Erdbeben verkürzen den Weg von Nährstoffen aus der Tiefsee – und erhöhen die CO₂-Bindung im Meer
Erdbeben am Meeresboden können Algenblüten im Südpolarmeer antreiben und so Nahrungsketten und die CO₂-Aufnahme des Ozeans beeinflussen.
Ein Messgerät wird im nördlichen Rossmeer zu Wasser gelassen, um Proben aus verschiedenen Tiefen zu sammeln und den Eisengehalt des Meerwassers zu analysieren. © Gert van Dijken
Forscher der Stanford University haben Hinweise auf einen bislang wenig beachteten Zusammenhang zwischen seismischer Aktivität und biologischen Prozessen im Südpolarmeer gefunden. Grundlage sind Langzeitbeobachtungen, die zeigen, dass sich die Stärke von Algenblüten in dieser Region auffällig verändert.
Die Wissenschaftler haben über Jahre hinweg beobachtet, dass bestimmte Algenblüten im Südpolarmeer immer wieder am gleichen Ort auftreten, jedoch stark in ihrer Größe schwanken. Manche Jahre zeigen ausgedehnte grüne Flächen, andere nur schwache Entwicklungen. Der entscheidende Hinweis: Diese Unterschiede fallen zeitlich mit Erschütterungen in großer Tiefe zusammen.
Wie Erdbeben am Meeresboden Nährstoffe freisetzen
Die Arbeitsgruppe untersuchte Regionen entlang der Australian Antarctic Ridge. Dort verlaufen unterseeische Gebirgsketten mit zahlreichen hydrothermalen Quellen. Diese Quellen stoßen heißes, mineralreiches Wasser aus. Besonders wichtig ist Eisen, ein Spurenelement, das im Südpolarmeer knapp ist. Sobald mehr Eisen verfügbar ist, können sich Algen deutlich besser vermehren.
Das Team stellte fest, dass Erschütterungen diese Quellen offenbar beeinflussen. Durch die Bewegung des Gesteins öffnen sich Kanäle im Untergrund. Heißes Wasser kann leichter aufsteigen und bringt gelöste Mineralien mit. „Unsere Studie zeigte letztlich, dass die Menge der seismischen Aktivität in den Monaten zuvor den Ausschlag für die Größe der Algenblüte gab“, erklärt Erstautorin Casey Schine.
Überraschend schneller Weg aus der Tiefe
Besonders bemerkenswert ist die Geschwindigkeit dieses Prozesses. Lange Zeit gingen Fachleute davon aus, dass Mineralien aus mehreren tausend Metern Tiefe Jahrzehnte benötigen, um an die Oberfläche zu gelangen. Die neue Analyse widerspricht dieser Annahme deutlich. Messungen zeigen, dass eisenreiches Wasser innerhalb weniger Wochen bis Monate in obere Schichten aufsteigen kann.
Die Studie verknüpft dazu Satellitendaten mit seismischen Aufzeichnungen. Immer wieder tauchten große Algenblüten kurz nach stärkeren Beben auf. Die zeitliche Nähe lässt wenig Raum für Zufall. Seniorautor Kevin Arrigo ordnet das Ergebnis ein: „Das ist die erste Arbeit, die eine direkte Verbindung zwischen Erdbeben am Ozeanboden und dem Wachstum von Phytoplankton an der Oberfläche belegt.“
Diese Erkenntnis verändert den Blick auf Ozeanprozesse. Sie macht deutlich, dass der Meeresboden kein passiver Untergrund ist, sondern aktiv in biologische Abläufe eingreift.
Krill und Wale reagieren sichtbar auf stärkeres Phytoplanktonwachstum
Phytoplankton bildet die Basis fast aller marinen Nahrungsketten. Wo es reichlich vorhanden ist, sammeln sich Kleinstlebewesen wie Krill. Darauf folgen Fische, Vögel und Meeressäuger. Im untersuchten Gebiet beobachteten Forscher sogar Buckelwale, die gezielt in den Bereich einer starken Algenblüte zogen.
Solche Veränderungen können regionale Ökosysteme kurzfristig stärken. Gleichzeitig zeigen sie, wie empfindlich das Zusammenspiel aus Geologie und Biologie ist.
Warum Algenblüten auch für das Klima entscheidend sind
Phytoplankton spielt auch für das Klima eine wichtige Rolle. Die winzigen Algen nehmen Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und binden es in ihrer Biomasse. Ein Teil dieses Kohlenstoffs sinkt später in die Tiefe. Dadurch wirkt der Ozean als natürlicher Speicher für CO₂.
Wenn Erdbeben am Meeresboden die Stärke von Algenblüten beeinflussen, hat das Folgen für diese Speicherfunktion. Je größer die Blüte, desto mehr Kohlendioxid wird gebunden. Die Studie liefert damit neue Hinweise für Klimamodelle, die bislang vor allem Temperatur, Strömungen und Meereis berücksichtigen.
Den Forschern zufolge bleiben jedoch noch viele Fragen offen. Unklar ist etwa, wie häufig dieser Effekt weltweit auftritt. Hydrothermale Quellen gibt es in allen Ozeanen. Doch viele liegen in schwer zugänglichen Regionen und sind kaum untersucht.
Um die Zusammenhänge weiter zu klären, planen die beteiligten Teams zusätzliche Expeditionen. Neue Messinstrumente sollen den Aufstieg von Mineralien genauer verfolgen. Auch kleinere Erschütterungen rücken stärker in den Fokus. Je genauer diese Prozesse erfasst werden, desto besser lassen sich ökologische und klimatische Effekte einordnen.
Kurz zusammengefasst:
- Erdbeben am Meeresboden können riesige Algenblüten auslösen, weil sie hydrothermale Quellen aktivieren und eisenreiches Wasser schneller an die Oberfläche gelangt.
- Das zusätzliche Eisen fördert das Wachstum von Phytoplankton, der Basis mariner Nahrungsketten, und beeinflusst damit Tiere vom Krill bis zum Wal.
- Größere Algenblüten binden mehr Kohlendioxid, weshalb geologische Prozesse im Ozean künftig eine wichtigere Rolle in Klimamodellen spielen müssen.
Übrigens: Während Erdbeben im Ozean Leben fördern können, zeigt sich unter Neapel die bedrohliche Kehrseite seismischer Aktivität mit Tausenden übersehenen Beben. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Gert van Dijken
