Grammatik hilft Kleinkindern: Neue Forschung zeigt, warum Kinder neue Wörter intuitiv begreifen

Eine neue Studie des MIT zeigt, wie Kleinkinder Grammatik nutzen, um Wortbedeutungen zu lernen. Betonung spielt dabei eine zentrale Rolle für den Spracherwerb.

Kinder nutzen laut einer MIT-Studie bereits mit zwei Jahren grammatische Betonung, um die Bedeutung neuer Wörter zu erschließen. © Pexels

Kinder nutzen laut einer MIT-Studie bereits mit zwei Jahren grammatische Betonung, um die Bedeutung neuer Wörter zu erschließen. © Pexels

Eine aktuelle Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) zeigt, dass selbst zweijährige Kinder Grammatik-Hinweise nutzen, um neue Wörter zu verstehen. Diese Entdeckung widerspricht der bisherigen Annahme, dass Kinder ihren Wortschatz durch eine sogenannte „gegenseitige Exklusivität“ erweitern. Diese Theorie geht davon aus, dass Kinder jedes neue Wort automatisch mit einer neuen Bedeutung verknüpfen. Die Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die Betonung bestimmter Wörter in Sätzen – der sogenannte Fokus – entscheidend ist, um Wortbedeutungen zu erschließen.

„Schon in überraschend jungem Alter haben Kinder ein fortgeschrittenes Verständnis für die Grammatik von Sätzen und nutzen dieses, um die Bedeutung neuer Wörter zu lernen“, erklärt Athulya Aravind, Linguistik-Professorin am MIT und Mitautorin der Studie. Diese wurde gemeinsam mit Wissenschaftlern der Brown University durchgeführt und in der Fachzeitschrift Psychological Science veröffentlicht.

Fokus statt Exklusivität: Wie Kinder Wörter verstehen

Frühere Theorien gingen davon aus, dass Kinder durch eine angeborene Tendenz zur gegenseitigen Exklusivität lernen. Diese Annahme besagt, dass Kinder jedes neue Wort als Bezeichnung für ein neues Objekt oder eine neue Kategorie verstehen. Doch diese Theorie hatte Schwachstellen: Viele Wörter haben mehrere Bedeutungen, und ein Objekt kann mit verschiedenen Begriffen beschrieben werden. Zum Beispiel wird ein Hase oft als „Hase“ oder „Kaninchen“, aber auch als „Tier“ oder „Schönheit“ bezeichnet. Trotz dieser Unschärfen blieb die Theorie der gegenseitigen Exklusivität lange vorherrschend.

Die neue Forschung schlägt jedoch einen anderen Ansatz vor. Laut den Autoren, darunter der Linguist Gabor Brody von der Brown University, liegt der Schlüssel nicht in einer angeborenen Neigung, sondern in der Nutzung grammatischer Hinweise. Insbesondere der Fokus, also die Betonung eines bestimmten Wortes, spiele eine zentrale Rolle. Je nachdem, welches Wort im Satz betont wird, könne sich die Bedeutung eines Satzes ändern. So impliziert der Satz „Carlos gab Lewis einen Ferrari“ durch die Betonung auf „Ferrari“, dass das Auto im Mittelpunkt steht, während „Carlos gab Lewis einen Ferrari“ darauf hinweist, dass die Handlung im Kontrast zu anderen möglichen Empfängern steht.

Experimente mit Kleinkindern

Um die Bedeutung von Fokus für das Sprachlernen zu untersuchen, führten die Forscher drei Experimente mit insgesamt 106 Kindern im Alter von zwei Jahren durch. Dabei wurden die Kinder in Gruppen aufgeteilt und schauten Videos eines animierten Fuchses, der ihnen Objekte zeigte und benannte. Anschließend sollten die Kinder zeigen, welches Objekt sie mit einem bestimmten Begriff assoziierten.

Im ersten Experiment wurden die Begriffe „Blicket“ und „Spielzeug“ verwendet. Einmal wurde das Wort „Spielzeug“ betont, einmal nicht. Ohne Betonung glaubten nur 24 Prozent der Kinder, dass „Blicket“ und „Spielzeug“ unterschiedliche Objekte bezeichneten. Bei betontem „Spielzeug“ stieg dieser Anteil jedoch auf 89 Prozent. Die Betonung signalisiere den Kindern, dass zwischen den Begriffen ein Kontrast besteht, so die Forscher.

