Amerikas Atommüll könnte zum Schlüsselbrennstoff für künftige Fusionsreaktoren werden
US-Forscher wollen Atommüll recyceln und daraus Tritium gewinnen – einen seltenen Brennstoff, der für die Kernfusion entscheidend ist.

Der Tokamak Fusion Test Reactor (TFTR) war das erste Fusionsexperiment mit Tritium. Das radioaktive Isotop wurde in massiven Stahlzylindern gelagert, erhitzt und präzise in den Reaktor eingespeist. © Wikimedia
Atomabfälle gelten als ein kaum lösbares Problem. Sie lagern in tiefen Schächten, bleiben über einen sehr langen Zeitraum gefährlich und verursachen enorme Kosten. Gleichzeitig wächst der weltweite Energiehunger, befeuert durch Elektroautos, Wärmepumpen und Datenzentren für künstliche Intelligenz. Genau an dieser Schnittstelle setzen nun neue Überlegungen an: Ausgerechnet radioaktive Abfälle könnten eines Tages helfen, eine der saubersten Energieformen überhaupt möglich zu machen – die Kernfusion. Forscher in den USA prüfen derzeit, ob sich Atommüll als Brennstoff nutzen lässt, um Tritium zu gewinnen.
Seltenes Isotop als Schlüssel für die Fusion
Kernfusion ist kein exotisches Gedankenspiel, sondern die Energiequelle, die Sterne antreibt. Wenn zwei Wasserstoffkerne verschmelzen, wird enorme Wärme freigesetzt. Diese Hitze könnte künftig Turbinen antreiben, die nahezu emissionsfreien Strom liefern. Damit die Fusion funktioniert, braucht es allerdings nicht nur das vergleichsweise leicht verfügbare Deuterium, sondern auch Tritium – ein seltenes Isotop des Wasserstoffs.
Tritium ist so knapp, dass weltweit nur rund 25 Kilogramm davon existieren, mit einer Unsicherheit von etwa 14 Kilogramm. Zum Vergleich: Mit dieser Menge ließen sich mehr als eine halbe Million Haushalte für sechs Monate versorgen. Die Preise spiegeln die Knappheit wider: Rund 33 Millionen US-Dollar kostet ein Kilogramm. „Der Marktwert von Tritium für den Handel liegt derzeit bei etwa 15 Millionen Dollar pro Pfund, und die USA haben derzeit keine eigene Möglichkeit, es herzustellen“, erklärt Terence Tarnowsky vom Los Alamos National Laboratory in einer Aussendung der American Chemical Society.
Kanada als Hauptquelle – USA ohne eigene Produktion
Derzeit stammt Tritium fast ausschließlich aus Kanada. Dort fällt es als Nebenprodukt in speziellen Reaktoren an. Die Abhängigkeit von diesem Import ist für die USA ein strategisches Problem, zumal Tritium nicht nur für künftige Energieprojekte, sondern auch im militärischen Bereich eine Rolle spielt.
Gleichzeitig wächst die Menge an Atommüll in den Vereinigten Staaten weiter. Tausende Tonnen radioaktiver Abfälle müssen über Jahrhunderte sicher gelagert werden. Das Risiko möglicher Lecks oder Unfälle begleitet die Diskussion seit Jahrzehnten.
Atommüll als Brennstoff – neue Idee aus Los Alamos
Hier setzt Tarnowsky an. Auf einer Tagung der American Chemical Society stellte er ein Konzept vor, das den Umgang mit Atommüll und die Tritium-Knappheit gleichzeitig angehen könnte. Seine Simulationen zeigen, dass sich die Reststoffe aus heutigen Kernkraftwerken nutzen lassen, um Tritium in relevanten Mengen herzustellen.
Der Clou: Das Verfahren soll einen Teilchenbeschleuniger einsetzen, um Spaltungsreaktionen im Atommüll gezielt zu starten. Dabei entstehen Neutronen, die weitere Prozesse anstoßen, an deren Ende Tritium entsteht. Der Vorteil: Die Reaktionen lassen sich jederzeit ein- und ausschalten. Das gilt als deutlich sicherer als die unkontrollierte Kettenreaktion in herkömmlichen Atomkraftwerken.
Geschmolzenes Salz soll Sicherheit erhöhen
Ein weiterer Baustein in den Simulationen ist der Einsatz von geschmolzenem Lithium-Salz. In diesem Material soll der Atommüll eingebettet werden. Das Salz kühlt und stabilisiert die Reaktionen, gleichzeitig erschwert es die missbräuchliche Nutzung des Abfalls für Waffenprogramme. Laut Tarnowsky waren solche Konzepte schon in den 1990er-Jahren ein Thema, aber erst heute ist die technische Basis vorhanden, um sie effizient umzusetzen. „Mit den Fortschritten in der Technologie könnten Systeme zur Tritium-Gewinnung aus Atommüll heute deutlich effizienter werden als in den 1990er Jahren, als diese Konzepte erstmals diskutiert wurden“, sagt er.
