Auffälliger Mittagsschlaf – Harvard-Studie warnt vor höherer Sterblichkeit und Alzheimer-Risiko
Längerer oder unregelmäßiger Mittagsschlaf erhöht laut Harvard-Studie das Sterberisiko und kann auf frühe Alzheimer-Prozesse hinweisen.
Mit zunehmendem Alter werden Nickerchen länger und unregelmäßiger – laut Harvard-Studie kann dieser veränderte Mittagsschlaf ein frühes Warnsignal für Krankheiten oder Alzheimer sein. © Pexels
Ein kurzer Mittagsschlaf gilt als wohltuend und leistungsfördernd. Doch neue Daten von der Harvard Medical School und der UK Biobank zeigen: Wer im Alter regelmäßig und länger als gewohnt am Tag schläft, trägt ein messbar höheres Sterberisiko. Der scheinbar harmlose Mittagsschlaf kann damit zu einem frühen Warnzeichen für versteckte Krankheiten werden.
Beim Kongress SLEEP 2025 der Associated Professional Sleep Societies im Juni stellte ein Expertenteam um die Wissenschaftlerin Chenlu Gao von der Harvard Medical School in Boston die bislang größte Auswertung zum Thema Tagschlaf vor. Grundlage waren Daten von 86 565 Erwachsenen aus der UK Biobank, im Durchschnitt 63 Jahre alt, 57 Prozent davon Frauen. Über eine Woche hinweg trugen die Teilnehmer am Handgelenk einen Aktivitätssensor, der Bewegungs- und Ruhezeiten erfasste. So ließ sich genau bestimmen, wann, wie lange und wie regelmäßig sie tagsüber schliefen.
Mit zunehmendem Alter werden Nickerchen länger, unregelmäßiger und später
Als Mittagsschlaf galt jeder Schlaf zwischen 9 und 19 Uhr. Im Median ruhten die Teilnehmer rund 24 Minuten pro Tag. Doch die Länge und der Zeitpunkt unterschieden sich deutlich: Rund ein Drittel schlief vormittags, etwa jeder Fünfte erst zwischen 17 und 19 Uhr.
Im Verlauf von elf Jahren starben 5189 Personen, also rund sechs Prozent der Gesamtgruppe. Dabei zeigte sich ein klarer Trend: Mit zunehmendem Alter wurden die Nickerchen länger, unregelmäßiger – und verschoben sich in die späteren Tagesstunden.
Wann Nickerchen gefährlich werden können
Nach Bereinigung um Faktoren wie Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index, Alkohol, Rauchen und Nachtschlaf blieb ein deutlicher Zusammenhang bestehen:
- Längere Nickerchen erhöhten das Sterberisiko um rund 20 Prozent.
- Starke Schwankungen in der Dauer steigerten das Risiko um 14 Prozent.
- Nickerchen zwischen 11 und 15 Uhr waren ebenfalls mit erhöhter Mortalität verbunden.
„Unsere Daten zeigen, dass nicht nur die Häufigkeit, sondern auch die Dauer, Variabilität und der Zeitpunkt von Nickerchen als Indikatoren für die Gesundheit relevant sein können“, erklärt Studienleiterin Gao. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Mittagsschlaf an sich schädlich sei. Vielmehr könne er ein Symptom für zugrunde liegende Erkrankungen sein.
Frühes Warnsignal für verborgene Erkrankungen?
Die Ursachen sind noch nicht abschließend geklärt. Gao hält es für wahrscheinlich, dass unregelmäßige Nickerchen versteckte gesundheitliche Probleme widerspiegeln – etwa Herz-Kreislauf-Leiden, Stoffwechselstörungen, Depressionen oder beginnende neurodegenerative Prozesse.
„Längere oder unregelmäßige Nickerchen könnten auf schlechten Nachtschlaf, eine gestörte innere Uhr oder bestehende Erkrankungen hinweisen“, so die Harvard-Forscherin. Der Mittagsschlaf könnte somit ähnlich wie Veränderungen im Gangbild oder der Handkraft ein Frühmarker für den allgemeinen Gesundheitszustand sein.
