Forscher finden Material, das alle Anforderungen für Quantencomputer erfüllt

Ein seltenes Material zeigt erstmals alle nötigen Eigenschaften für stabile Quantencomputer – ohne künstliche Struktur.

Material gefunden, das perfekt für Quantencomputer ist

Joseph P. Carroll überwacht den Betrieb eines Andreev-STM-Geräts der Davis-Gruppe – ein zentrales Instrument bei der Analyse von UTe₂. © Claire Keogh, Davis Group

Es ist ein kleiner Kristall – viel kleiner als ein Stecknadelkopf. Und doch könnte er die Tür zu einer neuen Technologie aufstoßen, die unser digitales Zeitalter grundlegend verändern würde: Uran-Ditellurid – ein Material, das wie gemacht scheint für Quantencomputer. Forscher aus Oxford haben nun ein neuartiges Verfahren entwickelt, mit dem sie erstmals nachweisen konnten: Dieser Kristall besitzt tatsächlich die Eigenschaften, die es für stabile Quantenrechner braucht. Die Studie wurde am 29. Mai im Fachjournal Science veröffentlicht.

Material für Quantencomputer – Uran-Ditellurid trotzt äußeren Störungen

Was nach einem Nischenthema klingt, betrifft in Wahrheit viele Lebensbereiche. Quantencomputer versprechen Antworten auf Probleme, für die heutige Rechner zu langsam oder zu schwach sind – etwa in der Medizin, beim Klimaschutz oder in der Materialentwicklung. Doch bislang scheitert der Durchbruch oft an einem grundlegenden Problem: Die Bausteine dieser Computer sind extrem störanfällig. Selbst kleinste Schwankungen in der Umgebung können ausreichen, um ihre Rechenprozesse zu zerstören. Hier kommt Uran-Ditellurid ins Spiel.

Das Material, chemisch abgekürzt als UTe₂, hat eine außergewöhnliche Eigenschaft: Es gehört zu den sogenannten topologischen Supraleitern. Diese Stoffe können exotische Quantenteilchen beherbergen – sogenannte Majorana-Fermionen –, die Informationen auf besonders stabile Weise speichern. Anders als bei herkömmlichen Quantenbits geschieht das nicht über einen Zustand, der leicht umkippt, sondern über die Form und Struktur dieser Teilchen. Damit sind sie deutlich unempfindlicher gegenüber Störungen.

Gerade diese Robustheit ist für den praktischen Einsatz von Quantencomputern entscheidend. „Der erste Nachweis topologischer Supraleitung ist ein Meilenstein – dank unserer neuen Technik“, sagt Shuqiu Wang von der Universität Bristol, die früher in Oxford an der Studie mitwirkte.

Neue Messtechnik enthüllt, was bisher verborgen blieb

Uran-Ditellurid wurde bereits 2019 entdeckt. Seitdem galt der Kristall unter Experten als möglicher Kandidat für besonders stabile Quantenprozessoren. Denn in seinem Inneren schien eine spezielle Art der Supraleitung zu wirken – eine, die mit den Anforderungen für Quantencomputer gut zusammenpasst. Doch bis vor Kurzem ließ sich nicht eindeutig belegen, ob UTe₂ tatsächlich über die nötigen Eigenschaften verfügt.

Jetzt hat ein Team aus Oxford eine spektakuläre Messtechnik entwickelt, die diesen Nachweis erstmals möglich macht: das sogenannte Andreev-STM-Verfahren. Es nutzt eine supraleitende Mikroskopspitze, um die Oberfläche des Materials bis auf atomare Ebene abzutasten – ganz ohne Licht oder Elektronenstrahlen. „Diese Methode ist eine Beschleunigung für die Suche nach den richtigen Materialien für die Quantencomputing-Revolution“, sagt Séamus Davis von der Universität Oxford, der das Projekt geleitet hat.

Die Ergebnisse zeigen: UTe₂ ist ein sogenannter intrinsischer topologischer Supraleiter. Das bedeutet, dass die stabilen Quantenzustände nicht erst durch aufwendige technische Tricks erzeugt werden müssen, sondern von Natur aus im Kristall vorhanden sind. Ein solches Material kann direkt genutzt werden – das spart Aufwand, Zeit und Kosten.

