Zu wenig Mitbestimmung: Kinder bleiben beim Arzt oft nur Zuhörer – obwohl sie mitreden wollen

Kinder hören beim Arzt aufmerksam zu, dürfen aber oft kaum mitentscheiden. Eine Befragung zeigt, warum verständliche Erklärungen und Mitsprache wichtig sind.

Ärztin, Tochter und Mutter im Gespräch

Im Arztgespräch hören Kinder aufmerksam zu und verstehen viele Abläufe, doch oft bleiben sie von Entscheidungen ausgeschlossen. © Pexels

Beim Arztbesuch sitzen Kinder häufig daneben, während Erwachsene sprechen und entscheiden. Junge Patienten brauchen jedoch eine andere Ansprache. Untersuchungen, Geräte und Fachbegriffe sind für sie oft schwer einzuordnen und können verunsichern. Dass sich viele mehr Mitsprache beim Arzt wünschen, deutet eine aktuelle, bundesweite Befragung an.

Der Kindergesundheitsbericht 2025 greift diese Erfahrungen auf. Er beschreibt ein Gesundheitssystem, das Kindern vieles erklärt, sie bei Entscheidungen jedoch häufig außen vor lässt. Für junge Patienten heißt das: Sie wissen, was passiert – mitentscheiden dürfen sie trotzdem selten.

Mitbestimmung beim Arzt bleibt oft Theorie für Kinder

Grundlage der Analyse ist eine Befragung des Instituts forsa. Befragt wurden 1.006 Eltern sowie Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 17 Jahren. Die Ergebnisse wirken auf den ersten Blick ermutigend. Fast alle Kinder wussten vor ihrem letzten Arzttermin, warum sie in die Praxis gingen. Viele fühlten sich ernst genommen und bekamen Untersuchungen erklärt.

Doch dieser Eindruck hat Grenzen. 30 Prozent der befragten Kinder gab an, kaum oder nur wenig mitentscheiden zu können. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe wünscht sich ausdrücklich mehr Mitsprache. Auch Eltern nehmen diese Diskrepanz wahr. Sie erleben höfliche Gespräche, sehen aber, dass Entscheidungen häufig ohne die Stimme des Kindes fallen.

Verstehen allein reicht Kindern nicht aus

Die Befragung zeigt, dass es nicht um formale Rechte geht. Es geht um konkrete Situationen im Praxisalltag. Kinder möchten wissen, was untersucht wird. Sie wollen verstehen, warum ein Medikament nötig ist oder eine Behandlung empfohlen wird. Wer einbezogen wird, empfindet weniger Angst und fasst schneller Vertrauen.

„Kinder sind nicht nur passive Patientinnen und Patienten, sondern aktive Beteiligte ihrer eigenen Gesundheitsversorgung“, sagt Prof. Dr. Berthold Koletzko, Kinder- und Jugendarzt und Vorstand der Stiftung Kindergesundheit. „Wir wissen aus Studien, dass sie von verständlicher Information und echter Mitsprache deutlich profitieren.“

Altersgerechte Beteiligung statt Entscheidungslast

Mitbestimmung bedeutet nicht, dass Kinder alles allein entscheiden sollen. Gemeint ist eine altersgerechte Beteiligung. Zuhören, erklären, nachfragen. Schon diese Schritte verändern die Atmosphäre im Behandlungszimmer spürbar. Kinder fühlen sich ernst genommen und bleiben eher im Gespräch.

Besonders aufschlussreich sind die Aussagen der Kinder selbst. Fast die Hälfte wünscht sich einfachere Erklärungen. Medizinische Fachbegriffe bleiben für viele unverständlich. Ohne klare Worte wird Mitreden schwierig. Viele Kinder wünschen sich außerdem, dass Ärzte häufiger direkt mit ihnen sprechen und sich mehr Zeit für Fragen nehmen.

Dabei zeigen sich Unterschiede. Jüngere Kinder berichten häufiger als Jugendliche, dass ihnen verständliche Erklärungen fehlen. Mädchen äußern öfter den Wunsch nach mehr Zeit für ihre Fragen. Die Bedürfnisse sind also nicht gleich verteilt, sondern abhängig von Alter und Situation.

Beteiligung stärkt Selbstvertrauen und Therapietreue

Kinder, die in Entscheidungen eingebunden sind, entwickeln ein besseres Verständnis für ihre Gesundheit. Empfehlungen wirken nachvollziehbarer. Das stärkt die Zusammenarbeit zwischen Familie und Praxis. Häufig wächst auch die Bereitschaft, Behandlungen konsequent umzusetzen.

Beteiligung fördert zudem Selbstwirksamkeit. Kinder erleben, dass ihre Wahrnehmung zählt. Das kann Ängste mindern und den Umgang mit Erkrankungen erleichtern. Gerade bei chronischen Beschwerden spielt dieses Gefühl eine zentrale Rolle für den weiteren Verlauf.

Wenn die Zeit fehlt, bleibt Mitbestimmung der Kinder beim Arzt auf der Strecke

Eltern nennen mehrere Gründe, warum Mitsprache im Alltag scheitert. Viele Kinder trauen sich nicht, Fragen zu stellen oder Wünsche zu äußern. Ärzte sprechen häufig zuerst mit den Erwachsenen. Manche Kinder wirken auf Eltern überfordert.

Hinzu kommt Zeitmangel. Jeder fünfte Elternteil sieht zu wenig Raum für Fragen des Kindes. Der enge Praxisbetrieb lässt oft kaum Spielraum, selbst wenn die Bereitschaft zur Beteiligung vorhanden ist. Das Problem liegt damit weniger im Willen als in den strukturellen Rahmenbedingungen.

So entsteht Mitsprache im Arztgespräch Schritt für Schritt

Der Bericht nennt auch praktische Ansätze. Schon kleine Veränderungen können viel bewirken. Vor dem Termin hilft eine altersgerechte Erklärung dessen, was passieren wird. Ehrliche Worte ohne Angstmacherei schaffen Sicherheit. Gut ist auch, wenn das Kind den ersten Schritt im Gespräch machen kann.

Bewährt haben sich einfache Maßnahmen: kleine Wahlmöglichkeiten bei Untersuchungen, gezieltes Nachfragen, ob alles verstanden wurde, oder schrittweise mehr Verantwortung für ältere Kinder. „Es ist unsere Aufgabe, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Kindern ermöglichen, ihre Stimme zu nutzen und gehört zu werden“, so Prof. Koletzko.

Kurz zusammengefasst:

  • Kinder hören beim Arzt aufmerksam zu und verstehen mehr, als viele Erwachsene annehmen, dürfen aber oft kaum mitentscheiden. Eine Befragung der Stiftung Kindergesundheit zeigt, dass rund ein Drittel der Kinder wenig Mitsprache erlebt, obwohl sich viele ernst genommen fühlen.
  • Echte Beteiligung hilft Kindern messbar. Verständliche Erklärungen, direkte Ansprache und Zeit für Fragen stärken Vertrauen, senken Ängste und erhöhen die Bereitschaft, medizinische Empfehlungen mitzutragen.
  • Mitbestimmung gelingt durch einfache Schritte im Praxisalltag: Altersgerechte Sprache, kleine Wahlmöglichkeiten und das bewusste Einbeziehen der Kinder machen den Arztbesuch verständlicher und fördern Selbstständigkeit.

Übrigens: Schon 30 Minuten Social Media pro Tag können die Konzentration von Kindern messbar schwächen. Warum soziale Netzwerke problematisch sind, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

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