Neue Hinweise auf Alzheimer-Risiko durch Nickerchen-Muster
In derselben Studie fanden die Wissenschaftler zudem heraus, dass sich bestimmte Tagschlaf-Muster auch im Gehirn widerspiegeln. Die Untersuchung verknüpft unregelmäßige Nickerchen mit frühen Anzeichen neurodegenerativer Prozesse. Über einen Zeitraum von bis zu 17 Jahren beobachteten die Forscher mehr als 900 ältere Erwachsene und kombinierten Schlafdaten aus Aktigraphie – dem Messen von Bewegung und Schlaf-Wach-Rhythmen – mit klinischen und pathologischen Befunden des Gehirns.
Dabei zeigte sich:
- Häufige Vormittagsschläfchen zwischen 9 und 11 Uhr waren mit einem 15 Prozent höheren Risiko für Alzheimer-Demenz verbunden.
- Regelmäßige Nachmittagsschläfchen zwischen 13 und 15 Uhr gingen dagegen mit niedrigeren Amyloid-β-Werten im Gehirn einher – ein möglicher Schutzmechanismus.
- Unregelmäßige Nickerchen korrelierten mit einer stärkeren Ablagerung von Amyloid und Tau, also jener Proteine, die als Kennzeichen der Alzheimer-Erkrankung gelten.
Den Forschern zufolge sind diese Muster kein Beweis für eine ursächliche Wirkung, wohl aber ein sensibles Frühwarnsignal für Veränderungen im Gehirn, die lange vor den ersten Gedächtnisproblemen einsetzen können.
Was Ärzte jetzt raten
Schlafmediziner James Rowley von der Rush University in Chicago sieht in den Ergebnissen laut Medscape klare Konsequenzen: „Das wichtigste Fazit lautet: Ärztinnen und Ärzte sollten nicht nur nach den nächtlichen Schlafgewohnheiten fragen, sondern auch nach dem Nickerchen am Tag.“
Wenn Patienten von zunehmender Müdigkeit oder langen Ruhephasen berichten, sollte geprüft werden,
- ob eine Schlafstörung wie Schlafapnoe oder Restless-Legs-Syndrom vorliegt,
- ob chronische Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, COPD oder Diabetes die Nachtruhe stören,
- und ob der Tagesrhythmus insgesamt noch stabil ist.
Ein verändertes Schlafmuster kann demnach ein wichtiges Signal sein, frühzeitig gegenzusteuern – lange bevor schwerwiegende Symptome auftreten.
Wann der Mittagsschlaf gesund ist
Ein kurzer, regelmäßiger Mittagsschlaf bleibt dennoch positiv. Studien zeigen, dass 20 bis 30 Minuten tagsüber Konzentration, Herzleistung und Stimmung verbessern können. Kritisch wird es erst, wenn Nickerchen länger dauern, stark schwanken oder ungewöhnlich spät stattfinden.
Kurz zusammengefasst:
- Laut Harvard-Studie kann ein längerer oder unregelmäßiger Mittagsschlaf das Sterberisiko erhöhen und auf versteckte Krankheiten oder frühe Alzheimer-Prozesse hinweisen.
- Besonders Nickerchen am Vormittag waren mit einem höheren Sterberisiko und einem 15 Prozent höheren Alzheimer-Risiko verbunden.
- Ärzte sehen darin ein Frühwarnsignal: Wer plötzlich öfter oder länger schläft, sollte die Schlafqualität und mögliche Grunderkrankungen ärztlich prüfen lassen.
Übrigens: Auch unser Gehirn schläft nicht immer gleich – Forscher aus Kanada haben jetzt fünf Schlaftypen entdeckt, die verraten, wie eng Schlaf und seelische Gesundheit verbunden sind. Mehr dazu in unserem Artikel.
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