Zum ersten Mal lernt eine KI zu fühlen – sie erkennt Stress am Herzschlag
Forscher aus Zürich und Bochum zeigen: Eine KI kann erstmals Herzfrequenzdaten auswerten und Stressreaktionen in Echtzeit erkennen.

Veränderungen des Herzschlags geben Aufschluss über den körperlichen Zustand und die emotionale Reaktion eines Menschen – das nutzt nun auch KI. © RUB, Kramer
Wenn Maschinen auf unseren Herzschlag reagieren, beginnt eine neue Ära der Technik. Forscher aus Zürich und Bochum haben gezeigt, dass KI nicht nur Sprache versteht, sondern auch Körpersignale – etwa die Herzfrequenz. In einem Experiment verbanden sie das Sprachmodell GPT-4 mit einem Pulssensor. Die KI erkannte, ob eine Person gestresst war, und passte ihre Antworten in Echtzeit an.
Künstliche Intelligenz hat in dieser Studie zum ersten Mal unbewusste körperliche Reaktionen verarbeitet, die Menschen selbst oft gar nicht wahrnehmen. Damit entsteht ein neues Verständnis von „Fühlen“ in der Technik: Emotionen werden nicht nur ausgedrückt, sondern auch gemessen und in Sprache übersetzt.
KI verarbeitet Herzfrequenz in Echtzeit
Für das Experiment nutzten die Forscher einen handelsüblichen Brustgurt, der die Herzfrequenzvariabilität (HRV) misst – also die Abstände zwischen einzelnen Herzschlägen. Die Werte wurden über Bluetooth an ein Python-Programm übermittelt und anschließend direkt von GPT-4 verarbeitet.
„Die Auswertung fand vollständig im Sprachmodell statt – ganz ohne Statistiksoftware“, erklärt Boris Burr von der Ruhr-Universität Bochum. GPT-4 erstellte Tabellen, berechnete Mittelwerte und generierte sogar Diagramme – alles intern.
Zusammen mit Dr. Morris Gellisch, inzwischen an der Universität Zürich, entwickelte der Wissenschaftler dafür eine technische Schnittstelle, über die Herzdaten in Echtzeit in das Sprachmodell eingespeist werden.

KI reagiert auf Veränderungen im Herzrhythmus
Die Herzfrequenzvariabilität gilt als sensibler Stressindikator: Hohe Werte deuten auf Entspannung hin, niedrige auf Belastung. Im Versuch reagierte GPT-4 auf diese Veränderungen während verschiedener Aufgaben.
Bei einfachen Rechenaufgaben blieb der Puls stabil. Wurden die Aufgaben anspruchsvoller, sank die HRV und der Puls stieg auf rund 65 Schläge pro Minute. „Das System erkannte diese Unterschiede und passte seine Antwort entsprechend an“, berichtet Gellisch.
Bioadaptive KI im Praxistest
Die Verbindung zwischen Sensor und Sprachmodell blieb über zwei Stunden hinweg stabil, mit nur kurzen Unterbrechungen. Für die Forscher ist das der Beweis: Die Technik funktioniert. Noch ist sie nicht für den klinischen Einsatz gedacht, aber sie zeigt, dass bioadaptive KI technisch machbar ist.
„Nach einigen Backend-Anpassungen lief das System durchgehend“, so die Experten. Es sei ein wichtiger Schritt hin zu einer KI, die Sprache und Körpersignale miteinander verknüpft.
Medizin und Bildung könnten profitieren
Das Potenzial sehen die Forscher vor allem in Medizin, Pflege und Pädagogik. Digitale Assistenten könnten Stress, Erschöpfung oder emotionale Überforderung frühzeitig erkennen und zum Beispiel Pflegekräfte warnen.
Auch Lernsysteme könnten körperlich reagieren: Sinkt die Konzentration, wird der Stoff einfacher; steigt die Ruhe, folgen komplexere Aufgaben. „Diese Schnittstelle eignet sich für viele Anwendungen – in Klinik, Alltag oder Forschung“, sagt Gellisch.
Datenschutz bleibt entscheidend
Je sensibler die Technik, desto größer die Verantwortung. Körperdaten sind hochsensibel und dürfen nur unter klaren Bedingungen verarbeitet werden. „Die kontinuierliche Verarbeitung physiologischer Signale wirft wichtige Fragen zu Datenschutz und Einwilligung auf“, heißt es in der Publikation. Die Forscher fordern deshalb:
- Datenerfassung nur mit ausdrücklicher Einwilligung
- lokale Verarbeitung und verschlüsselte Speicherung
- klare Rollen- und Zugriffsbeschränkungen
Kurz zusammengefasst:
- Forscher aus Zürich und Bochum haben erstmals gezeigt, dass eine KI Herzfrequenzdaten in Echtzeit analysieren und Stressreaktionen erkennen kann.
- Das System verbindet Körpersignale mit Sprache und reagiert auf unbewusste Veränderungen im Herzrhythmus – ein Schritt hin zu bioadaptiver KI.
- Die Technik eröffnet neue Möglichkeiten in Medizin, Pflege und Bildung, verlangt aber strenge Regeln zum Schutz sensibler Körperdaten.
Übrigens: Nicht nur Algorithmen übernehmen Ackerarbeiten – auch winzige Nanodrohnen fliegen inzwischen durch Felder, um Schädlinge und Trockenstress frühzeitig zu erkennen. Wie KI und Mini-Roboter gemeinsam den Pflanzenbau revolutionieren, mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © RUB, Kramer