Wenn Sie wenig verdienen und krank sind, ist Frührente die bessere Wahl
Eine neue Studie zeigt überraschende Vorteile der Frührente – und warum der vorzeitige Ausstieg aus dem Arbeitsleben für viele Menschen sinnvoller sein kann.

In den USA entscheidet sich rund die Hälfte der Menschen für den frühestmöglichen Renteneintritt – oft aus Sorge, die Rente sonst nicht mehr zu erleben. © Unsplash
Immer länger arbeiten, um später mehr Rente zu bekommen – so lautet das Versprechen, das auch in Deutschland viele kennen. Doch was, wenn man diesen Aufschub gar nicht mehr erlebt? Wenn einem Krankheit, Belastung oder schlicht die Lebenszeit einen Strich durch die Rechnung machen? Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung hat in einer Studie genau diese Frage und die Vorteile von Frührente untersucht – am Beispiel der USA. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Menschen sich mit 62 bewusst für die Rente entscheiden – nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil es für ihre Lebenssituation die klügste Lösung ist.
Männer und Geringverdiener besonders gefährdet
Das amerikanische Rentensystem funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie das deutsche: Wer länger arbeitet, bekommt im Alter mehr Geld. Doch dieser Anreiz kann zum Problem werden. Denn niemand weiß, wie viel Lebenszeit einem nach dem Rentenbeginn tatsächlich bleibt. Wer zu lange wartet, geht leer aus – oder profitiert nur kurz.
Besonders betroffen sind Männer mit geringem Einkommen sowie Menschen mit Vorerkrankungen. Für sie kann ein früher Rentenbeginn existenziell wichtig sein. Lieber eine etwas kleinere Summe erhalten, als am Ende gar nichts davon haben.
Statistisch betrachtet leben Frauen im Schnitt länger als Männer. Zudem arbeiten viele Männer in körperlich stärker belastenden Berufen und leiden häufiger unter chronischen Erkrankungen. Gleichzeitig fehlt es oft an finanziellen Rücklagen. Ein später Renteneintritt kann für sie zum unkalkulierbaren Risiko werden.
Die unterschätzten Vorteile der Frührente – besonders für belastete Gruppen
Die Studienergebnisse machen deutlich, welche Vorteile ein früher Renteneinstieg in unsicheren Lebenslagen bietet:
- Weniger Risiko, leer auszugehen: Wer frühzeitig Rente bezieht, hat eine größere Chance, überhaupt von den eingezahlten Leistungen zu profitieren.
- Mehr Lebensqualität bei Krankheit: Menschen mit chronischen Erkrankungen gewinnen Zeit und entlasten sich körperlich wie psychisch.
- Stabile Entscheidung trotz unsicherer Zukunft: Statt auf theoretische Prognosen zu setzen, basiert der Rentenbeginn auf der realen Lebenssituation.
- Finanzielle Handlungsfähigkeit erhalten: Für viele Geringverdiener ist die Frührente die einzige Möglichkeit, ohne Ersparnisse über die Runden zu kommen.
- Individuelle Lebensläufe ernst nehmen: Durchschnittliche Lebenserwartungen helfen wenig – persönliche Faktoren zählen weit mehr.
Diese Punkte zeigen: Frührente bedeutet nicht automatisch Verlust. Sie kann eine überlegte Reaktion auf reale Risiken sein – und für viele die richtige Entscheidung.
Gesundheit zählt mehr als Rechenmodelle
„Die Lebenserwartung ist ungewiss – selbst für gut informierte Menschen. Eine frühzeitige Inanspruchnahme, die oft als suboptimal angesehen wird, kann eine rationale Reaktion auf unvermeidbare Unsicherheiten sein“, erklärt Studienautorin Sha Jiang.
Ihr Forschungsteam entwickelte ein Modell, das theoretisch faire Auszahlungen über die gesamte Lebensdauer vorsieht. Doch diese Theorie hilft wenig, wenn das Leben früher endet als erwartet. In solchen Fällen sichert der frühe Rentenbeginn wenigstens einen Teil der erarbeiteten Leistungen.
Keine Standardlösung für alle
Politische Entscheidungen orientieren sich oft an Durchschnittswerten – bei Lebenserwartung, Einkommen oder Gesundheitszustand. Doch diese Zahlen erfassen nicht die Realität einzelner Menschen. Jeder Lebensweg verläuft anders. Deshalb kann es keine pauschale Empfehlung geben.
„Für Menschen mit begrenzten Ersparnissen oder unsicherer Gesundheit kann eine frühzeitige Inanspruchnahme helfen, das Risiko zu verringern“, so Jiang. Manche entscheiden sich auch für einen Mittelweg – etwa mit 64 oder 65 – um eine bessere Balance zwischen Auszahlung und Risiko zu finden.
Wenn das Rentensystem Benachteiligte doppelt belastet
Die Studie zeigt, dass ein starres Rentensystem die Falschen trifft. Wer ohnehin benachteiligt ist, zahlt am Ende doppelt: mit Geld und mit Lebenszeit. Das Rentensystem muss Spielraum lassen – für individuelle Wege, nicht nur für statistische Idealfälle.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass durchschnittliche Prognosen gefährlich irreführend sein können“, warnt Jiang. Besonders einkommensschwache Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen brauchen andere Lösungen – keine Optimierungsmodelle, die ihre Realität ignorieren.
Kurz zusammengefasst:
- Wer sich mit 62 für die Rente entscheidet, nutzt die Vorteile einer Frührente: Auch wenn die monatliche Auszahlung niedriger ist, bleibt das Risiko geringer, am Ende ganz leer auszugehen.
- Eine neue Studie zeigt, dass Menschen mit wenig Einkommen oder gesundheitlichen Problemen besonders von einer frühen Rente profitieren können.
- Ein flexibles Rentensystem muss persönliche Lebenslagen berücksichtigen – denn für viele ist Frührente keine Schwäche, sondern eine realistische und vernünftige Entscheidung.
Übrigens: Die Rentenlücke kann über ein ganzes Leben gerechnet bis zu einer Million Euro betragen – besonders für Frauen mit niedrigem Einkommen und ohne private Vorsorge. Mehr dazu in unserem Artikel.
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