Warum es an Silvester knallt – und wie ein alter Stoff die Welt veränderte

Salpeter macht Feuerwerk explosiv – derselbe Stoff sicherte früher Ernten, entschied Kriege und prägt bis heute Umweltdebatten.

Menschen betrachten Feuerwerk

Im Kern jedes Feuerwerks arbeitet ein Stoff, der nicht nur den Knall erzeugt, sondern die Entwicklung ganzer Gesellschaften über Jahrhunderte mitbestimmt hat. © Unsplash

Für viele gehört Feuerwerk fest zum Jahreswechsel. Der Brauch ist alt: Laute Explosionen sollten einst böse Geister vertreiben und das neue Jahr schützen. Heute steht das Spektakel in der Kritik – emotional bleibt es dennoch für viele so eng mit Silvester verbunden wie der Tannenbaum mit Weihnachten.

Unabhängig von dieser Debatte entscheidet im Inneren jeder Rakete ein unscheinbarer Stoff darüber, ob es überhaupt knallt. Ohne ihn wäre Feuerwerk physikalisch unmöglich. Es ist nicht Luft, nicht die äußere Flamme – es ist Salpeter.

Wie ein paar Gramm Salpeter Explosionen auslösen – und Geschichte schrieben

Schon wenige Gramm dieses Stoffes bestimmen, ob sich Druck aufbaut oder ein Feuerwerkskörper wirkungslos verglimmt. Im Inneren setzt Salpeter eine Reaktion in Gang, bei der schlagartig große Mengen Gas entstehen. Die Hülle hält dem Druck nicht stand – die Explosion folgt.

Dass derselbe Stoff über Jahrhunderte hinweg auch Ernten, Kriege und technische Entwicklung geprägt hat, erklärt Jens Soentgen, wissenschaftlicher Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg. Salpeter, so seine Einordnung, verbindet Feuerwerk mit Weltgeschichte.

Wie ein Feuerwerkskörper aufgebaut ist – und warum er explodiert

Ein Feuerwerkskörper besteht aus wenigen, klaren Bauteilen: einer Zündschnur, einer Papierhülle und einer Füllung aus Schwarzpulver. Dieses Schwarzpulver ist eine Mischung aus Kohle, Schwefel und Salpeter. Entscheidend für den Knall ist dabei der Salpeter.

Der Name stammt aus dem Lateinischen: sal petrae, „Steinsalz“. Salpeter kann sich tatsächlich an feuchten Mauern oder in Höhlen ablagern. Chemisch betrachtet handelt es sich nicht um einen einzelnen Stoff, sondern um Nitrate. In der Natur kommen sie meist als Natrium-, Kalium- oder Calciumnitrat vor.

Für Feuerwerk und Schießpulver eignet sich jedoch vor allem Kaliumnitrat (KNO₃). Früher gewann man es, indem natürliches Calciumnitrat mit Holzasche gekocht wurde. Dabei tauschten die Stoffe ihre Bestandteile – zurück blieb Kaliumnitrat. Der Grund: Diese Verbindung zieht kaum Wasser an. Das Pulver bleibt trocken, lagerfähig und reagiert zuverlässig.

Wird die Zündschnur entzündet, setzt das Kaliumnitrat Sauerstoff frei. Kohle und Schwefel verbrennen schlagartig. Große Mengen Gas entstehen, dehnen sich abrupt aus und sprengen die Papierhülle. Der Knall ist die Folge. Ohne diesen Ablauf würde der Feuerwerkskörper lediglich langsam verglimmen.

Die Farben entstehen erst durch zusätzliche Stoffe. Kupfer erzeugt grüne oder bläuliche Töne, Calcium sorgt für ziegelrote Effekte. Wenn es besonders grell aufblitzt, ist meist Aluminiumpulver im Spiel. Der eigentliche Antrieb bleibt jedoch immer derselbe: Kaliumnitrat als Sauerstofflieferant.

Salpeter als Schlüsselstoff: Prof. Dr. Jens Soentgen erforscht, wie derselbe Stoff Feuerwerk antreibt und über Jahrhunderte Landwirtschaft, Technik und Kriege beeinflusste. © Universität Augsburg
Salpeter als Schlüsselstoff: Prof. Dr. Jens Soentgen erforscht, wie derselbe Stoff Feuerwerk antreibt und über Jahrhunderte Landwirtschaft, Technik und Kriege beeinflusste. © Universität Augsburg

Vom Stallboden zum Rohstoff für Staaten

Salpeter ist kein Produkt der Moderne. Über Jahrhunderte gewannen Menschen ihn aus Erde – besonders ergiebig war Boden aus Ställen. Tierische Ausscheidungen lieferten Stickstoff, aus dem sich Nitrate bildeten. Diese wurden ausgelaugt, gekocht und gereinigt, bis weiße Kristalle zurückblieben.

