6.500 Jahre stabil – jetzt droht dem Golfstrom eine historische Abschwächung
Seit 6.500 Jahren stabil – nun droht dem Golfstrom die stärkste Schwächung der Geschichte. Forscher sehen gravierende Klimafolgen.

Der Golfstrom pumpt gewaltige Mengen warmes Wasser in den Nordatlantik und hält so Europas Klima seit Jahrtausenden im Gleichgewicht. © Wikimedia
Der Atlantik ist mehr als nur eine Wasserfläche zwischen Kontinenten – in seinen Tiefen verläuft ein gigantischer Wärmetransport, der unser Klima seit Jahrtausenden stabil hält. Dieses Strömungssystem, zu dem auch der Golfstrom gehört, bringt warmes Wasser aus den Tropen in den Norden und sorgt so dafür, dass Europa vergleichsweise milde Winter erlebt. Eine Studie der Universität Heidelberg zeigt nun: Seit 6.500 Jahren hat sich die Stärke dieser Strömung kaum verändert. Doch der Klimawandel könnte sie bis Ende des Jahrhunderts so stark abschwächen wie nie zuvor in dieser gesamten Zeitspanne.
Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) ist das Rückgrat dieser Wärmeverteilung. Sie funktioniert wie ein riesiges Förderband: Warmes Oberflächenwasser strömt Richtung Norden, kühlt dort ab, sinkt in die Tiefe und fließt als kaltes Wasser wieder in den Süden. Dieser Kreislauf beeinflusst Temperaturen, Niederschläge und Wettermuster auf der ganzen Welt.
Golfstrom blieb Jahrtausende stabil – bis jetzt
Um zu verstehen, wie stabil dieses System bisher war, haben Forscher Sedimentproben vom Meeresboden des Nordatlantiks untersucht. Diese Ablagerungen enthalten winzige Mengen radioaktiver Elemente wie Protactinium und Thorium, deren Verhältnis Rückschlüsse auf die Stärke der Strömung zulässt. Kombiniert mit einem aufwendigen Klimamodell ergibt sich ein klares Bild:
- Direkt nach der letzten Eiszeit war die Strömung deutlich schwächer als heute.
- Vor etwa 9.200 Jahren folgte eine markante Abschwächung, ausgelöst durch riesige Mengen Schmelzwasser aus dem zerfallenden nordamerikanischen Eisschild.
- Seit etwa 6.500 Jahren hält sich die AMOC auf einem stabilen Niveau von rund 18 Sverdrup – das entspricht einer Milliarde Liter Wasser pro Sekunde.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die AMOC in den letzten 6.500 Jahren bemerkenswert stabil war“, sagt Studienleiter Jörg Lippold.
Golfstrom-Abschwächung hätte gravierende Folgen
Klimamodelle rechnen damit, dass der menschengemachte Klimawandel die AMOC bis 2100 um fünf bis acht Sverdrup schwächen könnte – je nachdem, wie stark sich die Erde erwärmt. Damit stünde eine Veränderung bevor, wie es sie seit dem Ende der letzten Eiszeit nicht gegeben hat.
Die Folgen wären weltweit zu spüren:
- Europa: Kältere Winter, heißere Sommer, häufiger Extremwetter
- Afrika und Südamerika: Veränderte Regenzonen – die Sahel-Zone könnte noch trockener werden, der Amazonas weniger Niederschlag bekommen
- Atlantik: Weniger Nährstoffe für Fische, Bedrohung für Fischerei und Ernährungssicherheit
- Globales Klima: Instabilere Wettersysteme, beschleunigte Erwärmung in manchen Regionen
„Falls sich die AMOC bis zum Ende des Jahrhunderts im Ausmaß der heutigen Klimamodelle abschwächt, wäre dies ein beispielloses Ereignis in den letzten 6.500 Jahren“, warnt Lippold.

