Dating, Karriere, Hauskauf: Ein Psychologe erklärt, warum zögernde Menschen oft das Nachsehen haben

Der Psychologe Gerd Gigerenzer verrät, warum schnelle Entscheidungen aus dem Bauchgefühl heraus oft die beste Wahl sind.

Wer immer nach dem besten Ergebnis sucht, wird nie eine Entscheidung treffen, meint Gerd Gigerenzer. © Wikimedia

Wer immer nach dem besten Ergebnis sucht, wird nie eine Entscheidung treffen, meint Gerd Gigerenzer. © Wikimedia

Entscheidungen können schwerfallen, doch Gerd Gigerenzer, Experte für Risikokompetenz, rät dazu, nicht zu lange zu zögern. In einem Interview mit der ZEIT erklärt er, warum. Auf die Frage, wie er selbst Entscheidungen trifft, antwortete Gigerenzer: „Ich treffe sie schnell. Das ist, was ich aus meiner Arbeit über das Entscheiden gelernt habe: Entscheidungen zügig zu treffen.“ 

Dabei nennt er auch ein Beispiel aus seinem eigenen Leben. Als er in den 90er-Jahren an die University of Chicago berufen wurde, suchte er in nur einem Nachmittag ein Haus aus und kaufte es. Er habe diese Entscheidung nie bereut. Vielen Menschen fällt es schwer, sich festzulegen, weil sie nach maximaler Sicherheit streben, so Gigerenzer. Diese Suche nach dem Besten könne aber lähmen: Wer immer nur das Optimale will, trifft oft keine Entscheidung – sei es bei der Partnerwahl oder im Beruf.

Was lähmt, ist die Angst vor Fehlentscheidungen

Ein weiterer Grund für Zögern sei die Angst, Verantwortung zu übernehmen. Gerade in Unternehmen und Behörden werde deshalb häufig abgewartet, bis andere entscheiden oder Berater hinzugezogen würden. Laut Gigerenzer ist Entscheidungsfreudigkeit eine Frage des Lernens. „Es gibt kein Entscheidungsgen“, sagt er. Wer sich dem Prozess stellt, wird mit der Zeit sicherer.

Besonders hinderlich seien dabei unrealistische Ansprüche. Oft reiche es aus, wenn eine Lösung gut genug sei. Beim Hauskauf beispielsweise sollte man Kriterien wie Preis und Lage zwar beachten, am Ende aber auch das Bauchgefühl einbeziehen.

Das Bauchgefühl ist ein wertvoller Kompass

Für Gigerenzer ist Intuition keine esoterische Eingebung, sondern basiert auf Erfahrung. Als einfache Methode, das eigene Bauchgefühl zu testen, schlägt er folgende vor: 

Sie nehmen eine Münze, und die beiden Alternativen sind Kopf und Zahl. Sie werfen die Münze hoch, und bereits während sie sich in der Luft dreht, werden Sie wahrscheinlich spüren, was das Ergebnis nicht sein soll. Dann haben Sie Ihre Intuition gehört und brauchen auch nicht mehr hinzusehen, auf welcher Seite die Münze gelandet ist.

Auch in komplexen Bereichen ist Bauchgefühl dem Wissenschaftler zufolge entscheidend. Erfahrene Ärzte spüren beispielsweise oft intuitiv, wenn mit einem Patienten etwas nicht stimmt, können dies aber nicht sofort begründen. „Intuition und Denken unterstützen sich also gegenseitig – sie sind keine Gegner“, so Gigerenzer.

Entscheidungsfindung in anderen Kulturen

Wie schwer Menschen sich mit Entscheidungen tun, hängt auch von kulturellen Faktoren ab. Auch hier nennt Gigerenzer Beispiele aus seiner eigenen Erfahrung in den USA: 

Als ich mein erstes Weihnachten in Chicago verbrachte und einen Tannenbaum mit brennenden Kerzen aufbaute, wurden meine amerikanischen Freunde blass. Ich hingegen wurde bleich, als mein Freund seinem sechzehnjährigen Sohn zu Weihnachten eine schussbereite Winchester Rifle schenkte.