Dafür existierte sogar ein eigener Berufsstand: die Salpeterer. Sie belieferten Militär, Handwerk und Staaten. Der Stoff war so wichtig, dass seine Gewinnung streng reglementiert wurde. Erst große Lagerstätten in Südamerika änderten das. Europa importierte fortan Chilesalpeter – die mühsame lokale Herstellung verschwand.

Neben dem Feuerwerk diente Salpeter vor allem der Produktion von Schießpulver. Damit prägte er die Militärgeschichte über Jahrhunderte hinweg – weit jenseits festlicher Anlässe.

Der paradoxe Stoff der Luft

Chemisch gehört Salpeter zum Stickstoffkreislauf. Stickstoff macht rund 78 Prozent der Atmosphäre aus – und ist dennoch für Pflanzen zunächst wertlos. Er liegt als extrem stabiles Molekül vor, dessen Bindung sich kaum aufbrechen lässt.

In der Natur gelingt das nur unter besonderen Bedingungen. Blitze können Stickstoff umwandeln. Bestimmte Bakterien übernehmen diese Aufgabe ebenfalls, mithilfe eines Enzyms namens Nitrogenase. Erst dann wird Stickstoff biologisch verfügbar – Pflanzen können wachsen.

Der Name führte lange in die Irre. Chemiker nannten Stickstoff so, weil Tiere darin ersticken. Im Französischen heißt er bis heute „azote“ – leblos. Tatsächlich treibt Stickstoff alles Leben an.

Als Stickstoff industriell verfügbar wurde

Mit der Industrialisierung wuchs die Bevölkerung rasant. Ende des 19. Jahrhunderts drohte eine Versorgungskrise. Der britische Chemiker William Crookes warnte 1896 vor Hungersnöten und forderte eine technische Lösung.

1909 gelang dem Chemiker Fritz Haber der Durchbruch: Er stellte Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff her. Kurz darauf setzte die Industrie das Verfahren um. Am 9. September 1913 nahm in Oppau die erste Anlage den Betrieb auf – mit rund zehn Tonnen Ammoniak pro Tag.

Ammoniak wurde zur Grundlage für Kunstdünger und Sprengstoffe. Beides beruhte auf demselben Prinzip: reaktiver Stickstoff ließ sich nun gezielt herstellen.

Ernten gerettet – Umwelt belastet

Das Haber-Bosch-Verfahren sicherte die Ernährung. Historiker schätzen, dass heute rund ein Drittel der Weltbevölkerung ohne Kunstdünger hungern würde. Gleichzeitig blieb Stickstoff militärisch zentral.

Der schwedische Stifter Alfred Nobel wollte seinen Preis jenen verleihen, die der Menschheit den größten Nutzen bringen. Unter diesem Maßstab erhielt Haber 1919 den Nobelpreis – eine bis heute umstrittene Entscheidung.

Heute produziert die Menschheit mehr reaktiven Stickstoff als alle natürlichen Prozesse an Land zusammen. Doch nur etwa 30 Prozent des ausgebrachten Düngers nehmen Pflanzen auf. Der Rest belastet Umwelt und Ökosysteme, auch in Deutschland:

  • überdüngte Seen und Flüsse
  • Nitrat im Grundwasser
  • geschädigte Lebensräume

Warum Feuerwerk weiter auf Salpeter angewiesen bleibt

Trotz aller Kritik bleibt Salpeter im Feuerwerk unersetzlich. Kein anderer Stoff liefert Sauerstoff so zuverlässig im Inneren einer Rakete. Alternative Mischungen erreichen diese Wirkung bislang nicht.

Deshalb gilt bis heute: Ohne Salpeter kein Knall – weder an Silvester noch in der Geschichte der Menschheit.

Kurz zusammengefasst:

  • Salpeter ist der entscheidende Stoff im Feuerwerk, weil er Sauerstoff liefert und so die schnelle Gasbildung ermöglicht, die den Knall und die Explosion erzeugt.
  • Derselbe Stoff prägte über Jahrhunderte Ernährung, Militär und Industrie, von der Gewinnung aus Stallböden über Schießpulver bis zur industriellen Stickstoffproduktion für Dünger.
  • Stickstoff ist lebenswichtig, aber problematisch, denn Kunstdünger sichert Ernten für Milliarden Menschen, belastet bei Übermaß jedoch Gewässer, Böden und Ökosysteme.

Übrigens: Wie Salpeter zeigt auch ein anderer unscheinbarer Umweltfaktor, wie stark Chemie und Boden unser Leben beeinflussen: In leicht saurem Erdreich überlebt der Darmkeim E. coli länger, passt sich an und gelangt leichter über Gemüse in die Nahrungskette. Mehr dazu in unserem Artikel.

Bild: © Unsplash

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