Was UTe₂ so besonders macht

  • Topologische Supraleitung von innen heraus: UTe₂ benötigt keine äußere Manipulation – seine Quanteneigenschaften entstehen aus dem Material selbst.
  • Majorana-Zustände ohne technischen Aufbau: Das Material erzeugt robuste Quantenzustände, die sich besonders gut für stabile Quantenbits eignen.
  • Kristallstruktur schützt vor Störungen: Dank seiner atomaren Ordnung speichert UTe₂ Information weniger störanfällig als herkömmliche Materialien.
  • Keine aufwendige Konstruktion nötig: Im Gegensatz zu künstlich geschichteten Hightech-Systemen ist UTe₂ ein einkristallines Material – gezüchtet im Labor, aber physikalisch „von Natur aus“ geeignet.

Material für Quantencomputer muss massentauglich sein

Bisher hatten große Tech-Konzerne wie Microsoft auf künstlich erzeugte topologische Supraleiter gesetzt – aufwendig hergestellte Systeme, die teuer und schwer skalierbar sind. Uran-Ditellurid hingegen könnte deutlich einfacher, günstiger und nachhaltiger hergestellt werden – eine wichtige Voraussetzung, um Quantencomputer eines Tages auch im größeren Maßstab nutzbar zu machen.

Einziger Haken: Die beobachteten Quantenteilchen treten in UTe₂ bislang nur paarweise auf und lassen sich nicht trennen. Für bestimmte Anwendungen – etwa beim Bau besonders effizienter Quantenprozessoren – wäre das ein Nachteil. Doch der Nutzen der neuen Technik geht weit über diesen einen Stoff hinaus.

Andreev-STM eröffnet gezielte Materialsuche

Denn: Mit dem Andreev-STM-Verfahren lassen sich nun erstmals systematisch Materialien prüfen, die ähnliche Eigenschaften wie UTe₂ besitzen. Das könnte die Suche nach weiteren, vielleicht noch besseren Kandidaten enorm beschleunigen. Statt wie bisher blind Hunderte Stoffe zu testen, können Forscher nun gezielt untersuchen, welche Kristalle tatsächlich die nötigen Quantenzustände aufweisen.

Für die Entwicklung der Technik arbeitete das Team mit internationalen Partnern zusammen – darunter mit der Cornell University, der UC Berkeley und der Universität Bristol. Das Ziel: eine neue Generation von Quantencomputern, die nicht nur leistungsfähiger sind, sondern auch stabiler, effizienter und kostengünstiger als je zuvor.

„Diese Entdeckung ist der Beginn eines neuen Kapitels in der Materialforschung“, sagt Séamus Davis. Der nächste Schritt sei nun, das Verfahren auf weitere Stoffe anzuwenden – und vielleicht eines Tages den idealen Werkstoff zu finden, auf dem Quantencomputer massentauglich gebaut werden können. Uran-Ditellurid zeigt, dass dieser Weg kein ferner Traum mehr sein muss.

Kurz zusammengefasst:

  • Uran-Ditellurid (UTe₂) ist das erste nachgewiesene Material, das als intrinsischer topologischer Supraleiter alle Voraussetzungen für stabile Quantencomputer erfüllt.
  • Mit der neu entwickelten Andreev-STM-Technik konnten Forscher aus Oxford diese besonderen Quantenzustände erstmals direkt sichtbar machen.
  • UTe₂ bringt seine Eigenschaften von Natur aus mit – es benötigt keine künstlichen Strukturen und könnte Quantencomputer einfacher, stabiler und günstiger machen.

Übrigens: Auch Microsoft setzt auf topologische Qubits. Mit dem „Majorana 1“-Chip will der Konzern eine Million davon auf einem Chip vereinen. Das Material dafür muss allerdings künstlich erzeugt werden, anders als bei Uran-Ditellurid. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Claire Keogh, Davis Group

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