KI macht aus Tiergift neue Antibiotika – selbst resistente Bakterien kapitulieren
Forscher analysieren mit KI Millionen Giftpeptide aus Tiergiften – und finden Hunderte neue Wirkstoffe gegen multiresistente Bakterien.

Über 40 Millionen Eiweißbausteine aus Tiergift wurden analysiert – 386 davon könnten zu neuen Antibiotika führen. © Wikimedia
Wenn Medikamente nicht mehr wirken, wird selbst eine einfache Infektion zur tödlichen Gefahr. Weltweit sterben jedes Jahr rund fünf Millionen Menschen an bakteriellen Erkrankungen, die sich wegen Resistenzen kaum noch behandeln lassen. Gleichzeitig kommen kaum neue Arzneimittel auf den Markt. Doch ein Forschungsteam der Penn Medicine hat jetzt eine überraschende Quelle für dringend benötigte Antibiotika entdeckt: Tiergift von Schlangen, Spinnen und Skorpionen – ausgewertet von einer KI.
Ein Deep-Learning-Modell namens APEX durchsuchte mehr als 40 Millionen Gift-Peptide aus tierischen Datenbanken. Die KI fand 386 Substanzen mit Eigenschaften, die sie zu potenten Antibiotika machen könnten, heißt es in der Studie. Hinter den Treffern steckt kein Zufall, sondern gezieltes KI-Screening: „Tiergifte sind evolutionäre Meisterwerke, doch ihr antimikrobielles Potenzial ist bisher kaum untersucht“, sagt Studienleiter César de la Fuente.
KI entdeckt Antibiotika-Kandidaten in Tiergift
Viele dieser sogenannten venom-encrypted peptides (VEPs) stammen aus Tiergiften. Es handelt sich um winzige Eiweißbausteine, die in der Natur dazu dienen, Beute zu lähmen oder Feinde abzuwehren. Im Labor wirken sie wie eine Abrissbirne für Bakterienmembranen. Durch ihre starke elektrische Ladung und Fettlöslichkeit dringen sie gezielt in die Zellhülle ein und zerstören sie.
Die Forscher wählten 58 besonders aussichtsreiche VEPs aus und prüften sie im Labor. Das Ergebnis:
- 91,4 Prozent der Peptide (53 von 58) zeigten starke Wirkung gegen krankmachende Bakterien – auch gegen multiresistente Erreger wie Escherichia coli und Staphylococcus aureus.
- Alle Spinnen-Peptide waren aktiv, einige davon sogar hochwirksam bei sehr niedrigen Konzentrationen.
Spinnengift stoppt gefährliche Infektion im Tiermodell
Besonders vielversprechend war das Peptid Arachnoserver-5, gewonnen aus dem Gift einer Wolfsspinne. In einem Mausmodell mit einer Infektion durch das gefürchtete Bakterium Acinetobacter baumannii reichte eine einmalige lokale Anwendung aus, um die Keimzahl um das Tausendfache zu senken – ganz ohne erkennbare Nebenwirkungen.
Die Mäuse verloren kein Gewicht, zeigten keine Verhaltensauffälligkeiten. Das Peptid wirkte ebenso gut wie bewährte Reserveantibiotika. „Schon eine einzige Dosis hat gereicht, um die Bakterienlast deutlich zu reduzieren“, sagt Mitautor Marcelo Torres.
Wie Gifte gezielt die Hülle von Bakterien zerstören
Die Wirkweise dieser neuen Stoffe unterscheidet sich klar von klassischen Antibiotika: Statt einzelne Enzyme zu blockieren, zerstören sie die Hülle der Bakterien – ein Angriffspunkt, gegen den sie sich kaum wehren können. Besonders gut wirkte das bei Bakterien wie Pseudomonas aeruginosa, die zur Gruppe der gramnegativen Keime gehören. Sie besitzen eine doppelte Zellhülle, die sie widerstandsfähiger gegen viele Antibiotika macht.
Zugleich zeigen die Peptide eine clevere Eigenschaft: In Wasser bleiben sie strukturell flexibel – treffen sie auf eine Membran, falten sie sich in eine stabile Angriffsform. Diese gezielte Umwandlung steigert ihre Wirksamkeit, ohne gesunde Zellen unnötig zu gefährden.
Erste Sicherheitstests stimmen vorsichtig optimistisch
Einige der Stoffe waren in Zellversuchen giftig – vor allem, wenn sie in sehr hoher Menge eingesetzt wurden. Viele der wirksamen Peptide zeigten jedoch keine schädlichen Effekte auf menschliche Nierenzellen oder rote Blutkörperchen. Besonders die Wirkstoffe aus Spinnen– und Schneckengiften schnitten in den Verträglichkeitstests besser ab als andere.
Solche Untersuchungen gehören zu den sogenannten Sicherheitstests. Dabei prüfen Forscher systematisch, ob neue Wirkstoffe gesunde menschliche Zellen angreifen oder wichtige biologische Prozesse stören – etwa durch die Beeinflussung von Ionenkanälen, die für die Signalübertragung in Zellen wichtig sind.
- Etwa 40 Prozent der untersuchten Peptide zeigten kein Risiko, wichtige Zellfunktionen über sogenannte Ionenkanäle zu stören.
- 60 Prozent könnten solche Kanäle beeinflussen – das muss in weiteren Sicherheitstests genauer geprüft werden.
Unsere Ergebnisse zeigen, dass Tiergifte eine reiche Quelle bislang verborgener antimikrobieller Wirkstoffe sind.
Studienautoren
Nächster Schritt: Aus Tiergift und KI soll ein wirksames Medikament werden
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler die Peptide gezielt verändern – um sie stabiler, wirksamer und verträglicher zu machen. Auch die KI soll weiter verbessert werden: Sie soll künftig nicht nur Treffer vorschlagen, sondern erklären, warum ein Peptid besonders vielversprechend ist. Dafür planen die Forscher den Einsatz neuer Methoden, etwa mit sogenannten „self-attention“-Modellen oder Sprachalgorithmen.
Ziel ist es, aus einem digitalen Screening echte Medikamente zu machen – gegen Infektionen, die bislang als unheilbar galten.
Kurz zusammengefasst:
- Eine KI analysierte über 40 Millionen Eiweißbausteine aus Tiergift und entdeckte dabei 386 neue Kandidaten für künftige Antibiotika.
- 53 von 58 im Labor getesteten Peptide wirkten gegen gefährliche Bakterien – darunter auch multiresistente Erreger wie E. coli und A. baumannii.
- Besonders ein Spinnengift zeigte im Tierversuch starke Wirkung bei guter Verträglichkeit – ein möglicher Schritt hin zu neuen Medikamenten.
Übrigens: Während Forscher mithilfe von KI neue Antibiotika in Tiergift entdecken, liefert ein einzelner Mensch die Grundlage für ein universelles Gegengift: Tim Friede hat sich über 700 Mal selbst Schlangengift injiziert – jetzt rettet sein Blut Leben. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © U.S. Marine Corps photo by Lance Corporal Antonio J. Vega via Wikimedia unter Public Domain