Warum die Strömung so wichtig ist
Die AMOC beeinflusst nicht nur das Wetter in Europa. Sie wirkt wie ein Regler für das gesamte Klimasystem. Schwächt sie sich ab, verschiebt sich die Wärmeverteilung in den Ozeanen. Das kann ganze Wettersysteme aus dem Gleichgewicht bringen, den Monsun in Westafrika verändern oder Wirbelstürme im Atlantik verstärken.
Besonders gefährlich ist, dass die Strömung auch den globalen CO2-Kreislauf beeinflusst. Ein schwächeres „Förderband“ könnte weniger Kohlendioxid im Ozean binden – was den Treibhauseffekt zusätzlich anheizt.
Frühere Schwächephasen hatten andere Ursachen
Die größte Schwächung der AMOC im Holozän ereignete sich vor rund 9.200 Jahren. Damals strömten riesige Mengen Schmelzwasser ins Meer, als sich der nordamerikanische Eisschild auflöste. Das verdünnte den Salzgehalt des Nordatlantiks, sodass kaltes Wasser weniger leicht absinken konnte – der Motor der Strömung stotterte.
Ein kleineres Signal um 4.200 Jahre vor heute fällt mit einem global bekannten Klimaereignis zusammen. Doch hier vermuten die Forscher eher lokale Strömungsveränderungen, nicht eine großflächige Schwächung der AMOC.
Grenzen der Messmethode – und was trotzdem klar ist
Die Sedimentanalyse kann nur Veränderungen nachweisen, die mindestens 180 Jahre dauern und mindestens 6,8 Sverdrup betragen. Kürzere oder schwächere Ereignisse verschwinden in den Daten. Trotzdem zeigt der langfristige Verlauf eindeutig: Seit 6.500 Jahren hat es keine Abschwächung gegeben, die mit den Prognosen für das 21. Jahrhundert vergleichbar wäre.
Sollten sich die pessimistischen Szenarien bewahrheiten, würde die AMOC bis Ende des Jahrhunderts so stark zurückgehen wie nie zuvor in der bekannten Menschheitsgeschichte. Das würde nicht nur das Wetter in Europa verändern, sondern ganze Klimazonen verschieben.
Für Küstenregionen hieße das, sich auf veränderte Sturm- und Regenmuster einzustellen. Für die Landwirtschaft in vielen Teilen der Welt könnten sich die Bedingungen drastisch ändern – von Dürren bis zu Starkregenperioden.
Ein natürlicher Motor unter Druck
Über Jahrtausende konnte sich die AMOC auch nach größeren Störungen erholen. Doch diesmal ist der Auslöser kein einmaliger Schmelzwasserstoß, sondern die anhaltende Erwärmung der Erde – ein Prozess, der Jahrhunderte dauern kann, wenn er nicht gestoppt wird.
Wie stark sich die Strömung tatsächlich abschwächen wird, hängt davon ab, wie viel Treibhausgas noch in die Atmosphäre gelangt. Sicher ist: Der Ozeanmotor, der unser Klima seit Jahrtausenden stabil hält, steht unter Druck wie nie zuvor.
Kurz zusammengefasst:
- Die Atlantische Meridionale Umwälzströmung (AMOC) – zu der auch der Golfstrom gehört – war in den vergangenen 6.500 Jahren außergewöhnlich stabil und schwankte nur gering.
- Klimamodelle prognostizieren bis 2100 eine Golfstrom-Abschwächung um fünf bis acht Sverdrup, was kältere Winter, heißere Sommer, veränderte Regenzonen und Risiken für Fischbestände bedeuten könnte.
- Eine so starke Veränderung hat es seit dem Ende der letzten Eiszeit nicht gegeben und wäre ausschließlich auf den menschengemachten Klimawandel zurückzuführen.
Übrigens: Nicht nur der Golfstrom steht unter Druck – auch der Antarktische Zirkumpolarstrom, die stärkste Meeresströmung der Erde, verliert an Kraft. Schmelzwasser aus der Antarktis könnte ihn bis 2050 um ein Fünftel verlangsamen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © NASA via Wikimedia unter Public Domain