Schwimmen wie Mikroben – ganz ohne Gehirn: So könnten Mini-Roboter bald durch den Körper navigieren
Mikroben können ohne Gehirn durchs Wasser schwimmen. Auf dieser Grundlage lassen sich Nanobots für Medizin und Umwelttechnik entwickeln.

Winziger Helfer im Einsatz: So könnte ein Nanobot künftig eigenständig durch den Blutkreislauf navigieren, um gezielt Medikamente freizusetzen. © DALL-E
Mikroorganismen wie Bakterien oder Amöben zeigen, dass es für effektives Schwimmen keinen zentralen Steuermotor oder ein Gehirn braucht. Komplexe Bewegungen sind auch dann möglich, wenn jedes Teil des Organismus nur für sich selbst entscheidet. Ein Forschungsteam der Technischen Universität Wien hat gemeinsam mit der Uni Wien und der Tufts University in Untersuchungen entschlüsselt, wie diese Bewegung funktioniert und warum sie der Technik der Zukunft nützen könnte.
Das Prinzip, mit dem sich Einzeller fortbewegen, könnte schon bald Miniroboter antreiben: winzige Maschinen, die eigenständig durch den menschlichen Körper navigieren, Medikamente punktgenau freisetzen oder Schadstoffe im Wasser aufspüren – ganz ohne Fernsteuerung.
Wie bewegen sich Mikroorganismen?
Bakterien, Amöben, sogar rote Blutkörperchen bewegen sich durch Flüssigkeiten. Doch wie schaffen sie das? Sie besitzen keine Nervenbahnen, kein Steuerzentrum. „Man kann sich diese Mikroorganismen wie eine Kette aus Perlen vorstellen“, erklärt Benedikt Hartl von der TU Wien. „Die einzelnen Teile können sich bewegen, aber sie wissen nichts voneinander, außer was direkt neben ihnen passiert.“
Virtuelle Mikroben lernen das Schwimmen
Die Forscher simulierten Mikroorganismen auf dem Computer, als Kette aus Kugeln, die nur ihre unmittelbaren Nachbarn kennen. Jedes Segment konnte sich nach links oder rechts bewegen, mehr nicht. Es gab keine Übersicht über das ganze System. Trotzdem testeten sie, ob aus diesen lokalen Bewegungen eine sinnvolle Gesamtbewegung entstehen kann. „Wir haben jeder Kugel eine minimale Form von künstlicher Intelligenz gegeben“, sagt Hartl. Die Steuerung bestand aus einem neuronalen Netz mit 20 bis 50 Parametern, winzig im Vergleich zu den KI-Systemen heutiger Zeit.

In jeder Simulation versuchten die Forscher, den besten Bewegungs-Code zu finden. Sie ließen die virtuellen Mikroorganismen schwimmen, analysierten ihre Fortbewegung und verbesserten die Steuerung. Nach und nach entstand ein System, das zuverlässig und schnell schwimmen konnte – ganz ohne zentrale Befehle. „Es reicht, wenn jedes Teil für sich eine einfache Regel befolgt“, sagt Hartl. „Am Ende bewegt sich der ganze Organismus wie ein echtes Lebewesen.“ Was dabei entstand, war nicht nur effizient, sondern auch erstaunlich stabil, selbst dann, wenn Teile ausfielen.
Intelligente Struktur macht es möglich
Das Geheimnis liegt in der Struktur. Jedes Segment ist wie eine eigene kleine Zelle, die mit ihren Nachbarn Informationen austauscht. Es gibt kein Kommandozentrum, nur viele kleine Entscheidungen, die sich zu einem sinnvollen Ganzen fügen. Die Forscher nutzen dafür eine Methode aus der KI-Forschung: sogenannte „Neural Cellular Automata“. Diese Systeme benötigen wenig Rechenleistung, sind aber erstaunlich lernfähig.
Im Modell funktionierte das sogar bei langen Mikroschwimmern mit vielen Segmenten – ein wichtiger Fortschritt, denn bisherige Systeme waren auf wenige Bestandteile beschränkt.
Die Natur liefert das Vorbild
Viele Einzeller bewegen sich durch koordinierte Körperverformungen. Auch dort gibt es kein Gehirn, keine zentrale Instanz. Die Bewegung entsteht durch lokal wirkende molekulare Motoren, also durch Kräfte, die direkt vor Ort entscheiden, wie sich ein Teil des Körpers bewegt. Das Gesamtverhalten ergibt sich daraus automatisch.
Diese Eigenschaft macht biologische Systeme besonders anpassungsfähig. Sie funktionieren auch in wechselnden Umgebungen und bei Schäden. Genau diese Robustheit wünschen sich Entwickler technischer Systeme, etwa in der Medizin, aber auch bei Robotik oder Umwelttechnik.
Medizin, Umwelt, Technik – vielversprechende Einsatzmöglichkeiten
Für Andreas Zöttl von der Universität Wien liegt der Nutzen auf der Hand: „Wenn wir solche einfachen Steuermechanismen auf künstliche Systeme übertragen, könnten wir zum Beispiel Nanobots bauen, die sich selbst im Wasser orientieren, etwa bei Ölverschmutzungen.“ Noch spannender sei der medizinische Einsatz. Miniroboter könnten im Blutkreislauf gezielt Medikamente dorthin bringen, wo sie gebraucht werden – ganz ohne Fernsteuerung.
Der Vorteil: Diese Systeme wären fehlertolerant. Auch wenn einzelne Teile nicht mehr reagieren, bliebe die Funktion erhalten. Das macht sie robuster und praxistauglicher.
Kurz zusammengefasst:
- Mikroorganismen können sich auch ohne Gehirn oder zentrales Nervensystem effizient fortbewegen – durch einfach koordinierte Bewegungen einzelner Zellbestandteile.
- Forscher der TU Wien, Uni Wien und Tufts University simulierten diese Bewegungen mit künstlicher Intelligenz und zeigten, dass dezentrale Steuerung robuste Schwimmbewegungen erzeugen kann.
- Diese Erkenntnisse könnten den Weg für selbststeuernde Nanobots in Medizin und Umwelttechnik ebnen – etwa für gezielte Medikamentenabgabe oder Schadstoffsuche.
Übrigens: Auch an der Penn State University tüfteln Forscher an Mikrorobotern, die sich ganz ohne Motor durch den Körper bewegen, allein gesteuert durch chemische Reize. Schon bald könnten sie gezielt Tumorzellen aufspüren, Medikamente punktgenau abgeben oder sogar neue Materialien selbst zusammenbauen. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © DALL-E