Nach Schlaganfall: Warum ‚Apfel‘ leichter zu lesen ist als ‚Freiheit‘ – und was das über unser Gehirn verrät
Nach einem Schlaganfall lassen sich konkrete Wörter wie „Apfel“ leichter lesen als abstrakte Begriffe – weil innere Bilder das Erkennen erleichtern.

Wer nach einem Schlaganfall Schwierigkeiten beim Lesen hat, profitiert von einer anschaulichen Wortwahl. © Unsplash
Nach einem Schlaganfall verändert sich oft nicht nur das Sprechen, sondern auch das Lesen – auf eine erstaunliche Weise. Viele Betroffene können anschauliche Wörter wie „Hund“ oder „Apfel“ deutlich leichter erfassen als abstrakte Begriffe wie „Ehre“ oder „Freiheit“. Eine aktuelle Untersuchung der Georgetown University in Washington zeigt, wie groß dieser Unterschied ist – und warum gerade die Verbindung zwischen Bedeutung und Aussprache so entscheidend ist.
Für die Studie untersuchten Forscher 56 Menschen, die einen Schlaganfall in der linken Gehirnhälfte erlitten hatten. Sie verglichen deren Leistungen mit 68 gesunden Personen. Das Ergebnis:
- Schlaganfallpatienten lasen bildhafte Wörter im Schnitt 6,7 Prozent genauer als abstrakte.
- In der Kontrollgruppe lag dieser Vorteil bei nur 2,5 Prozent.
- Besonders groß wurde der Unterschied bei seltenen oder unregelmäßig geschriebenen Wörtern: hier betrug der Vorteil bis zu 10,4 Prozent.
Nach Schlaganfall – konkrete Bilder im Kopf helfen beim Lesen
Doch warum spielt die Bildhaftigkeit eine so große Rolle? Peter E. Turkeltaub, Direktor des Cognitive Recovery Lab an der Georgetown University, erklärt: „Im Alltag betrachten wir das Lesen meist als Mittel, um Bedeutung zu erfassen. Doch auch das Gegenteil trifft zu.“
Das heißt: Wir nutzen die Bedeutung eines Wortes, um es überhaupt zu erkennen. Bei einem Wort wie „Apfel“ springt sofort ein inneres Bild an, das beim Lesen unterstützt. Abstrakte Begriffe wie „Ehre“ oder „Freiheit“ haben dagegen kein klares Bild – sie bleiben schwieriger, vor allem für Menschen nach einem Schlaganfall. „Manche Betroffene können die Bedeutungen zwar noch verstehen“, so Turkeltaub, „doch sie können diese nicht mehr zuverlässig nutzen, um das passende Wort beim Lesen zu erkennen.“
Was die Ergebnisse für Patienten bedeuten
- Bildhafte Wörter lesen sich leichter: Konkrete Begriffe erzeugen innere Bilder, die den Leseprozess stützen.
- Abstrakte Wörter bleiben schwierig: Hier brauchen Patienten zusätzliche Unterstützung.
- Training kann helfen: Übungen, die gezielt die Verbindung zwischen Bedeutung und Aussprache stärken, verbessern die Lesefähigkeit.
Neue Einblicke ins Gehirn
Hirnscans der Patienten zeigten, dass bestimmte Bereiche nach einem Schlaganfall besonders häufig geschädigt waren. Dazu gehört der hintere Abschnitt der linken Furche am oberen Schläfenlappen. Dort laufen die Fäden zwischen Sprach- und Bedeutungszentren zusammen. Ist dieser Knotenpunkt beschädigt, funktioniert die Übersetzung von Bedeutung in Laut nicht mehr richtig.
Eine neue Form der Lesestörung
Die Forscher beschreiben eine bisher wenig beachtete Lesestörung: Betroffene können die Bedeutung von Wörtern zwar noch erfassen, aber nicht mehr zuverlässig in gesprochene Sprache umsetzen. Das Problem liegt also nicht beim Verständnis, sondern bei der „Übersetzung“ ins Aussprechen.
Um Betroffene zu therapieren, helfen Texte mit anschaulichen Beispielen. Auch gezieltes Training der Verbindung zwischen Bedeutung und Laut können das Lesen nach einem Schlaganfall deutlich erleichtern – und damit ein Stück Lebensqualität zurückgeben.
Kurz zusammengefasst:
- Nach einem Schlaganfall können Betroffene bildhafte Wörter wie „Apfel“ deutlich leichter lesen als abstrakte Begriffe wie „Freiheit“.
- Der Grund: Das Gehirn nutzt die Bedeutung eines Wortes, um es beim Lesen zu erkennen – fällt diese Verbindung aus, wird das Lesen schwieriger.
- Trainings, die gezielt die Verbindung von Bedeutung und Aussprache stärken, können die Lesefähigkeit verbessern und die Therapie unterstützen.
Übrigens: Eine neue KI wandelt Hirnsignale in gesprochene Worte um und erlaubt es Menschen somit, wieder zu sprechen – etwa, wenn sie ihre Stimme nach einem Schlaganfall verloren haben. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Unsplash