Wenn das eigene Team verliert: So schaltet das Gehirn von Fußballfans auf Wut um

Eine neue Studie zeigt: Bei Niederlagen reagiert das Gehirn von Fußballfans wie im Ausnahmezustand – Kontrolle weicht impulsiver Wut.

Was im Gehirn von Fußballfans passiert, wenn ihr Team verliert

Im Gehirn von Fußballfans tobt ein unsichtbares Duell: Wenn der Rivale trifft, übernehmen Emotionen das Kommando – und die Vernunft verliert kurzzeitig die Kontrolle. © Unsplash

Nichts elektrisiert die Massen so sehr wie Fußball. Millionen Menschen jubeln, leiden und hoffen mit ihrem Verein. Doch was in den Köpfen vieler Fans passiert, wenn das Spiel kippt, lässt sich jetzt erstmals genau zeigen – und es hat weniger mit dem Ball zu tun als mit Biologie. Eine aktuelle Studie der Radiological Society of North America (RSNA) zeigt, wie stark Emotion und Kontrolle im Gehirn von Fußballfans miteinander ringen, wenn das eigene Team verliert. Und sie erklärt, warum Leidenschaft im Stadion manchmal in blinde Wut umschlägt.

Wissenschaftler haben mithilfe von Hirnscans untersucht, wie Fans auf Tore reagieren – und fanden dabei ein klares Muster: Siege aktivieren das Belohnungssystem, Niederlagen bremsen die Selbstkontrolle. Vor allem Menschen, die sich besonders stark mit „ihrem“ Verein identifizieren, geraten in einen Zustand, in dem Vernunft und Impulskontrolle kurzzeitig aussetzen.

Wenn Emotion die Kontrolle übernimmt

Für ihre Untersuchung analysierten die Forscher um Francisco Zamorano von der Universität San Sebastián 60 leidenschaftliche Fußballfans. Sie sahen Videosequenzen mit Toren ihres Lieblingsteams, des Rivalen oder anderer Mannschaften – während ihr Gehirn in einem funktionellen MRT beobachtet wurde.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Wenn das eigene Team ein Tor gegen den Erzrivalen erzielte, leuchteten die Belohnungszentren im Gehirn hell auf. Besonders aktiv war das ventrale Striatum, ein Bereich, der mit Glücksgefühlen und Motivation verbunden ist. Auch der präfrontale Cortex, zuständig für soziale Bindung und Zugehörigkeit, zeigte verstärkte Aktivität.

Damit reagiert das Gehirn ähnlich wie bei positiven Erlebnissen außerhalb des Stadions – etwa bei Erfolg im Beruf, Lob oder Zuneigung. Der Sieg des Teams fühlt sich also buchstäblich wie ein eigener Erfolg an.

Niederlage trifft das Kontrollzentrum

Ganz anders sieht es aus, wenn der Rivale trifft. In diesem Moment verändert sich das Aktivitätsmuster im Gehirn drastisch. Das sogenannte Mentalisierungsnetzwerk, das hilft, sich in andere hineinzuversetzen, schaltet hoch. Gleichzeitig sinkt die Aktivität im dorsalen anterioren cingulären Cortex (dACC) – dem Bereich, der normalerweise dafür sorgt, dass Emotionen nicht überhandnehmen.

„Während eines Rivalen-Treffers sinkt die Aktivität im Kontrollzentrum deutlich“, sagt Zamorano. „Je stärker jemand mit seinem Verein verbunden ist, desto schwächer reagiert dieser Bereich.“ Das erklärt, warum manche Fans nach einem Gegentor laut fluchen, sich mit anderen anlegen oder aus Wut unbeherrscht reagieren. Das Gehirn verliert in diesem Moment seine innere Bremse.

Wie Fußball-Leidenschaft das Denken aus dem Gleichgewicht bringt

Die Forscher teilten die Teilnehmer in drei Gruppen ein – Zuschauer, Fans und Fanatiker – und stellten fest: Je stärker die emotionale Bindung, desto größer die Ausschläge im Gehirn. Besonders bei den Fanatikern kam es bei Niederlagen zu deutlichen Kontrollverlusten.

