Im Alter verliert der Darm seine Schutzfunktionen – und das Krebsrisiko steigt deutlich

Die Alterung des Darms beginnt in den Stammzellen: Ihre Steuerung gerät aus dem Takt, und die Zellen können sich immer schlechter erneuern.

Älterer Mann in der Küche

Im Alter verändert sich der Stoffwechsel der Darmzellen – ein Prozess, der die Alterung des Darms beschleunigen kann. © Pexels

Der menschliche Darm ist ein Hochleistungsorgan. Jeden Tag bildet er Millionen neuer Zellen, verarbeitet Nahrung, stärkt das Immunsystem und beeinflusst sogar die Stimmung. Mit zunehmendem Alter gerät dieses komplexe Zusammenspiel jedoch aus dem Takt. Eine neue internationale Studie der Universität Turin und des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena zeigt, warum die Alterung des Darms einsetzt und weshalb manche Bereiche des Verdauungsorgans deutlich schneller altern als andere.

Die Forschungsergebnisse zeigen, warum das Risiko für Darmkrebs im Alter steigt – und welche Prozesse die Erneuerung der Darmschleimhaut steuern.

Wie die Alterung des Darms auf Zellebene beginnt

Das Forschungsteam um Francesco Neri von der Universität Turin untersuchte Darmstammzellen, die tief in kleinen Vertiefungen der Darmschleimhaut, den sogenannten Krypten, sitzen. Diese Stammzellen erneuern die Darmwand alle paar Tage vollständig – ein lebenswichtiger Prozess, der im Alter jedoch aus dem Takt gerät.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sich mit der Zeit epigenetische Veränderungen ansammeln. Dabei handelt es sich um chemische Marker auf der DNA, die wie Schalter wirken und steuern, welche Gene aktiv bleiben. Einige dieser Schalter „verkleben“ regelrecht und blockieren wichtige Gene. Dieses Muster nennen die Forscher „ACCA-Drift“ – kurz für Aging- and Colon Cancer-Associated Drift.

„Wir beobachten ein epigenetisches Muster, das mit zunehmendem Alter immer deutlicher wird“, sagt Studienleiter Neri. Das führt dazu, dass Zellen ihre Reparatur- und Erneuerungsfähigkeit verlieren.

Im alternden Darm führt die ACCA-Drift, eine zunehmende DNA-Hypermethylierung in Darmstammzellen, zur Abschaltung wichtiger Gene. Dadurch wird die Selbsterneuerung der Darmkrypten eingeschränkt und die Regenerationsfähigkeit des Gewebes reduziert.
Im alternden Darm verändert die sogenannte ACCA-Drift die Aktivität der Stammzellen. Durch übermäßige DNA-Methylierung werden wichtige Gene abgeschaltet, was die Regeneration des Gewebes schwächt. © FLI / Kerstin Wagner

Warum nicht jede Darmregion gleich altert

Die Alterung des Darms verläuft nicht gleichmäßig. Manche Krypten bleiben jung, andere zeigen deutliche Alterungserscheinungen. Jede Krypta entsteht aus einer einzigen Stammzelle und wenn diese Zelle gealtert ist, überträgt sie ihre Veränderungen auf alle Nachkommen.

„Mit der Zeit entstehen im Gewebe immer mehr Bereiche mit einem älteren epigenetischen Profil“, erklärt Anna Krepelova vom FLI. Diese alten Krypten breiten sich aus und verdrängen jüngere Zellgruppen. So entsteht ein regelrechtes Mosaik aus jungen und gealterten Bereichen. Genau in diesen alten Regionen steigt das Risiko für DNA-Schäden und entartete Zellen – also für Krebs.

Veränderte Eisenverteilung in Stammzellen beschleunigt Alterungsprozess

Eine zentrale Rolle spielt der Eisenstoffwechsel. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass ältere Darmzellen weniger Eisen aufnehmen und gleichzeitig mehr abgeben. Dadurch sinkt die Eisenkonzentration im Zellkern, wo Enzyme aktiv sind, die DNA-Schäden reparieren.

Diese Enzyme, sogenannte TET-Enzyme, brauchen Eisen, um überflüssige Methylgruppen auf der DNA zu entfernen. „Wenn in den Zellen das Eisen fehlt, bleiben fehlerhafte Markierungen auf der DNA zurück. Und die Zellen verlieren ihre Fähigkeit, diese Markierungen zu entfernen“, so Krepelova.

Die Folge: Gene, die für Regeneration und Zellschutz wichtig sind, „verstummen“. Der Stoffwechsel gerät aus dem Gleichgewicht, Entzündungen nehmen zu.

Drei Prozesse, die die Alterung des Darms beschleunigen

Die Forscher identifizierten drei Schlüsselfaktoren, die die epigenetische Drift antreiben:

  • Eisenmangel im Zellkern: TET-Enzyme verlieren ihre Funktion, DNA-Schäden häufen sich.
  • Leichte chronische Entzündungen: Sie stören die Eisenverteilung und belasten den Zellstoffwechsel.
  • Abgeschwächter Wnt-Signalweg: Dieser Signalweg reguliert die Aktivität der Stammzellen – wenn er schwächelt, verliert der Darm seine Erneuerungsfähigkeit.

Diese Kombination wirkt wie ein Beschleuniger der Alterung: Je stärker sie ausgeprägt ist, desto schneller schreitet der Zellabbau in den Krypten voran.

Hoffnung auf neue Ansätze zur Verjüngung

Trotz der ernüchternden Erkenntnisse sehen die Wissenschaftler Hoffnung. In Experimenten mit sogenannten Organoiden – Mini-Därmen aus Stammzellen – gelang es, die epigenetische Drift zu bremsen oder sogar teilweise umzukehren.

Als die Forscher Eisen wieder zuführten oder den Wnt-Signalweg gezielt aktivierten, nahmen die TET-Enzyme ihre Arbeit wieder auf. Überflüssige DNA-Markierungen verschwanden, und die Zellen begannen, sich zu regenerieren. „Zum ersten Mal sehen wir, dass es möglich ist, die Stellschrauben des Alterns, die tief im molekularen Kern der Zelle liegen, zu beeinflussen“, erklärt Krepelova.

Langfristig könnte die Forschung den Weg für neue Präventionsstrategien öffnen – etwa durch gezieltes Eisenmanagement, entzündungshemmende Ernährung oder Medikamente, die den Wnt-Signalweg aktivieren.

Kurz zusammengefasst:

  • Mit zunehmendem Alter verändert sich der Darm ungleichmäßig: Einige Stammzellen schalten wichtige Gene ab, wodurch Bereiche entstehen, die schneller altern und anfälliger für Schäden sind.
  • Drei Hauptfaktoren beschleunigen diesen Prozess: Eisenmangel im Zellkern, chronische Entzündungen und ein geschwächter Wnt-Signalweg, der für die Erneuerung der Darmzellen entscheidend ist.
  • Forschern gelang es, die Alterung teilweise umzukehren, indem sie den Eisenhaushalt stabilisierten und den Wnt-Signalweg aktivierten – ein Hinweis, dass sich zelluläre Alterung gezielt beeinflussen lässt.

Übrigens: Forscher können jetzt live beobachten, wie Zellen ihre DNA reparieren – in Echtzeit und ohne den Prozess zu stören. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Pexels

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert