Ablehnung beginnt im Körper – nicht im Kopf: Wie Stresshormone unser Gruppenverhalten steuern

Stress verändert Gruppenverhalten: Ein Forschungsteam zeigt, wie zwei Hormone über Zusammenhalt oder Eskalation in Konflikten entscheiden.

Wir gegen die: Stresshormone steuern unser Gruppenverhalten

Unter Stress reagieren Menschen innerhalb ihrer Gruppe anders als gegenüber Außenstehenden – mit Folgen für das soziale Miteinander. © DALL-E

Manchmal genügt ein Funke – und aus einer sachlichen Diskussion wird ein „Wir gegen die“. Ob im Wahlkampf, im Kollegenkreis oder sogar unter Freunden: Sobald Stress ins Spiel kommt, ziehen Menschen instinktiv eine Linie – wer dazugehört, rückt näher, wer außen steht, wird zur Bedrohung. Der Zusammenhalt nach innen wächst, während die Offenheit nach außen schwindet. Warum das so ist, hat ein Forschungsteam der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf untersucht – und dabei entdeckt, wie stark Stresshormone unser Gruppenverhalten beeinflussen.

Die Studie zeigt: Viele Konflikte lassen sich nicht mit Argumenten lösen – weil sie gar nicht im Kopf beginnen, sondern tief im Körper verankert sind.

Die zentrale Erkenntnis: Zwei unterschiedliche Stressreaktionen wirken im Körper parallel – und führen dazu, dass wir uns zugleich solidarischer und feindseliger verhalten. Der eine Mechanismus macht loyal, der andere grenzt aus. Und beides geschieht, ohne dass wir es bewusst steuern.

Cortisol stärkt den Zusammenhalt – Noradrenalin schürt Misstrauen

Um den biologischen Ursachen auf den Grund zu gehen, führten die Wissenschaftler ein Experiment mit 90 Teilnehmern durch. Sie verabreichten vier Gruppen unterschiedliche Substanzen: entweder das Stresshormon Cortisol, das Hormon Noradrenalin (ausgelöst durch den Wirkstoff Yohimbin), eine Kombination aus beidem – oder ein Placebo.

Anschließend mussten die Probanden entscheiden, wie sie echtes Geld verteilen wollten:

  • in die eigene Tasche (persönlicher Gewinn)
  • zum Wohl der eigenen Gruppe (solidarisch)
  • oder zugunsten der eigenen Gruppe, aber zum Schaden einer fremden Gruppe (feindselig)

Das Ergebnis war eindeutig:

  • Cortisol erhöhte die Bereitschaft zur Solidarität um 22 Prozent.
  • Noradrenalin verstärkte dagegen die Feindseligkeit gegenüber Außenstehenden um 11 Prozent.
  • Wenn beides kombiniert wurde, verstärkten sich diese Effekte.

Wie Cortisol und Noradrenalin unser Gruppenverhalten evolutionär steuern

Die biologische Logik dahinter ist bekannt, aber bislang kaum in Gruppenverhalten erforscht worden. Cortisol aktiviert ein Verhalten, das als „tend-and-befriend“ beschrieben wird – eine evolutionäre Reaktion, die auf Nähe, Schutz und Gemeinschaft zielt. Es ist die stressbedingte Suche nach Vertrautheit.

Noradrenalin hingegen schaltet auf Alarm. Es ist das klassische „fight-or-flight“-System: Wenn Gefahr droht, wird die Umwelt auf Bedrohungen gescannt – und Außenstehende eher als feindlich wahrgenommen. Das erklärt, warum sich Gruppen unter Stress zusammenschließen, aber gleichzeitig anderen gegenüber abschotten.

Wer angreift, provoziert Gegenwehr

Besonders deutlich zeigte sich das, wenn die fremde Gruppe im Experiment vorher selbst feindlich agierte, etwa indem sie der eigenen Gruppe finanziellen Schaden zufügte. Dann investierten die Teilnehmer im Schnitt 18 Prozent mehr in feindselige Maßnahmen – und reduzierten gleichzeitig ihre Hilfsbereitschaft innerhalb der eigenen Gruppe um acht Prozent. Der Stress veränderte also nicht nur das Verhältnis nach außen, sondern auch die Dynamik nach innen.

Zwei Systeme – ein Effekt

Grund dafür ist, dass Cortisol und Noradrenalin gleichzeitig wirken – und sich gegenseitig verstärken. Ob jemand das Gegenüber als Verbündeten oder Bedrohung sieht, hängt dabei stark von der Gruppenzugehörigkeit ab. Und genau hier liegt der Schlüssel für viele gesellschaftliche Konflikte, die sich rational kaum erklären lassen.

Das biologische Reaktionsmuster zeigte sich übrigens bei allen Teilnehmern gleichermaßen, unabhängig vom Geschlecht. Entscheidend war allein, wie sehr sich eine Person mit der eigenen Gruppe identifizierte – und wie stark die andere Gruppe als bedrohlich empfunden wurde.

Wenn Argumente nicht mehr zählen

„Unsere Ergebnisse liefern einen biologischen Mechanismus für den sich selbst erhaltenden Zyklus von Gewaltkonflikten zwischen Gruppen“, schreiben die Studienautoren. Sie zeigen: Konflikte entstehen oft nicht aus bösem Willen – sondern aus unbewussten Körperreaktionen. Wer unter Stress steht, zieht instinktiv eine Grenze zwischen „uns“ und „den anderen“.

Und das bedeutet auch: Wer Verständigung will, muss mehr tun, als zu diskutieren. Er muss verstehen, wie sehr unser Verhalten von inneren Stressreaktionen geprägt ist. Denn sowohl Zusammenhalt als auch Ablehnung beginnen nicht im Kopf – sondern im Körper.

Kurz zusammengefasst:

  • Stresshormone wie Cortisol und Noradrenalin beeinflussen das Gruppenverhalten auf biologischer Ebene – sie verstärken gleichzeitig den Zusammenhalt innerhalb der eigenen Gruppe und die Ablehnung gegenüber Außenstehenden.
  • In einem Experiment mit 90 Personen zeigte sich, dass Cortisol die Solidarität um 22 Prozent erhöhte, während Noradrenalin die Feindseligkeit gegenüber Fremdgruppen um 11 Prozent steigerte – besonders stark bei wahrgenommenen Angriffen von außen.
  • Konflikte entstehen oft nicht durch bewusste Entscheidungen, sondern durch unbewusste körperliche Reaktionen – sie lassen sich daher nicht allein durch Argumente lösen.

Übrigens: Politische Feindbilder kommen nicht nur durch Meinungsunterschiede zustande, sondern oft durch fehlende persönliche Nähe. Eine Studie zeigt, dass moralisch positive Erzählungen über politische Gegner Sympathie wecken und Spaltung verringern können – selbst wenn die Geschichten erfunden sind. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © DALL-E

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert