Typ-1-Diabetes: Warum Kinder vom Land doppelt so häufig erkranken wie Stadtkinder
In Schweden erkranken Kinder aus ländlichen Regionen deutlich häufiger an Typ-1-Diabetes – vor allem in den ersten fünf Lebensjahren.

In ländlichen Regionen Schwedens liegt das Risiko für Typ-1-Diabetes bei Kindern teils mehr als doppelt so hoch wie im Landesmittel. © Pexels
Kinder, die in den ersten Lebensjahren auf dem Land aufwachsen, haben ein deutlich höheres Risiko, später an Typ-1-Diabetes zu erkranken – das legt eine neue Analyse aus Schweden nahe. Die Daten stammen aus einer Studie, die auf der diesjährigen Jahrestagung der Europäischen Gesellschaft für Diabetesforschung (EASD 2025, 15.–19. September in Wien) vorgestellt wird. Es handelt sich um eine Vorabveröffentlichung, die noch nicht im Peer-Review geprüft wurde.
Schweden zählt weltweit zu den Ländern mit der höchsten Rate an Typ-1-Diabetes – nur in Finnland ist sie noch höher. Auffällige regionale Unterschiede innerhalb Schwedens deuten darauf hin, dass Umweltfaktoren bei der Krankheitsentstehung eine Rolle spielen könnten.
Untersucht wurden über 21.000 Fälle, bei denen zwischen 2005 und 2022 Typ-1-Diabetes diagnostiziert wurde. Drei Viertel der Betroffenen waren jünger als 18 Jahre, das Durchschnittsalter lag bei 13,6 Jahren. Die Studienautoren analysierten sowohl den Wohnort bei Diagnose als auch während der ersten fünf Lebensjahre.
Typ-1-Diabetes beginnt meist früh und verläuft lebenslang
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Die Erkrankung tritt meist schon im Kindes- oder Jugendalter auf. Erste Anzeichen sind starker Durst, häufiges Wasserlassen, Gewichtsverlust und anhaltende Müdigkeit. Ohne Behandlung kommt es zu gefährlichen Stoffwechselentgleisungen. Betroffene müssen sich in der Regel lebenslang Insulin spritzen, da der Körper selbst keines mehr bildet.
Wohnort in der Kindheit beeinflusst Typ-1-Diabetes-Risiko deutlich – Risikogebiete auf dem Land
Entscheidend war vor allem der Wohnort in der frühen Kindheit. Beeindruckend war auch die Größenordnung der Unterschiede: In elf ländlichen Gegenden lag das Risiko um bis zu 170 Prozent über dem Durchschnitt, in Städten dagegen bis zu 88 Prozent darunter – Kinder auf dem Land erkrankten also teils mehr als doppelt so häufig wie Kinder in der Stadt.
Besonders stark betroffen waren Gegenden im Norden des Landes. Vier Risiko-Cluster wurden auf Basis des Wohnorts bei Diagnose gefunden – alle lagen abseits der großen Städte im Landesinneren.
Gleichzeitig fanden sie 15 Niedrigrisiko-Gebiete – allesamt in Städten. In Växjö etwa lag das Risiko sogar 88 Prozent unter dem Durchschnitt, in Norrköping 64 Prozent, in Halmstad 61 Prozent. Auch in Großstädten wie Stockholm, Göteborg oder Malmö war die Erkrankungsrate deutlich geringer.
Städte senken das Risiko – warum, ist noch unklar
Warum der Wohnort so eine große Rolle spielt, ist noch nicht endgültig geklärt. „Wir vermuten, dass vor allem Umwelteinflüsse in ländlichen Gegenden und hauptsächlich in den ersten fünf Lebensjahren das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöhen“, schreiben die Autoren der Studie.
Konkret nennen sie mehrere mögliche Ursachen: Auf dem Land könnten Kinder häufiger mit Pestiziden oder Allergieauslösern in Kontakt kommen. Denkbar sei auch, dass Kinder in Städten früher und häufiger Virusinfektionen durchmachen, was möglicherweise vor Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes schützt.
Wälder und Felder prägen Hochrisikogebiete
Die Forscher analysierten auch die Umgebung in den Hoch- und Niedrigrisikogebieten. Ergebnis: Dort, wo das Risiko besonders hoch war, dominierten Wälder und landwirtschaftlich genutzte Flächen. In den Niedrigrisiko-Zonen herrschten hingegen städtische Strukturen vor – also bebautes Gebiet und offene Flächen ohne intensive Landwirtschaft.
„Dieses Ergebnis war unerwartet und zeigt, wie notwendig weitere Umweltstudien sind, um mögliche Risikofaktoren auf dem Land sowie schützende Faktoren in Städten zu finden“, schreiben die Autoren. Die Studie nutzte detaillierte geografische Daten und wertete über einen Zeitraum von 17 Jahren hinweg Adressdaten der Betroffenen aus.
Risiko steigt vor allem in den ersten fünf Lebensjahren
Am stärksten war der Zusammenhang zwischen Wohnort und Erkrankung in den ersten fünf Lebensjahren. Diese Phase scheint besonders entscheidend dafür zu sein, ob sich später ein Typ-1-Diabetes entwickelt. „Die ersten fünf Lebensjahre zeigten die stärkste Verbindung mit Risiko-Gebieten“, heißt es in der Analyse.
Die Studienautoren wollen sich deshalb nun gezielt Umweltbelastungen, regionale Unterschiede und Lebensstile ansehen. „Diese Ergebnisse waren bisher unbekannt und wirklich eine Überraschung – niemand hatte erwartet, dass das Leben in großen Städten das Diabetesrisiko senkt“, heißt es abschließend.
Kurz zusammengefasst:
- Kinder, die in den ersten fünf Lebensjahren auf dem Land leben, haben in Schweden ein deutlich höheres Risiko, an Typ-1-Diabetes zu erkranken – bis zu 2,7-mal so hoch wie im Landesdurchschnitt.
- In städtischen Regionen ist das Risiko dagegen deutlich geringer – in manchen Städten liegt es bis zu 88 Prozent unter dem Durchschnitt.
- Entscheidend scheint der Wohnort in der frühen Kindheit zu sein; als mögliche Ursachen gelten Umweltfaktoren wie Pestizide, Allergene oder fehlende Viruskontakte.
Übrigens: Die höchsten Diabetes-Risiken fanden sich in Gegenden mit viel Wald und Acker – genau solche Landschaften werden in Schweden derzeit massiv für die Verpackungskartonindustrie abgeholzt. Mehr dazu in unserem Artikel.
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