Die nächsten Experimente gingen noch einen Schritt weiter und verwendeten Fantasiewörter wie „Wug“ oder „Dax“. Auch hier zeigte sich ein ähnlicher Effekt: Wurde das neue Wort ohne Betonung eingeführt, dachten 71 Prozent der Kinder, dass es sich auf ein bekanntes Objekt bezieht. Mit Betonung hingegen glaubten 87 Prozent, dass es ein neues Objekt beschreibt. Aravind erklärt: „Obwohl die Kinder nichts über das neue Wort wissen, signalisiert ihnen die Betonung, dass es sich auf ein Objekt bezieht, das bisher nicht benannt wurde.“

Neue Perspektiven für die Sprachforschung

Die Ergebnisse der Studie stellen die Theorie der gegenseitigen Exklusivität infrage. „Die Annahme, dass Kinder Wörter als grundsätzlich exklusiv wahrnehmen, hat nie wirklich erklärt, wie sie mehrdeutige Begriffe lernen“, sagt Brody. Begriffe wie „Hase“ und „Kaninchen“ zeigen, dass ein Objekt oft mehrere Bezeichnungen hat. Die neue Forschung zeigt, dass Kinder solche Begriffe lernen können, indem Erwachsene sie ohne Betonung einführen. Das Fehlen einer Betonung signalisiere den Kindern, dass die Wörter kompatibel seien.

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Die Forscher sehen in ihren Ergebnissen auch eine Bestätigung für eine breitere Theorie der Sprachentwicklung. Aravind erklärt: „Ein einflussreicher Ansatz in der Sprachforschung besagt, dass Kinder ihre vorhandenen Sprachkenntnisse nutzen, um mehr Sprache zu lernen.“ Die neue Studie baut auf dieser Idee auf, indem sie zeigt, dass Kinder selbst einfache Aspekte der Sprache – wie die Betonung – nutzen, um die Bedeutung unbekannter Wörter zu erfassen.

Bedeutung für weitere Forschung

Die Ergebnisse der Studie können auch praktische Implikationen haben, indem sie dazu beitragen, besser zu verstehen, wie Kinder Sprache in unterschiedlichen Kontexten lernen. Weitere Studien könnten untersuchen, wie Eltern und Betreuer Betonung nutzen, um Kindern beim Spracherwerb zu helfen. Zudem könnte der Einfluss des Fokus in Sprachen erforscht werden, die grammatikalische Betonungen durch Wortstellung oder andere Mittel ausdrücken.

„Wir hoffen, dass unsere Arbeit zeigt, wie kleine, einfache Theorien die Psychologie bereichern können“, sagt Brody. Anstatt große Modelle des Geistes zu entwickeln, setzt die Studie auf einen klar umrissenen Ansatz, der grundlegende Phänomene des Spracherwerbs erklärt.

Die Forscher planen, ihre Arbeit zu erweitern, um die Rolle des Fokus in realen Interaktionen zwischen Eltern und Kindern zu analysieren. Auch sei es denkbar, dass sich die Ergebnisse auf andere Sprachen und Kulturen übertragen lassen.

Aravind fasst zusammen: „Unsere Studie zeigt, dass Kinder Sprache aus der Sprache selbst lernen. Das Verständnis von Fokus erlaubt ihnen, unbekannte Wörter in die richtige Bedeutung einzuordnen. Das ist ein faszinierender Einblick in die kognitiven Fähigkeiten junger Kinder.“

Was du dir merken solltest:

  • Eine MIT-Studie zeigt, dass Kinder bereits mit zwei Jahren Grammatik-Hinweise wie Betonung nutzen, um neue Wörter zu verstehen.
  • Die Betonung (Fokus) in Sätzen signalisiert Kindern Bedeutungsunterschiede, sodass sie neue Begriffe korrekt zuordnen können.
  • Diese Erkenntnisse widersprechen der Theorie der gegenseitigen Exklusivität und betonen die zentrale Rolle der Grammatik im frühen Spracherwerb.

Übrigens: Sprache verbindet bekanntlich. Ein interessantes Beispiel dafür ist die Bezeichnung für Deutsche in slawischen Sprachen, das aus Fremden Nachbarn gemacht hat. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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