Simulationen versprechen hohe Effizienz
Die bisherigen Berechnungen zeigen, dass sich mit einem Reaktor von einem Gigawatt Leistung – das entspricht dem Jahresverbrauch von rund 800.000 US-Haushalten – etwa zwei Kilogramm Tritium pro Jahr erzeugen lassen. Das wäre genauso viel, wie derzeit alle Reaktoren in Kanada gemeinsam bereitstellen.
Besonders interessant: Das Verfahren wäre deutlich effizienter als ein Fusionsreaktor. Laut Simulation könnte es mehr als zehnmal so viel Tritium produzieren wie ein Fusionsreaktor mit gleicher Leistung.
Auswirkungen auf Energie, Umwelt und Wirtschaft
Sollte die Technik tatsächlich funktionieren, hätte sie gleich mehrere Effekte:
- Neue Energiequelle: Durch die zusätzliche Tritiumproduktion könnte Kernfusion überhaupt erst im großen Maßstab Realität werden.
- Weniger Atommüll: Ein Teil der gefährlichen Abfälle würde nicht länger ungenutzt lagern, sondern als Ressource dienen.
- Energiesicherheit: Die USA könnten ihre Abhängigkeit von Kanada reduzieren und hätten eigene Kapazitäten für Tritium.
- Neue Industrien: Vom Reaktorbau über die Salztechnik bis hin zu Kühlsystemen könnte ein neuer Industriezweig entstehen.
Energiehunger wächst weiter
Der Zeitpunkt für solche Überlegungen ist kein Zufall. Der weltweite Energiebedarf steigt rasant. Elektroautos, Wärmepumpen und digitale Infrastrukturen verschlingen enorme Mengen Strom. Fossile Energieträger heizen den Klimawandel an, erneuerbare Energien allein reichen bisher nicht aus, um die Nachfrage zu decken. Die Kernfusion gilt deshalb seit Jahrzehnten als „Heilige Gral“-Technologie der Energieversorgung – sauber, potenziell unbegrenzt, aber bisher kaum beherrschbar.
„Energie-Übergänge sind teuer. Immer, wenn man sie erleichtern kann, sollte man das versuchen“, sagt Tarnowsky. Genau darum geht es bei seinen Arbeiten: vorhandene Abfälle so einzusetzen, dass sie einen Engpass bei der Fusion lösen.
Sicherheit bleibt ein sensibles Thema
So spannend die Perspektiven klingen, so groß bleiben die Risiken. Der Umgang mit hochradioaktivem Material bleibt komplex und gefährlich. Jede Störung könnte Umwelt und Menschen schwer belasten. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung wäre ein entscheidender Faktor. Schließlich verbindet die Mehrheit Atommüll mit Endlagerproblemen und nicht mit einer künftigen und auch noch sauberen Energiequelle.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Simulationen tatsächlich in ein funktionierendes Reaktordesign münden. Entscheidend sind die Kosten, die Sicherheit – und ob Politik und Gesellschaft den Schritt in eine solch ungewöhnliche Richtung wagen.
Auch deutsche Forscher wollen Atommüll wieder nutzbar machen
Studienergebnisse aus Leipzig fügen sich in diese wachsende internationale Bewegung ein. Deutschen Experten zufolge könnte ein Recycling-Verfahren die Strahlungsdauer drastisch verkürzen – von über einer Million Jahre nur noch rund 1.000 Jahre. Dabei wird der Atommüll mit Neutronen beschossen, sodass sich langlebige radioaktive Stoffe in kurzlebigere verwandeln. Gleichzeitig können dabei wertvolle Elemente wie Rhodium oder Krypton zurückgewonnen werden, die in Industrie und Medizin wichtig sind.
Beide Ansätze zeigen, dass Atommüll nicht länger nur als Last, sondern zunehmend auch als Ressource betrachtet wird.
Kurz zusammengefasst:
- Kernfusion könnte künftig enorme Mengen Strom liefern, benötigt dafür aber das extrem seltene und teure Wasserstoff-Isotop Tritium.
- Reaktoren könnten aus Atommüll Tritium erzeugen und dabei sicherer und effizienter arbeiten als heutige Kernkraftwerke.
- Gelingt das Verfahren, würde es zugleich die Abhängigkeit von Importen verringern, Atommüll reduzieren und die Energieversorgung stabilisieren.
Übrigens: In Kalifornien haben Forscher mit ihren Lasern so viel Energie aus der Kernfusion geholt wie nie zuvor – ganze 8,6 Megajoule. Mehr dazu in unserem Artikel.
Bild: © U.S. Department of Energy from United States via Wikimedia unter Public Domain