Weitere Beispiele: In Frankreich ist die Angst vor Atomkraftwerken recht klein, in Deutschland jedoch eher stark. Wenn ein Arzt in Deutschland eine Kreislaufstörung attestiert, reagieren Patienten eher gelassen – in den USA wäre man erschrocken. In Indien erzählten Bekannte Gigerenzer von Geistern, die einen mit physischen und psychischen Krankheiten infizieren können.

Manipulation durch soziale Erwartungen

Viele Menschen treffen ihre Entscheidungen nicht für sich selbst, sondern orientieren sich an ihrem Umfeld. Gigerenzer rät dazu, zu hinterfragen, ob man aus eigenem Antrieb handelt oder nur, um akzeptiert zu werden. 

Man sollte sich mal ernsthaft fragen: Lebe ich mein Leben, um meinen Freunden zu gefallen oder benutze ich mein Gehirn, um mir eine unabhängige Meinung zu bilden?

So lehnen viele Eltern Impfungen ab, weil ihr Freundeskreis sie kritisch sieht. Dabei ist wissenschaftlich belegt, dass Impfungen sicher sind. Wer sich nur an anderen orientiert, gibt seine Entscheidungsfreiheit auf und lässt sich manipulieren, so Gigerenzer.

Zu viele Optionen, zu wenig Wissen

Gigerenzer sieht auch moderne Technologien als Herausforderung für klare Entscheidungen. Dating-Apps wie Tinder können dazu führen, dass Menschen permanent nach einer noch besseren Option suchen. „Man muss lernen, zu priorisieren“, betont er.

Sie wollen den besten Partner finden? Dann viel Glück! Da können Sie bis an ihr Lebensende suchen. 

Ein Beispiel aus der Wirtschaft zeigt, wie gezielte Auswahl hilft: Als Tesla noch in den Startlöchern steckte, habe Elon Musk bei frühen Bewerbern nur nach einem Kriterium eingestellt: „Besitzt die Person eine außergewöhnliche Fähigkeit?“ Diese Herangehensweise erlaube nicht nur schnelle Entscheidungen, sondern führe auch oft zu guten Ergebnissen.

Vielen Menschen fehlt es außerdem an Wissen, um wichtige Entscheidungen zu treffen. In einer Studie befragte Gigerenzer 10.000 Menschen in Europa, was sie tun würden, wenn jemand Schlaganfall-Symptome zeigt. In Deutschland antwortete nur ein Drittel, dass man sofort einen Notarzt rufen sollte. Auch bei Finanzentscheidungen informieren sich die Deutschen oft zu wenig, bevor sie Geld anlegen.

Kritische Freunde helfen bei Entscheidungen

Laut Gigerenzer ist es zudem wichtig, Menschen im Umfeld zu haben, die bereit sind, ehrliches Feedback zu geben. In seiner Forschungsgruppe hätte er gezielt Leute eingestellt, die keine Angst haben, seine Ideen zu hinterfragen. 

Entscheidungen sind meistens sozial, und die besten Freunde sind jene, die den Mut haben, einem sachlich zu widersprechen, statt immer zuzustimmen. Nachfragen ist der beste Freundschaftsdienst.

Wer seine Entscheidungsfähigkeit stärken will, soll sich fragen: Welche Emotionen beeinflussen mich? Gigerenzer rät dazu, sich bei Entscheidungen nicht durch Angst oder Gruppenzwang leiten zu lassen. Bildung und Auslandserfahrungen können zudem helfen, den eigenen Horizont zu erweitern und klügere Entscheidungen zu treffen.

Gerd Gigerenzer im TED-Talk: Wie treffen smarte Menschen smarte Entscheidungen? © YouTube

Kurz zusammengefasst:

  • Gerd Gigerenzer erklärt, warum schnelle Entscheidungen oft besser sind und wie Intuition dabei hilft.
  • Zu langes Abwägen kann lähmen, weil die Angst vor Fehlern und unrealistische Ansprüche Entscheidungen blockieren.
  • Wer sich auf seine Erfahrungen verlässt und klare Prioritäten setzt, trifft oft die klügsten und nachhaltigsten Entscheidungen.

Bild: © Gerd Gigerenzer (Foto von Heinrich-Böll-Stiftung) via Wikimedia unter CC BY-SA 2.0

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