Artensterben stagniert – Neue Analyse widerspricht Katastrophenszenarien

Wissenschaftler finden Hinweise, dass sich die globale Aussterberate vieler Arten in den letzten Jahrzehnten verlangsamt hat.

Artensterben stagniert – Forscher entdecken Trendwende

Beim Artensterben gibt es erste Anzeichen einer Erholung – trotz hoher Verluste bei Amphibienarten wie dem Malabar-Gleitfrosch. © Unsplash

Seit Jahren steht das Artensterben sinnbildlich für den Zustand unseres Planeten – ein fortschreitender Verlust, der die Welt an den Rand einer ökologischen Krise bringt. Doch jetzt liefert eine umfassende Untersuchung einen überraschend anderen Befund. Forscher der University of Arizona haben weltweit Daten ausgewertet und kommen zu dem Schluss: Das Artensterben stagniert. In mehreren Tier- und Pflanzengruppen hat sich der Rückgang sogar verlangsamt – offenbar zeigen Schutzmaßnahmen Wirkung.

Wissenschaftler um den Evolutionsbiologen John Wiens haben Daten von über 160.000 Arten ausgewertet, die in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) geführt werden. Sie untersuchten, welche Arten in den letzten 500 Jahren verschwunden sind und warum.

Aussterberaten vieler Arten sinken seit über einem Jahrhundert

Laut der Studie sind in den vergangenen fünf Jahrhunderten 912 Tier- und Pflanzenarten ausgestorben. Die meisten davon im 19. und frühen 20. Jahrhundert – nicht etwa in den letzten Jahrzehnten. Besonders auffällig: Seit rund 100 Jahren sinken die dokumentierten Extinktionsraten vieler Gruppen.

„Wir zeigen, dass die Aussterberaten nicht wie oft behauptet steigen, sondern vor Jahrzehnten ihren Höhepunkt erreicht haben“, erklärt Wiens. Besonders bei Pflanzen, Insekten und Wirbeltieren seien keine Hinweise auf eine beschleunigte Krise zu erkennen.

Inseln bleiben Hotspots des Artenverlusts

Rund zwei Drittel der ausgestorbenen Arten lebten ausschließlich auf Inseln. Dort, wo Tier- und Pflanzenarten über Jahrtausende isoliert waren, traf sie die Globalisierung besonders hart. Auf Hawaii, den Maskarenen und in Französisch-Polynesien verschwanden Hunderte Arten – viele davon Schnecken, Muscheln oder Vögel.

Die Forscher führen das auf eingeschleppte Arten zurück. Ratten, Ziegen oder Katzen fraßen Nester leer, zerstörten Lebensräume oder verdrängten heimische Tiere. Die isolierte Fauna vieler Inseln hatte keine Abwehrmechanismen gegen solche Eindringlinge.

Lebensraumverlust gefährdet Festlandsarten

Während invasive Arten auf Inseln das größte Problem waren, bedroht auf den Kontinenten vor allem die Zerstörung natürlicher Lebensräume die Artenvielfalt. Wälder, Feuchtgebiete und Flüsse weichen Städten und Landwirtschaft. Besonders stark betroffen sind Süßwasserlebensräume – dort gingen die meisten Arten verloren.

Die Studie zeigt: 30 Prozent der ausgestorbenen Tiere und Pflanzen stammten aus Süßwasserregionen, nur ein Prozent aus dem Meer. Damit gilt das Meer derzeit als vergleichsweise stabiler Lebensraum.

Ursachen verschieben sich im Laufe der Zeit

Den Forschern zufolge haben sich die Gründe für das Artensterben im Lauf der Jahrhunderte verändert. Früher waren Jagd, eingeführte Tiere und Übernutzung die Hauptfaktoren. Heute dominiert der Verlust von Lebensräumen.

Kristen Saban, Co-Autorin der Studie, warnte jedoch vor falscher Entwarnung:

Biodiversitätsverlust ist weiterhin ein riesiges Problem.

Artensterben stagniert – Klimawandel bisher kein Haupttreiber

Der Klimawandel spielt laut den Forschern bislang keine zentrale Rolle bei dem dokumentierten Aussterben. In den vergangenen 200 Jahren habe sich kein messbarer Anstieg ergeben. Das heiße aber nicht, dass der Klimawandel ungefährlich sei. „Er ist eine Bedrohung für die Zukunft, aber nicht die Ursache der bisherigen Verluste“, sagte Wiens.

Aktuell bedroht der Mensch die Artenvielfalt vor allem indirekt – durch Abholzung, Landwirtschaft, Staudämme und Flächenverbrauch. Invasive Arten verursachten in der Vergangenheit 38 Prozent aller Aussterben, Lebensraumzerstörung 31 Prozent und Übernutzung 20 Prozent.

Schutzmaßnahmen zeigen Wirkung

Investitionen in Artenschutz und Wiederansiedlung zeigen offenbar Wirkung. Programme zur Kontrolle invasiver Arten, Wiederaufforstung und Zucht gefährdeter Tiere tragen dazu bei, das Tempo der Verluste zu bremsen. Beispiele sind:

  • Die erfolgreichen Rückzuchtprogramme wie bei Riesenschildkröten auf Galápagos oder bei Vogelarten auf Hawaii.
  • Schutzgebiete und internationale Abkommen verhindern Übernutzung und bringen Lebensräume zurück.

Diese Ergebnisse belegen den Experten zufolge, dass gezielter Schutz wirkt – und Hoffnung berechtigt ist.

Insel- und Süßwasserarten weiterhin gefährdet

Trotz positiver Signale bleiben bestimmte Lebensräume besonders anfällig. Auf Inseln fehlen oft genetische Reserven, um auf Veränderungen zu reagieren. In Flüssen und Seen zerstören Dämme und Verschmutzung die Lebensgrundlagen.

Fast alle ausgestorbenen Flussmuscheln und Schneckenarten stammten aus den USA, wo Flüsse wie der Coosa River in Alabama durch Staudämme massiv verändert wurden. Solche Eingriffe zeigen, wie sensibel Süßwasserökosysteme auf menschliche Eingriffe reagieren.

Auch wenn die Zahlen auf eine Verlangsamung hindeuten, sind weiterhin Hunderte Arten vom Aussterben bedroht, erinnern die Wissenschaftler. Laut der IUCN stehen über 26.000 Arten auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere und Pflanzen.

Kurz zusammengefasst:

  • Das Artensterben stagniert: Neue Daten der University of Arizona zeigen, dass die Aussterberaten vieler Tier- und Pflanzengruppen seit rund 100 Jahren nicht mehr steigen, sondern sich stabilisiert haben.
  • Ursachen verschieben sich: Früher starben vor allem Inselarten durch eingeschleppte Tiere aus, heute bedroht die Zerstörung von Lebensräumen auf dem Festland die Artenvielfalt.
  • Schutzmaßnahmen wirken: Laut den Forschern bremsen gezielter Naturschutz, Wiederansiedlungsprogramme und internationale Abkommen den Verlust – das gibt Anlass zu vorsichtigem Optimismus.

Übrigens: Der „Geist der Berge“ steht unter Druck. Neue Analysen zeigen, dass der Schneeleopard kaum genetische Reserven besitzt – und seine perfekte Anpassung an Kälte ihm im Klimawandel zum Verhängnis wird. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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