Warum sinkende Geburtenraten eine Chance für die Zukunft sein können

In vielen Ländern schrumpft die Bevölkerung. Welche Folgen das hat – und warum einige Experten Chancen sehen.

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In Japan schrumpft die Bevölkerung bereits seit mehreren Jahren. © Unsplash

Weniger Kinder, mehr ältere Menschen – in vielen Ländern schrumpft die Bevölkerung. Besonders in Industriestaaten sinken die Geburtenraten seit Jahren. Das hat Folgen für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme. Manche Experten sprechen bereits von einer drohenden Krise. Doch nicht alle sehen das so. Einige Forscher meinen sogar, dass eine schrumpfende Bevölkerung Vorteile bringen kann – etwa für Umwelt, Bildung und Wohlstand.

Geburtenrückgang in vielen Ländern

Noch wächst die Weltbevölkerung, vor allem in Afrika. Doch in vielen wohlhabenden Ländern ist der Höhepunkt bereits überschritten. Experten erwarten laut dem Standard, dass die Bevölkerungszahlen in Europa, Nordamerika und Teilen Asiens bis zum Jahr 2100 um bis zu 50 Prozent zurückgehen.

Die wichtigste Ursache: sinkende Geburtenraten. Damit eine Bevölkerung stabil bleibt, müsste jede Frau im Durchschnitt 2,1 Kinder bekommen. Doch die Zahlen liegen deutlich darunter. In Europa sind es nur 1,4 Kinder pro Frau, in Nordamerika 1,6. In China liegt die Geburtenrate sogar nur bei einem Kind pro Frau – mit Folgen: Die Einwohnerzahl schrumpft dort bereits im dritten Jahr in Folge. Japan hat bereits seit 2008 drei Millionen Einwohner verloren.

Warum bekommen Menschen weniger Kinder?

„Die Gründe für sinkende Geburtenraten sind vielseitig“, sagt Eva Beaujouan, Demografin an der Universität Wien. Einer der wichtigsten Faktoren: Viele Menschen warten länger mit dem Kinderkriegen. Wer später eine Familie gründet, bekommt oft insgesamt weniger Kinder.

Hinzu kommt die finanzielle Unsicherheit. Viele Eltern wollen ihren Kindern gute Bedingungen bieten – und sehen das mit weniger Kindern als einfacher an. Auch gesellschaftliche Entwicklungen spielen eine Rolle.

Frauen wollen sich heute nicht mehr in traditionelle Rollen drängen lassen, in denen sie ihre Karriere aufgeben müssen.

Eva Beaujouan

Staatliche Gegenmaßnahmen mit fraglichem Erfolg

Viele Regierungen versuchen, den Geburtenrückgang zu stoppen. In China forderte Präsident Xi Jinping eine „neue Kultur der Ehe und des Gebärens“ und kündigte finanzielle Hilfen für Familien an. Japan setzt auf „Baby-Boni“ – einmalige Geldzahlungen für werdende Eltern. Italien hat Steuererleichterungen für Familien eingeführt.

Doch wie wirksam sind solche Maßnahmen? „Sie haben meist nur geringe oder gar keine Effekte“, sagt Anne Goujon vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse. Die Entscheidung für Kinder sei zu persönlich, um sie durch finanzielle Anreize zu beeinflussen. In manchen Ländern gehen solche Maßnahmen sogar mit Rückschritten für Frauenrechte einher. In Ungarn etwa wird in staatlichen Kampagnen ein konservatives Familienbild beworben, in dem Frauen vor allem als Mütter gesehen werden.

Kann Zuwanderung das Problem lösen?

Einige Länder versuchen, den Bevölkerungsrückgang durch verstärkte Einwanderung auszugleichen. Japan zum Beispiel öffnet sich zunehmend für Migration. Doch langfristig könnte auch das keine Lösung sein. „Viele Länder, aus denen Migranten heute kommen, werden selbst bald mit einem Rückgang ihrer Bevölkerung konfrontiert sein“, sagt Goujon.

Zudem gibt es oft politischen Widerstand gegen Zuwanderung. In Europa und den USA führt Einwanderung regelmäßig zu hitzigen Debatten und verstärktem Populismus.

Neue Chancen durch den Bevölkerungsrückgang

Trotz aller Warnungen sehen einige Wissenschaftler auch positive Effekte. Mit weniger Kindern pro Familie steigt oft das Bildungsniveau, weil Eltern mehr Zeit und Geld in die Ausbildung investieren können. Eine gut ausgebildete Bevölkerung wiederum kann die Produktivität steigern und den Fachkräftemangel teilweise ausgleichen.

Auch für die Umwelt könnte der Rückgang der Bevölkerung Vorteile haben. Eine Studie in China zeigt, dass weniger Menschen auf dem Land dazu beigetragen haben, dass sich die Natur besser erholt – Wälder wachsen nach, die Luftqualität verbessert sich.

Wie können Gesellschaften sich anpassen?

Statt den Rückgang der Bevölkerung als Krise zu sehen, müsse sich das Wirtschaftssystem anpassen, meint Goujon. Das Arbeitsleben könnte sich verändern: Menschen arbeiten länger, haben aber häufiger Phasen der Weiterbildung. Auch soziale Sicherungssysteme müssten flexibler werden.

Wir brauchen eine neue Solidarität zwischen den Generationen.

Eva Beaujouan

Ältere Menschen sollten nicht nur als Belastung gesehen werden, sondern als aktive Mitglieder der Gesellschaft. Statt immer nur nach Wachstum zu rufen, muss sich die Gesellschaft fragen: Wie wollen wir in Zukunft leben?

Kurz zusammengefasst:

  • In vielen Industriestaaten sinkt die Geburtenrate, wodurch die Bevölkerung schrumpft und das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern aus dem Gleichgewicht gerät.
  • Staatliche Maßnahmen wie finanzielle Anreize oder eine höhere Zuwanderung haben nur begrenzte Wirkung, da die Entscheidung für Kinder stark von persönlichen und gesellschaftlichen Faktoren abhängt.
  • Eine schrumpfende Bevölkerung kann auch Vorteile haben, etwa durch bessere Bildungsmöglichkeiten, höhere Produktivität und positive Auswirkungen auf die Umwelt.

Bild: © Unsplash

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