Rheuma-Medikament stoppt Diabetes Typ 1 – bis es abgesetzt wird

Ein Rheuma-Medikament konnte bei Typ-1-Diabetes die eigene Insulinproduktion zeitweise erhalten und den Alltag erleichtern – nach Absetzen verschwand der Effekt jedoch rasch. Dennoch sprechen die Forscher von einem spannenden Fortschritt.

Rheuma-Medikament stoppt Diabetes Typ 1 – bis es abgesetzt wird

Alltag für Diabetes-Patienten: Gesundheitsdaten dokumentieren gehört dazu – neue Ansätze wie Baricitinib könnten diese Belastung zeitweise verringern. © Pexels

Menschen mit der Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes müssen jede Mahlzeit berechnen, Insulin spritzen und ihren Blutzucker regelmäßig kontrollieren. Nach der Diagnose arbeitet die Bauchspeicheldrüse oft noch eine Weile eingeschränkt weiter. Diese Phase nennen Ärzte „Honeymoon-Phase“. In dieser Zeit reicht manchmal weniger Insulin aus, bis die eigene Produktion nach und nach vollständig nachlässt. Auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD) in Wien wurden nun Daten vorgestellt, die zeigen: Ein Rheuma-Medikament kann diese Restfunktion länger erhalten.

Die Tablette mit dem Wirkstoff Baricitinib hielt in einer klinischen Studie die Insulinproduktion bei jungen Patienten länger aufrecht – allerdings nur so lange, wie sie eingenommen wurde.

Rheuma-Medikament zeigt erste Wirkung bei Typ-1-Diabetes

Zwischen 2020 und 2022 untersuchten Ärzte in Australien, ob Baricitinib den Angriff des Immunsystems auf die Bauchspeicheldrüse verlangsamen kann. An vier Kliniken nahmen 91 Patienten teil, die höchstens 100 Tage zuvor die Diagnose Typ-1-Diabetes erhalten hatten. Sie waren zwischen zehn und 30 Jahre alt.

Die Teilnehmer der Studie wurden zufällig in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe bekam täglich vier Milligramm Baricitinib, die andere ein Placebo. Die Behandlung dauerte knapp ein Jahr.

Weniger Insulin nötig, bessere Werte

Nach 48 Wochen zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Die Patienten mit Baricitinib produzierten messbar mehr eigenes Insulin. Das lässt sich am sogenannten C-Peptid-Wert ablesen, der die Restfunktion der insulinproduzierenden Betazellen anzeigt:

  • Baricitinib-Gruppe: Median 0,65 nmol/L/min
  • Placebo-Gruppe: Median 0,43 nmol/L/min

Auch beim Insulinbedarf gab es Vorteile. Patienten unter Baricitinib brauchten im Schnitt 0,41 Einheiten Insulin pro Kilogramm Körpergewicht am Tag, in der Placebo-Gruppe waren es 0,52 Einheiten. Das bedeutet, dass die Tablette den täglichen Bedarf fast um ein Fünftel senken konnte.

Blutzuckerschwankungen verringern sich

Für die Betroffenen spürbar war zudem, dass die Blutzuckerwerte stabiler blieben. Der HbA1c-Wert, der den durchschnittlichen Blutzucker über Wochen anzeigt, lag bei den Patienten mit Baricitinib bei sieben Prozent (53 mmol/mol), in der Placebo-Gruppe bei 7,5 Prozent (58,5 mmol/mol).

Kontinuierliche Messungen belegten auch weniger Schwankungen: 29,6 Prozent bei Baricitinib gegenüber 33,8 Prozent unter Placebo. Weniger Achterbahnfahrten im Blutzucker bedeuten weniger Stress, mehr Sicherheit im Alltag und weniger Risiken.

Wirkung endet nach Absetzen

Doch die Erleichterung hatte Grenzen. Auf der Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes in Wien stellten die Forscher nun die Ergebnisse einer Folgestudie vor. Sie zeigten: Nach Absetzen des Medikaments sank die Insulinproduktion in beiden Gruppen deutlich.

  • Nach 72 Wochen: C-Peptid 0,49 (Baricitinib) vs. 0,36 (Placebo)
  • Nach 96 Wochen: C-Peptid 0,37 (Baricitinib) vs. 0,26 (Placebo)

Auch die Vorteile bei Blutzuckerkontrolle gingen verloren. Unterschiede bei Zeit im Zielbereich und bei den Schwankungen, die während der Einnahme klar messbar waren, bestanden nach 72 und 96 Wochen nicht mehr.

