Ein Fund aus dem Rheinland entpuppt sich als Werkzeug aus Walknochen – fernab jeder Küste

In Südwesteuropa nutzten Menschen schon vor 20.000 Jahren Walknochen für Werkzeuge, Brennstoff und Waffen.

Forscher finden Werkzeuge aus Walknochen im Rheinland

Werkzeuge aus Walknochen wie dieses sind früher aufgetaucht, als Forscher vermutet hatten. © Alexandre Lefebvre

Schon vor rund 20.000 Jahren begannen Menschen in Südwesteuropa, Werkzeuge aus Walknochen herzustellen – und damit deutlich früher als gedacht. Ein rund 16.000 Jahre alter Fund aus Deutschland zeigt jedoch, dass dieser Rohstoff auch weiter im Norden verwendet wurde.

Ein internationales Forscherteam hat nun in über 20 Museen in Frankreich, Spanien und Deutschland 173 Knochenfragmente untersucht. Die Objekte stammen aus 26 Fundorten, überwiegend aus Höhlen Nordspaniens und Südwestfrankreichs. Darunter befinden sich Funde aus bekannten Stätten wie Rascaño, El Juyo oder Mas d’Azil. Ihre Erkenntnisse machten die Forscher in der Fachzeitschrift Nature Communications publik.

Forscher analysieren Funde aus Spanien, Frankreich und Deutschland

Mithilfe moderner Techniken konnten die Wissenschaftler zeigen, dass viele dieser Fundstücke nicht zufällig gesammelt wurden. Insgesamt 83 dieser Walknochen wiesen Spuren gezielter Bearbeitung wie etwa Einkerbungen, Glättungen oder Schlagspuren auf.

Die Werkzeuge sind zwischen 20.000 und 14.000 Jahre alt, die meisten davon zwischen 17.500 und 16.000 Jahre. Die Verarbeitung von Walknochen in Nordspanien begann mindestens 1.000 Jahre früher, als bislang vermutet, schreiben die Forscher. Eine Technik namens „Zooarchaeology by mass spectrometry“, kurz ZooMS, ermöglichte sogar, einzelne Walarten zu identifizieren. Dabei wird das Kollagen in den Knochen untersucht, was eine Artbestimmung über Proteine erlaubt.

  • Von den 173 Proben wurden 131 erfolgreich mit ZooMS analysiert.
  • Davon stammten rund 65 vom Finnwal, 32 vom Pottwal und 11 vom Grauwal. 
  • Blauwal und Schweinswal tauchten zwar ebenfalls auf, allerdings seltener.
Eine Analyse gefundener Werkzeuge hat ergeben, dass ein Großteil der genutzten Knochen von Walen gesammelt wurden. (Quelle: Nature Communications)
Eine Analyse gefundener Werkzeuge hat ergeben, dass ein Großteil der genutzten Knochen von Walen gesammelt wurden. (Quelle: Nature Communications)

Einzelne Funde stammen auch aus Regionen nördlich der Pyrenäen: So etwa ein bearbeiteter Grauwalknochen aus Andernach im Rheinland. Er ist rund 16.000 Jahre alt und einer der nördlichsten Belege für die Walknochennutzung in Europa. Da er einer der jüngsten und zugleich am weitesten abgelegenen der untersuchten Funde war, ist er für die Forscher besonders interessant.

Pottwal-Knochen dominierten beim Waffenbau, doch gejagt hat man die Tiere nicht

Für Speerspitzen und Schäfte nutzten die Steinzeitmenschen vorzugsweise Pottwalknochen. Die Studienautoren schließen daraus, dass die schweren, dichten Knochen des Pottwals sich besonders gut für Waffen eigneten – was den Herstellern sicher ebenfalls bekannt war. Andere Knochen zeigen hingegen Verbrennungsspuren. In der Höhle von Santa Catalina etwa fanden die Forscher 90 Walknochen-Fragmente, die wahrscheinlich als Brennstoff oder zur Ölgewinnung verwendet wurden.

Die Studie sieht allerdings keine Hinweise auf aktive Waljagd. Wie sind die Menschen also an ihre Knochen gekommen? Wahrscheinlich durch gestrandete Wale, die verendeten und von Menschen gefunden wurden. 

Vor 16.000 Jahren brach die Nutzung plötzlich ab

Spannend ist auch der plötzliche Rückgang der Fundzahlen vor 16.000 Jahren. Danach findet sich, bis auf vereinzelte Ausnahmen wie den Fund in Anderach, kaum noch bearbeitetes Walmaterial. Die Forscher vermuten, dass sich entweder die Strandungsraten verringerten oder das Verhalten der Menschen veränderte. 

Die Studie zeigt, wie früh Menschen bereits damit begannen, maritime Ressourcen umfassend zu nutzen – nicht nur zum Essen, sondern auch für technische Zwecke. Der Einsatz von Walknochen als Werkstoff war offenbar strategisch. Dass er nach einigen Jahrtausenden wieder verschwand, wirft neue Fragen zur Mobilität, Ressourcennutzung und Umweltveränderung in der späten Eiszeit auf.

Kurz zusammengefasst:

  • Menschen nutzten bereits vor etwa 20.000 Jahren Walknochen, um Werkzeuge herzustellen – vor allem in Nordspanien und Südwestfrankreich.
  • Die meisten bearbeiteten Knochen stammen vom Pottwal, Finnwal und Grauwal und wurden für Waffen, insbesondere Speerspitzen und Schäfte, verwendet.
  • Ein besonders seltener Fund stammt aus Andernach im Rheinland: ein bearbeiteter Grauwalknochen, der rund 16.000 Jahre alt und einer der nördlichsten Belege für die Walknochennutzung ist.

Übrigens: Auch in Gönnersdorf bei Neuwied geben Funde Aufschluss über das Leben in der Eiszeit. Was Fischfang-Gravuren über Technik, Symbolik und Alltag verraten, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Alexandre Lefebvre

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