Damit wird Fußball zu einem Modell, um zu verstehen, wie Gruppenzugehörigkeit das Denken und Handeln beeinflusst. Menschen, die ihre Identität stark über eine Gemeinschaft definieren, reagieren besonders empfindlich auf Bedrohungen dieses Wir-Gefühls. Das gilt im Stadion ebenso wie in anderen Lebensbereichen.

Wenn Sieg wie Rausch und Niederlage wie Entzug wirkt

Der Sieg gegen den Rivalen aktiviert dieselben Hirnareale wie Belohnungen durch Essen, Musik oder positive soziale Erlebnisse. Der Körper schüttet Dopamin aus – ein Hormon, das Motivation und Zufriedenheit verstärkt.

Doch bei einer Niederlage fällt dieser Dopaminschub aus. Stattdessen dominieren Stress und Frust. Das Kontrollsystem reagiert schwächer, während emotionale Regionen überaktiv werden. Diese Kombination – starke Emotion, schwache Kontrolle – kann impulsive Reaktionen auslösen.

Das zeigt sich in typischen Fan-Situationen:

  • Jubel und Glücksgefühle bei Toren erzeugen echte Belohnungsreaktionen im Gehirn.
  • Bei Niederlagen dagegen sinkt die Aktivität in Hirnregionen, die für Selbstkontrolle zuständig sind.
  • Je stärker die emotionale Bindung an den Verein, desto größer die Schwankungen zwischen Euphorie und Frust.

Warum Fußball so tief in unsere Gefühle wirkt

Zamorano und sein Team sehen darin mehr als eine sportliche Randnotiz. Fußball ist für sie ein Fenster in die Mechanismen menschlicher Gruppendynamik. „Die gleichen neuronalen Muster finden wir auch in politischen oder religiösen Konflikten“, sagt Zamorano.

Wenn Emotionen die Kontrolle überlagern, steigt das Risiko für Überreaktionen – im Stadion, in Online-Debatten oder im gesellschaftlichen Streit. Die Forscher sprechen von einem „Verlust des kognitiven Gleichgewichts“, der entstehen kann, wenn das Gehirn Bedrohung und Zugehörigkeit gleichzeitig verarbeitet.

Wie Kindheitserlebnisse bestimmen, was Fans später fühlen

Die Studie legt nahe, dass diese Schaltmuster nicht erst durch Fußball entstehen. Vielmehr werden sie schon früh im Leben angelegt. Erfahrungen in Kindheit und Jugend – etwa, wie man mit Frust, Zugehörigkeit oder Ablehnung umgeht – prägen, wie stark das Gehirn später auf emotionale Situationen reagiert.

„Gesellschaften, die frühe Entwicklung vernachlässigen, erben die Folgen von Fanatismus“, warnt Zamorano. Wer schon früh lernt, Emotionen zu regulieren und Rückschläge zu verarbeiten, bleibt auch in hitzigen Momenten gelassener.

Kurz zusammengefasst:

  • Bei Siegen aktiviert das Gehirn von Fußballfans das Belohnungssystem – es reagiert ähnlich wie bei Freude oder Erfolg im Alltag.
  • Bei Niederlagen sinkt die Aktivität im Kontrollzentrum, Emotionen übernehmen die Führung, besonders bei stark identifizierten Fans.
  • Diese Mechanismen ähneln denen von Fanatismus oder Gruppendenken und zeigen, wie Zugehörigkeit das Verhalten und Denken beeinflusst.

Übrigens: Auch beim Geldausgeben bleibt der kühle Kopf bei Fußballfans oft außen vor – Forscher der Stanford University zeigen, wie unsere Identität uns zu irrationalen Entscheidungen verführt. Warum Loyalität manchmal stärker ist als Vernunft, mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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