„Das ist ein wirklich spannender Fortschritt“, sagt Studienautorin Michaela Waibel vom St. Vincent’s Institute of Medical Research in Fitzroy. „Aber wir sehen auch, dass die Wirkung sofort endet, wenn die Behandlung aufhört.“

Nebenwirkungen bleiben überschaubar

Baricitinib ist als Rheuma-Medikament seit Jahren im Einsatz und wird auch bei Alopezie oder Colitis ulcerosa verschrieben. Es gilt als gut verträglich – das bestätigte sich auch in dieser Untersuchung.

  • Durchschnittlich zwei Nebenwirkungen pro Patient mit Baricitinib, drei in der Placebo-Gruppe
  • Schwere Ereignisse selten: ein Fall von Ketoazidose, ausgelöst durch unregelmäßige Insulingabe
  • Placebo-Gruppe: fünf schwere Fälle bei drei Patienten, darunter Infektionen und starke Blutzuckerstörungen
  • Ein Patient mit Baricitinib erkrankte an Gürtelrose

Die Forscher beurteilten das Sicherheitsprofil insgesamt als stabil.

Angriff des Immunsystems wird gebremst

Neben den klinischen Ergebnissen untersuchten die Ärzte auch das Immunsystem. Baricitinib blockiert bestimmte Signalwege, die sonst die Zerstörung der Betazellen verstärken. Messungen im Blut zeigten, dass die Aktivität wichtiger Immunzellen abnahm. Besonders auffällig war der Rückgang von Gedächtnis-T-Zellen: Ihr Anteil sank innerhalb von sechs Monaten von 23,7 auf 17,1 Prozent.

Diese Veränderungen erklären, warum die Bauchspeicheldrüse länger Insulin produzieren konnte – zumindest während der Behandlung.

Zwei Drittel sprechen an – doch Vorhersagen bleiben unmöglich

Etwa zwei Drittel der Patienten, die Baricitinib erhielten, erfüllten die Kriterien für ein Ansprechen. Entscheidend: Forscher konnten im Nachhinein nicht vorhersagen, wer besonders profitieren würde. Weder Alter, noch Körpergewicht, genetische Risikomarker oder die Zahl der Autoantikörper gaben Hinweise. Auch die Therapietreue spielte keine Rolle – selbst Patienten, die das Medikament zuverlässig nahmen, reagierten unterschiedlich stark.

Für junge Menschen mit Typ-1-Diabetes kann schon ein kleiner Rest an eigener Insulinproduktion entscheidend sein. Er erleichtert die Kontrolle des Blutzuckers, reduziert den Bedarf an Insulinspritzen und mindert das Risiko akuter Komplikationen. Deshalb wird diese Phase nach der Diagnose als „Honeymoon-Phase“ bezeichnet. Baricitinib könnte diese Phase verlängern. Und anders als viele Immuntherapien, die Infusionen erfordern, lässt sich das Mittel unkompliziert als Tablette einnehmen.

Neue Studien sollen über Dauerwirkung entscheiden

„Zum ersten Mal haben wir eine orale krankheitsmodifizierende Behandlung, die so früh eingreift, dass Menschen deutlich weniger von Insulin abhängig sind. Das könnte nicht nur den Alltag erleichtern, sondern auch langfristige Komplikationen verringern“, erklärt Dr. Waibel. „Wenn wir Menschen mit hohem Risiko identifizieren, könnten sie sogar vor der Diagnose behandelt werden. So ließe sich vielleicht verhindern, dass die Krankheit überhaupt ausbricht“, so die Forscherin weiter.

Phase-III-Studien sind bereits geplant. Sollte Baricitinib erfolgreich sein, rechnen die Forscher mit einer möglichen Zulassung innerhalb von fünf Jahren.

Kurz zusammengefasst:

  • Baricitinib, ein Rheuma-Medikament, erhielt bei neu diagnostiziertem Typ-1-Diabetes die körpereigene Insulinproduktion und senkte den Insulinbedarf.
  • Der positive Effekt hielt nur während der Einnahme an: Nach Absetzen verschlechterten sich Insulinproduktion und Blutzuckerkontrolle wieder.
  • Rund zwei Drittel der Patienten profitierten, doch es ließ sich nicht vorhersagen, wer anspricht – Phase-III-Studien sollen nun die Dauerwirkung klären.

Übrigens: Nicht erst hohe Laborwerte verraten ein Diabetesrisiko – oft kündigen sich Probleme schon viel früher im Alltag an. Wie eine neue KI solche Glukosespitzen erkennt und was das für Betroffene bedeutet, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert