CO2-Rechner zeigen nur die halbe Wahrheit – Fliegen ist doppelt so klimaschädlich wie gedacht

Viele CO2-Rechner unterschätzen den Klimaschaden beim Fliegen: Kondensstreifen und Premiumsitze verdoppeln oft die Emissionen pro Passagier.

CO2-Rechner täuschen: Fliegen ist doppelt so klimaschädlich

Ein Langstreckenflug über den Wolken: Kondensstreifen und Stickoxide verstärken die Erwärmung der Atmosphäre – oft stärker als das ausgestoßene CO2. © Wikimedia

Flugreisen gehören zu den größten individuellen Klimabelastungen – und sie sind noch schädlicher, als bisherige CO2-Rechner vermuten ließen. Eine neue Studie der University of Surrey zeigt, dass die gängigen Online-Tools die tatsächlichen Emissionen oft massiv unterschätzen.

Der Unterschied ist enorm: Nach Berechnungen des Forschungsteams liegt die wahre Klimawirkung vieler Flüge doppelt so hoch wie bislang angenommen. Der Grund liegt in der Methode – denn herkömmliche Flug-Emissionsrechner berücksichtigen weder Umwege, noch die Aufheizung durch Kondensstreifen oder Stickoxide in großer Höhe. Ein neues Modell, der sogenannte Air Travel Passenger Dynamic Emissions Calculator (ATP-DEC), soll das ändern und erstmals ein realistisches Bild liefern.

Warum herkömmliche CO2-Rechner die Wahrheit verzerren

Ob auf Airline-Websites oder Umweltportalen – fast alle CO2-Rechner arbeiten mit stark vereinfachten Formeln. Sie berechnen den Ausstoß entlang der kürzesten Route zwischen zwei Städten und berücksichtigen weder Staus im Luftraum noch Umwege. Auch klimawirksame Nebenprodukte wie Stickoxide oder Wasserdampf bleiben außen vor.

Der ATP-DEC nutzt reale Flugdaten aus der Vergangenheit, um Umwege, Warteschleifen oder Sperrgebiete einzubeziehen – etwa die Umroutungen wegen des geschlossenen russischen Luftraums.

„Das Denken in Lebenszyklen ist der einzige ehrliche und umfassende Weg, um die Klimawirkung zu messen“, erklärt Professorin Jhuma Sadhukhan, die die Studie leitete. „Unser neues Werkzeug zeigt erstmals das vollständige Bild – jede Phase, jede Emission, jeden Effekt.“

Ein Rechner, der alles mitdenkt

Das neue System geht weit über klassische CO2-Rechner hinaus. Es bezieht auch Faktoren ein, die bislang fehlten oder pauschal geschätzt wurden:

  • Nicht-CO2-Effekte: Dazu gehören Stickoxide, Wasserdampf und Kondensstreifen, die den Treibhauseffekt verstärken.
  • Lebenszyklus-Emissionen: Der Energieaufwand für Flughäfen, Flugzeuge und In-Flight-Services fließt mit ein.
  • Reale Flugdaten: Der Rechner nutzt historische Aufzeichnungen, um Abweichungen durch Wind, Wetter oder Umwege zu erfassen.
  • Sitzklassen: Premiumplätze beanspruchen mehr Raum und Gewicht – und erhöhen so den individuellen Ausstoß.

Mit diesen Daten bildet das Modell den tatsächlichen Klimaschaden deutlich präziser ab als die bekannten Rechner von IATA, ICAO oder Google.

„Wir haben bewiesen, dass vorhandene Flugdaten reale Schwankungen abbilden können“, sagt Finn McFall, Mitautor der Studie. „Mit einer transparenten, quellenbasierten Aufschlüsselung pro Flug können Reisende und Entscheidungsträger klügere und gezieltere Klimaschutzmaßnahmen treffen.“

Wie stark Sitzklasse und Flugroute den CO2-Ausstoß verändern

Vergleichstests mit über 30.000 Flügen zeigen, wie stark bisherige Methoden danebenliegen. Während bekannte CO2-Tools nur die Verbrennung des Kerosins angeben, erfasst das Surrey-Modell alle Klimafaktoren und gleicht sie mit echten Flugdaten ab.

Ergebnis: Auf manchen Langstrecken lagen die bisherigen Berechnungen um zehntausende Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr daneben. Besonders groß sind die Unterschiede zwischen den Sitzklassen.

Wer im Business- oder First-Bereich reist, verursacht im Schnitt mehr als doppelt so viele Emissionen pro Kopf wie ein Passagier in der Economy Class – weil dort weniger Menschen Platz finden und die Sitze selbst deutlich schwerer sind, etwa durch eingebaute Motoren, Bildschirme und verstellbare Liegefunktionen.

„Durch die Verbindung von Lebenszyklus-Analyse und realen Flugdaten können wir Airlines, Behörden und Passagieren endlich genaue und transparente Informationen liefern“, sagt Eduard Goean, Gastprofessor an der University of Surrey. „Das hilft, die Branche auf die Klimaziele und die neuen EU-Regelungen auszurichten.“

Ehrliche Zahlen, bessere Politik

Für die Forscher geht es nicht nur um technische Genauigkeit, sondern auch um politische Konsequenzen. Denn ohne verlässliche Daten lassen sich CO2-Steuern, Ausgleichsprojekte oder Klimazertifikate kaum sinnvoll gestalten.

„Die Luftfahrtbranche hat die Verantwortung, ehrlich über die Umweltkosten des Fliegens zu sprechen“, sagt Professor Xavier Font, Co-Autor der Studie. „Ohne präzise Daten können wir keine wirksamen Steuern, Kompensationen oder Verhaltensänderungen entwickeln.“

Kurz zusammengefasst:

  • Herkömmliche CO2-Rechner unterschätzen die Klimawirkung von Flugreisen deutlich, weil sie nur den direkten CO2-Ausstoß erfassen.
  • Der neue Rechner der University of Surrey berücksichtigt zusätzlich Stickoxide, Wasserdampf, Kondensstreifen und reale Flugrouten.
  • In Business und First Class ist der Ausstoß pro Passagier mehr als doppelt so hoch – vor allem durch mehr Platz, Gewicht und Technik pro Sitz.

Übrigens: Nicht nur Flugzeuge müssen wegen des Krieges in der Ukraine neue Routen nehmen – auch bedrohte Schelladler ändern ihre Flugbahnen und kommen später an ihre Brutplätze. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: ©  Konstantin von Wedelstaedt via Wikimedia unter GNU Free Documentation License, Version 1.2

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