ETH-Forscher entwickeln künstliche Muskeln, die auf Befehle hören
Schweizer Forscher entwickeln künstliche Muskeln aus Silikon, die sich mit Ultraschall steuern lassen und medizinische Eingriffe erleichtern.
Ein Mini-Stachelrochen aus künstlichen Muskeln bewegt sich mit Ultraschall durchs Wasser – und könnte Medikamente gezielt freisetzen. © Shi Z et al., Nature 2025
Ein kurzer Impuls genügt – und ein hauchdünnes Stück Silikon beginnt sich zu bewegen. Kein Strom, keine Kabel, kein Magnet. Stattdessen bringt Ultraschall den künstlichen Muskel in Bewegung. Hinter dieser Entwicklung steht ein Forschungsteam der ETH Zürich, das eine neue Generation weicher, steuerbarer Materialien geschaffen hat. Sie reagieren in Millisekunden auf Schallwellen und könnten künftig als winzige Greifer, selbsthaftende Pflaster oder Miniroboter in der Medizin dienen.
Künstliche Muskeln reagieren auf Ultraschall
Die neuen Muskeln bestehen aus durchsichtigen Silikonmembranen, in die tausende winzige Luftbläschen eingebettet sind. Jeder dieser Hohlräume ist nur rund 100 Mikrometer groß – etwa so dick wie ein menschliches Haar. Treffen Ultraschallwellen auf die Bläschen, beginnen sie zu schwingen. Dadurch entstehen feine Strömungen, die gezielt Druck erzeugen und das Material verformen.
Das Besondere: Die Forscher können die Bewegung steuern, indem sie die Frequenz des Ultraschalls verändern. Jede Bläschen-Größe reagiert auf einen bestimmten Tonbereich – ähnlich wie Saiten einer Gitarre. So lassen sich komplexe Bewegungen erzeugen, vom gleichmäßigen Biegen bis zur wellenförmigen Fortbewegung, wie es in der Studie heißt.
Wie Bläschen Bewegung erzeugen
Im Versuch zeigten die Forscher, wie vielseitig die Technik funktioniert. Ein kleiner Silikonstreifen, an einem Ende fixiert, hob sich, sobald der Ultraschall eingeschaltet wurde. Je höher die Schallintensität, desto stärker bog sich der Muskel. Über 10.000 Mikrobläschen arbeiteten dabei gleichzeitig – ein dichtes Netzwerk, das gemeinsam eine Bewegung auslöste.
Die Steuerung erfolgt vollständig drahtlos. Weil sich Ultraschall präzise fokussieren lässt, genügt ein externer Schallgeber. Der künstliche Muskel reagiert in weniger als 100 Millisekunden, also schneller als ein Wimpernschlag.
ETH Zürich testet Greifer, Haut und Miniroboter
Das Team um den Ingenieur Daniel Ahmed zeigte mehrere praktische Anwendungen. In einem Versuch formte es aus mehreren Silikonstreifen einen weichen Greifer. Dieser konnte eine Zebrafisch-Larve im Wasser umschließen und wieder freigeben – ohne sie zu verletzen. „Es war faszinierend zu sehen, wie präzise und gleichzeitig sanft der Greifer funktioniert“, sagt Ahmed.
In einem anderen Experiment befestigten die Forscher die künstlichen Muskeln als flexible „Roboterhaut“ auf Objekten. So ließ sich etwa eine Mandel durch Ultraschall zum Rotieren bringen. Auch eine dünne Folie auf einem Schweineherz hielt sich stabil an der Oberfläche – ein Hinweis darauf, dass sich die Technik für medizinische Anwendungen eignet.
Stingraybot schwimmt mit Ultraschall durchs Wasser
Besonders eindrucksvoll war ein Miniroboter in Form eines Stachelrochens. Zwei künstliche Muskeln dienten ihm als Flossen. Wenn die Forscher Ultraschall mit wechselnden Frequenzen anlegten, bewegten sich die Flossen in Wellen – der Roboter glitt durchs Wasser. Das System kam völlig ohne Kabel aus.

Langfristig könnten solche Miniroboter Medikamente gezielt im Körper freisetzen oder Eingriffe im Magen-Darm-Trakt unterstützen. Eine Idee der Forscher: Den „Stingraybot“ in eine kleine Kapsel einrollen, die geschluckt wird und sich im Magen auflöst. Danach würde der Roboter selbstständig aktiv.
Weiche Materialien passen sich Gewebe an
Die künstlichen Muskeln eignen sich auch als medizinische Pflaster. In Versuchen hielten sie auf gekrümmten Oberflächen und gaben Farbstoff – als Test für Medikamente – gezielt an Gewebemodelle ab. So ließe sich in Zukunft etwa ein Wirkstoff direkt an einer Narbe oder einem Tumor platzieren.
Den Experten zufolge sind die Materialien biokompatibel. Ultraschall wird ohnehin in der Medizin eingesetzt, etwa bei Untersuchungen oder bei der gezielten Aktivierung von Medikamenten im Gewebe. Damit sind die künstlichen Muskeln potenziell sicher für den menschlichen Körper.
Silikon-Muskel erreicht hohe Kraft und Geschwindigkeit
Trotz ihres geringen Gewichts – weniger als 0,05 Milligramm pro Quadratmillimeter – erzeugen die Silikonmuskeln beachtliche Kräfte. Im Labor erreichten sie eine Kraftintensität von rund 7,6 Mikronewton pro Quadratmillimeter. Ihre Bewegungen bleiben präzise, auch wenn sie mehrfach hintereinander aktiviert werden.
Die Größe lässt sich leicht anpassen: von winzigen Elementen im Mikrometerbereich bis zu Zentimeter-großen Modellen. Dadurch könnten die Muskeln sowohl in der Mikrorobotik als auch bei größeren medizinischen Geräten eingesetzt werden.
Forscher wollen Systeme für die Medizin weiterentwickeln
Noch befinden sich die Experimente im Laborstadium. Doch die Perspektiven sind klar: flexible Roboter, die ohne Stromleitungen funktionieren, Pflaster, die sich eigenständig an Gewebe anlegen, oder Miniroboter, die Medikamente genau dort freisetzen, wo sie gebraucht werden.
„Unsere künstlichen Muskeln könnten langfristig helfen, Eingriffe schonender zu machen“, so Ahmed. Die Kombination aus geringem Gewicht, schneller Reaktion und drahtloser Steuerung macht sie zu einem Werkzeug, das Medizin und Technik enger verbindet.
Kurz zusammengefasst:
- Forscher der ETH Zürich haben künstliche Muskeln entwickelt, die sich mit Ultraschall gezielt bewegen lassen – ohne Kabel oder Strom.
- Die weichen Silikonstrukturen enthalten winzige Luftbläschen, die auf Schallwellen reagieren und sich dadurch beugen, greifen oder haften können.
- Solche „sanften Roboter“ könnten künftig Medikamente im Körper freisetzen, Gewebe schonend behandeln und minimalinvasive Eingriffe verbessern.
Übrigens: Nicht nur Ultraschall bringt künstliche Muskeln in Bewegung – auch der 3D-Druck eröffnet völlig neue Möglichkeiten. Forscher der Empa und ETH Zürich erschaffen dabei weiche Hightech-Fasern, die echten Muskeln erstaunlich ähnlich sind. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © Shi Z et al., Nature 2025
