Ein Mineral aus der Wüste kühlt mit Magnetkraft – und zeigt, wie Kühlung in Zukunft funktionieren könnte

Ein Mineral aus der Atacama-Wüste verblüfft Physiker: Atacamit kühlt sich bei starken Magnetfeldern selbst – und liefert neue Ideen für die Kühlung von morgen.

Magnetkühlung statt Klimagase: Was Atacamit möglich macht

Atacamit kühlt sich in starken Magnetfeldern spürbar ab – ganz ohne Kühlmittel, Motor oder klassische Technik. © Zbynek Burival

Ein Stoff, der sich beim Einschalten eines Magneten abkühlt – ganz ohne Kühlmittel, Kompressor oder Klimaanlage. Genau so verhält sich Atacamit, ein seltenes Mineral aus der Atacama-Wüste, das im Labor mit einem überraschend starken Kühleffekt reagiert.

Forscher der TU Braunschweig und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf haben das Mineral unter extremen Bedingungen untersucht – bei sehr tiefen Temperaturen und starken Magnetfeldern. Dabei verändert sich das Verhalten des Kristalls schlagartig: Er kühlt sich deutlich ab, allein durch seine innere Struktur, die ihn zu einem sogenannten magnetokalorischen Material macht – ein Effekt, der als energieeffizient und umweltfreundlich gilt und neue Wege in der Kühltechnik eröffnen könnte, wie aus der Studie hervorgeht.

Atacamit reagiert bei 22 Tesla – was das heißt

Im Zentrum der Beobachtungen steht ein ungewöhnlicher Wert: Bei exakt 21,9 Tesla verändert sich das Verhalten des Kristalls grundlegend. Zum Vergleich:

  • Das Erdmagnetfeld misst rund 50 Mikrotesla
  • Ein typischer Hufeisenmagnet kommt auf etwa 0,1 Tesla
  • Ein moderner Kernspintomograph erreicht 1 bis 3 Tesla
  • Die hier untersuchten Magnetfelder lagen also beim Zehn- bis Zwanzigfachen eines MRTs

Bei diesen extremen Bedingungen bricht im Atacamit die gewohnte magnetische Ordnung zusammen. Die Kupferionen im Kristall, die zuvor verbunden agierten, verhalten sich plötzlich wie viele voneinander unabhängige Ketten. Physiker sprechen in diesem Zusammenhang von einem quantenkritischen Punkt – einem Zustand, an dem das System sprunghaft in ein anderes physikalisches Verhalten übergeht.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die innere Struktur des Minerals. „Das Besondere an Atacamit ist die Anordnung der Kupferionen“, erklärt Dr. Leonie Heinze vom Jülich Centre for Neutron Science. „Sie bilden lange Ketten aus kleinen, miteinander verbundenen Dreiecken, die man als Sägezahnketten bezeichnet.“ Diese geometrische Anordnung erschwert eine stabile magnetische Ausrichtung – ein Phänomen, das als magnetische Frustration bekannt ist.

Der Kühleffekt ist messbar – und verblüffend stark

Sobald das Magnetfeld stark genug ist, reagiert Atacamit mit einem deutlichen Temperaturabfall – teils auf die Hälfte der Ausgangstemperatur. Und das bei Temperaturen knapp über dem absoluten Nullpunkt, also unter –265 Grad Celsius.

Im Experiment wurden folgende Werte gemessen:

  • Spitzenwert der spezifischen Wärme: rund 13 Joule pro Mol und Kelvin² bei 16 Tesla
  • Sprunghafte Änderung der Entropie, also der inneren Unordnung
  • Klarer Übergang bei 21,9 Tesla, an dem die magnetische Struktur „abschaltet“

„Die antiferromagnetische Fernordnung in Atacamit wird bei 21,9 Tesla vollständig unterdrückt“, sagt Physiker Tommy Kotte vom Hochfeld-Magnetlabor in Dresden. Danach verhalten sich die magnetischen Ketten wie voneinander entkoppelte Einzelsysteme. Dieser Zustand löst eine abrupte Umverteilung der Energie im Kristall aus – was wiederum den starken Kühleffekt bewirkt.

Warum dieser Effekt für neue Kühltechnologien wichtig ist

Heute basieren viele Kühlsysteme auf der Kompression und Expansion von Gasen wie Helium oder Ammoniak. Diese Verfahren sind aufwändig, verbrauchen viel Energie und setzen teils klimaschädliche Stoffe frei.

Die magnetokalorische Kühlung, wie sie bei Atacamit beobachtet wurde, könnte eine umweltfreundliche Alternative sein:

  • Kein Einsatz von Kühlgasen mit hohem Treibhauspotenzial wie HFKW, deren Verwendung in der EU zunehmend eingeschränkt wird
  • Deutlich geringerer Energieverbrauch, besonders bei Tieftemperatur-Anwendungen
  • Einsatzmöglichkeiten in der Quantenforschung, Medizintechnik oder bei supraleitenden Systemen

Vollständig praxistauglich ist das Verfahren allerdings noch nicht – dafür sind die Voraussetzungen im Labor bislang zu aufwendig und das Material zu selten.

Aber die physikalischen Mechanismen dahinter liefern eine wertvolle Vorlage für neue Materialien. „Natürlich erwarten wir nicht, dass Atacamit künftig in großem Stil abgebaut wird“, so Kotte. „Aber der von uns beobachtete Mechanismus ist grundlegend – und der Kühleffekt überraschend stark.“

Neue Materialien könnten folgen

Was Atacamit im Magnetfeld zeigt, ist einzigartig: Im Inneren verhalten sich die magnetischen Teilchen plötzlich wie einzelne, nicht mehr miteinander verbundene Ketten – ein Zustand, den Physiker als „Heisenberg-Ketten“ beschreiben. Nachgewiesen wurde das mit speziellen Messverfahren wie Kernspinresonanz und Wärmekapazitätsanalysen sowie mit aufwendigen Computersimulationen.

Die Hoffnung der Forscher: Es gibt noch viele weitere Materialien mit ähnlicher Struktur, die vielleicht noch besser für technische Anwendungen geeignet sind. Besonders vielversprechend ist die Suche in einer Gruppe sogenannter „magnetisch frustrierter“ Stoffe – also Materialien, in denen sich magnetische Kräfte gegenseitig behindern.

Atacamit könnte damit erst der Anfang sein – ein Kristall aus der Wüste, der den Weg für neue, umweltfreundliche Kühltechnologien ebnet.

Kurz zusammengefasst:

  • Atacamit ist ein seltenes Mineral, das sich unter starken Magnetfeldern deutlich abkühlt – ganz ohne Kühlmittel oder bewegliche Teile.
  • Der Effekt entsteht durch eine spezielle Anordnung der Kupferionen im Kristall, die bei rund 22 Tesla in einen neuen Zustand übergeht.
  • Die Erkenntnisse liefern wichtige Impulse für die Entwicklung energieeffizienter und umweltfreundlicher Kühltechnologien – auch wenn es womöglich noch bessere Materialien als Atacamit dafür gibt.

Übrigens: Vor 41.000 Jahren versagte das Magnetfeld der Erde fast vollständig – und ließ gefährliche Strahlung bis zur Erdoberfläche durch. Warum sich der Homo sapiens besser davor schützen konnte als der Neandertaler – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Zbynek BurivalMineralexpert.org via Wikimedia unter CC BY-SA 4.0

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