veränderter Umwelt, neuen Verhaltensmustern und dem Verschwinden des Neandertalers gibt der Hypothese Gewicht.

3D-Modell zeigt drastische Umweltveränderung

Um die Bedingungen dieser Zeit zu rekonstruieren, entwickelten die Forscher ein dreidimensionales Modell des damaligen Geospace-Systems. Es vereint geomagnetische Daten, Plasma-Simulationen und Aurora-Prognosen. Dabei zeigte sich, wie weit die offenen Magnetfeldlinien damals reichten – bis weit in den Bereich heutiger gemäßigter Breiten.

Das Modell machte auch sichtbar, wie stark die Atmosphäre sich veränderte. Eine durchlässige Schutzschicht bedeutete: deutlich mehr UV-Strahlung, instabilere Wetterbedingungen, höhere gesundheitliche Risiken.

Satelliten, Strom, Navigation – heute wäre alles betroffen

In einer solchen Phase wäre heutige Technologie kaum überlebensfähig. Kommunikationssatelliten würden ausfallen, GPS-Signale wären unbrauchbar, elektrische Netze gefährdet. „Selbst schwache Sonnenstürme könnten gravierende Schäden anrichten“, so Mukhopadhyay. Viele Systeme seien nicht für ein derart geschwächtes Magnetfeld ausgelegt.

Trotz der auffälligen Zusammenhänge bleibt die Ursache für das Neandertaler-Aussterben offen. Die Autoren betonen: „Unsere Ergebnisse sind korrelativ – ein direkter Kausalzusammenhang zwischen Magnetfeldkollaps und dem Verschwinden der Neandertaler lässt sich nicht beweisen.“ Dennoch: Die räumliche und zeitliche Übereinstimmung von Umweltveränderungen und menschlicher Anpassung ist verblüffend.

Kurz zusammengefasst:

  • Vor 41.000 Jahren schwächte sich das Magnetfeld der Erde stark ab, wodurch schädliche Strahlung bis in mittlere Breiten wie Europa vordrang.
  • Homo sapiens nutzten Kleidung, Ocker und Höhlen als Schutz – Neandertaler hatten diesen Vorteil nicht und könnten daran gescheitert sein.
  • Die Studie verbindet das schwache Magnetfeld mit dem Verhalten von Homo sapiens und der Neandertaler, ein direkter Zusammenhang bleibt aber unbewiesen.

Bild: © Pexels

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