Gefangen im Netz – Was mangelnde Selbstkontrolle mit Internetsucht zu tun hat

Internetsucht bleibt oft lange unbemerkt – typische Symptome wie Ablenkbarkeit oder fehlende Selbstkontrolle zeigen sich meist erst im Alltag deutlich.

Internetsucht erkennen – Welche Symptome ernst zu nehmen sind

Symptome von Internetsucht lassen sich nicht auf den ersten Blick erkennen – sie entwickeln sich langsam und beeinflussen Denken und Handeln zunehmend. © Unsplash

Stundenlanges Scrollen, endlose Klicks, der Griff zum Handy – obwohl der Kopf eigentlich sagt: „Jetzt reicht’s.“ Was viele noch als schlechte Angewohnheit abtun, kann sich schleichend zu einem ernsten Problem entwickeln. Internetsucht betrifft längst nicht nur Jugendliche oder Gamer und zeigt sich oft durch subtile Symptome, die im Alltag kaum auffallen.

Doch hinter dem scheinbar harmlosen Zwang, ständig online zu sein, steckt häufig ein tieferes Muster: mangelnde Selbstkontrolle. Eine umfassende Studie unter Leitung der Universität Duisburg-Essen hat genau diesen Zusammenhang untersucht – mit Daten von über 1.000 Teilnehmern und Ergebnissen, die deutlich machen, warum das Internet für manche zur Falle wird.

Impulsivität macht Internetsucht wahrscheinlicher

Dr. Silke M. Müller, die Erstautorin der Studie, erklärt: „Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, dass bestimmte Denk- und Verhaltensmuster – vor allem solche, die mit Selbstkontrolle zu tun haben – eine wichtige Rolle dabei spielen, ob jemand eine Internetsucht entwickelt und warum sie bestehen bleibt.“

„Wir nehmen an, dass sich das Ganze wie eine Kettenreaktion entwickelt“, ergänzt Studienleiter Prof. Dr. Matthias Brand. „Wer von Anfang an Schwierigkeiten mit Selbstkontrolle hat, hat möglicherweise ein höheres Risiko, das Internet suchtartig zu nutzen. Gleichzeitig kann die Sucht dazu beitragen, dass die Selbstkontrolle im Laufe der Zeit weiter abnimmt.“

Symptome für Internetsucht sind messbar

Die Forscher untersuchten, wie schnell und präzise die Probanden auf Reize reagieren konnten. Sie analysierten Fehlerhäufigkeit, Reaktionszeiten und impulsives Verhalten. Personen mit suchtartiger Internetnutzung brauchten im Schnitt deutlich länger, um störende Reize auszublenden. Außerdem treffen sie häufiger impulsive oder riskante Entscheidungen als Menschen ohne entsprechende Symptome. Bei Aufgaben mit internetbezogenen Bildreizen machen sie zudem mehr Fehler – selbst dann, wenn Alter, Intelligenz oder psychische Belastungen wie depressive Verstimmungen berücksichtigt wurden. Zwar liegen die Leistungen noch im Normbereich, der Unterschied zur Kontrollgruppe bleibt jedoch eindeutig messbar.

Damit wird deutlich: Symptome von Internetsucht lassen sich nicht nur subjektiv beschreiben, sondern auch objektiv messen. Und sie betreffen kognitive Fähigkeiten, die im Alltag eine große Rolle spielen – etwa in Schule, Studium oder Beruf.

Wer betroffen ist, merkt es oft spät

Menschen, die das Internet suchtartig nutzen, verlieren häufig das Gefühl für Maß. Sie können schwer aufhören, auch wenn sie negative Folgen spüren – zum Beispiel Schlafmangel, Streit in Beziehungen oder Leistungsabfall im Job. Oft kommen Schuldgefühle oder Scham hinzu.

Gleichzeitig fällt es vielen schwer, sich selbst einzugestehen, dass sie ein Problem haben. Denn anders als bei Alkohol oder Drogen ist Internetnutzung gesellschaftlich akzeptiert und oft sogar notwendig. Die Grenzen zwischen Vielnutzung und Abhängigkeit sind deshalb schwer zu erkennen.

Wir wollen verstehen, warum manche Menschen süchtig nach Internetnutzung werden und wie wir ihnen besser helfen können.

Prof. Dr. Matthias Brand

Studie liefert konkreten Nutzen für Therapie

Die Studie bringt nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern könnte auch ganz praktische Folgen haben. Denn wer weiß, dass Internetsucht eng mit gestörter Selbstkontrolle zusammenhängt, kann gezielter helfen. Etwa mit Trainings, die die Impulskontrolle verbessern – ähnlich wie bei Aufmerksamkeitsstörungen oder anderen Suchterkrankungen.

„Diese Daten sind ein echter Schatz“, sagt Brand. „Sie ermöglichen uns, konkrete Risikofaktoren zu identifizieren und Betroffene gezielter zu unterstützen.“ Die Forscher suchen weiterhin Freiwillige für Folgestudien, um die Datenbasis zu erweitern.

Laut Studienangaben sind etwa ein bis drei Prozent der Bevölkerung betroffen. Besonders gefährdet sind junge Menschen, Personen mit psychischen Vorerkrankungen oder solche, die soziale Isolation erleben.

Internetsucht bewältigen: Erste Schritte und Anlaufstellen

Wer sich wiedererkennt, sollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Erste Schritte können sein, das eigene Verhalten bewusst zu beobachten: Wie viel Zeit geht fürs Internet drauf? In welchen Momenten wird das Handy zum Fluchtort? Und wie schwer fällt es, offline zu bleiben?

Hilfreich sind feste Nutzungszeiten, bildschirmfreie Zonen und bewusstes Abschalten. Wenn das nicht reicht, gibt es deutschlandweit verschiedene Anlaufstellen zur Unterstützung:

  • Fachambulanzen der Caritas, AWO oder Diakonie bieten in vielen Städten persönliche Beratung bei problematischer Internetnutzung.
  • Die Plattform www.ins-netz-gehen.de der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert verständlich über Internetsucht Symptome und Hilfsangebote.
  • Überregionale Stellen wie „Return – Fachstelle Mediensucht“ oder das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters unterstützen speziell Jugendliche und ihre Familien.
  • Wer Hilfe lieber digital sucht, kann sich anonym und kostenlos an die Onlineberatung auf www.suchtberatung.de wenden oder Selbsthilfegruppen über www.nakos.de finden.

Kurz zusammengefasst:

  • Internetsucht zeigt sich oft durch schwer erkennbare Symptome wie mangelnde Selbstkontrolle, erhöhte Ablenkbarkeit und impulsives Verhalten.
  • Die Studie der Universität Duisburg-Essen belegt: Wer schon früh Schwierigkeiten mit Selbststeuerung hat, entwickelt häufiger ein suchtartiges Nutzungsverhalten und verliert durch die Sucht zunehmend die Kontrolle.
  • Therapien, gezielte Trainings und kostenfreie Beratungsstellen helfen Betroffenen, ihre Nutzung zu reflektieren und die eigene Selbstkontrolle Schritt für Schritt zurückzugewinnen.

Übrigens: Nicht nur Dauer-Scrollen hat Folgen – auch der CO2-Ausstoß durch Internetnutzung ist gewaltig. Wie stark Streaming, Social Media und Suchanfragen das Klima belasten und was man konkret dagegen tun kann – mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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